Festschrift zum 70. Geburtstag

Zu meinem 70. Geburtstag (im Juli 2023) haben mir drei wohlgesonnene Weggefährten (Alexander N. Wendt, Daniel V. Holt und Lisa von Stockhausen, geb. Irmen) eine Festschrift gewidmet, worüber ich mich riesig gefreut habe. Wie es bei gemeinschaftlich verfassten Druckwerken üblich ist, hängt das Tempo der Veröffentlichung vom langsamsten Glied in der Kette ab. In diesem Fall kamen – wie ich gehört habe – noch andere Dinge hinzu. Ende gut, alles gut: Nun (Mai 2025) ist die Festschrift endlich erschienen (ich hatte am Geburtstag im Juli 2023 ein – alledings unvollständiges – Vorab-Exemplar erhalten).

Wendt, A. N., Holt, D. V., & Von Stockhausen, L. (Eds.). (2025). Komplexität und Problemlösen. Festschrift für Joachim Funke zum 70. Geburtstag. Heidelberg University Publishing. https://heiup.uni-heidelberg.de/catalog/book/1067

Ich freue mich sehr darüber und will hier ein paar Kommentare zu den zahlreichen Beiträgen in der Festschrift geben:

Ich fange mit dem wunderbaren Titelbild von Mariangel Beatriz Mendoza de Wendt an (sie hat schon das traumhafte Titelbild des Wendt/Funke-Buchs gemalt): der unmögliche Würfel von Maurits C. Escher, vier Hände und ein Funke. Super Idee!

(1) Im Editorial beschreiben Alexander Nicolai Wendt, Daniel Holt und Lisa von Stockhausen mich als Denkpsychologen in der Tradition der Würzburger Schule. Ich selbst sehe mich zwar als Denkpsychologe, kann aber der Zuordnung zu Traditionen nur schwer zustimmen. Aber natürlich habe ich das nicht zu entscheiden.

(2) Den Reigen der Beiträge beginnt mein früherer „Chef“ Jürgen Bredenkamp mit einer Rückschau auf 15 gemeinsam verbrachte Jahre an den Universitäten Trier und Bonn. Er beklagt zurecht die geringe Zahl gemeinsamer Publikationen und wünscht mir zu Beginn des achten Lebensjahrzehnt den Zauber, den jeder Anfang mit sich bringt. Danke, lieber Jürgen – ich habe viel von Dir gelernt!

(3) Annemarie Fritz, Walter Hussy und David Tobinski lassen die Trierer Zeit wieder aufleben: das EIS-Projekt von Walter Hussy war prägend für meinen damaligen Informationsverarbeitungsansatz. Dass ich mich zu keinem Paradigma bekenne, wird beklagt. Ob „Funkismus“ die richtige Betitelung wäre? Ich weiß es nicht. Eher nicht… Danke jedenfalls für die Erinnerungen!

(4) Jens Beckmann und Axel Buchner lassen unter dem Titel „Zeit mit Jofu: immer dynamisch, gelegentlich komplex, nie problematisch. Reminiszenzen zweier, die es wissen sollten“ alte Trierer und Bonner Zeiten in Dialogform wieder aufleben. Es werden dabei Erinnerungen wach, die ich schon fast verschüttet glaubte. Insbesondere Jens weist mit seiner Kritik an MicroDYN  und MicroFIN auf die Gefahren des psychometrischen Pragmatismus hin. Er kritisiert völlig zu Recht die Vielfalt der Verwendung des Begriffs „komplexes Problemlösen“. Und dass auch nach 40 Jahren Forschung nicht gesagt werden kann, was komplexes Problemlösen genau ist, bemängelt er zu Recht. Danke dafür!

(5) Susanne Guski-Leinwand macht in ihrem Beitrag „Ein Funkenschlag für die Geschichte der Psychologie“ ihren eigenen Kontakt mit mir wieder lebendig. Ich schätze ihre historischen Analysen sehr und bin ihr für ihre Initiative in Hinblick auf die Wundtbüste bis heute dankbar!

(6) Jochen Musch und Edgar Erdfelder schreiben über „Drei Jahrzehnte Gummibärenforschung: Entwicklungstrends und neue Ergebnisse“. Im ersten, erkennbar von Jochen Musch geschriebenen Teil, wird ein aktueller Überblick über den Stand der Gummibärenforschung gegeben, der insbesondere aktuellste Arbeiten zu ChatGPT – genauer gesagt, ChatGBT (Gummibären-Transformer) – beschreibt. Im zweiten Teil, erkennbar von Edgar Erdfelder geschrieben, wird eine empirische Untersuchung zum Nutzen von Gummibären berichtet. Damit löst Edgar ein 30 Jahre altes Versprechen ein, einen Beitrag zur Gummibärenforschung zu liefern. Eine von ihm durchgeführte Single-Case-Study (ich kenne sogar die Vp! Danke für deine Mitwirkung) zeigt, dass farbige Gummibären relativ zu farblosen durch eine positiv beschleunigte Nutzen-Funktion charakterisiert sind und der Grad der positiven Beschleunigung mit der beurteilten Schönheit der Gummibären korreliert. Damit ist klar: Neben ihrer reinen Anzahl hat allein die Farbe einer Menge von Gummibären maßgeblichen Einfluss auf ihren Nutzen. Natürlich hat die hier vorgenommene Nutzen-Skalierung auch einige Limitationen, die der Autor am Ende offen legt. Wie so oft gilt hier auch der Satz „further research is needed“. Danke Euch beiden!

(7) Der Beitrag von Bob Sternberg „The role of credulity in failed problem solving“ stellt die Leichtgläubigkeit (Credibility) als größtes Problem unserer heutigen Zeit dar. Er beschreibt die Mechanismen, mit denen Leichtgläubigkeit ausgenutzt werden kann. Zugleich führt er fünf Mechanismen an, mit denen man gegen Leichtgläubigkeit angehen kann, die wichtigste dabei: „truth matters“ – Wahrheit ist zentral. Wie wahr! – Bob: Wie schön, dass wir seit >30 Jahren „best friends“ sind!

(8) Beno Csapo, der tragischerweise im Juni 2023 bei einem Motorrad-Unfall ums Leben kam, beschreibt in seinem Beitrag  „The Nature of research on Problem Solving“ die Geschichte der PISA–Problemlöseforschung. Als jemand, der von Anfang an dabei war, beschreibt Csapo die zahlreichen Anstrengungen, PISA-Problemlösen auf neue Füße zu stellen. Ich habe beim Lesen viel gelernt über Dinge, die ich als Vorsitzender des Expertenrats gar nicht wusste. Es geht am Ende nicht nur um inhaltliche Aspekte der Problemlöse-Forschung, sondern auch um unsere Freundschaft. Wie traurig, dass er nicht mehr unter uns weilt! – Beno: Ich trinke ein Glas Rotwein (einen ungarischen Bock natürlich) auf die gute Zeit, die wir miteinander gehabt haben!

(9) Matthias Stadler (ein Doktorand meines früheren Mitarbeiters Samuel Greiff) beschreibt in seinem Beitrag “Die vier Wellen der psychometrischen Forschung zu komplexen Problemen“ das Konzept der operativen Intelligenz, den Fokus auf psychometrische Qualität sowie seine eigene Perspektive auf komplexes Problemlösen. Er schlägt vor, anstelle der Unterscheidung in statische und dynamische Probleme besser das Erkennen von Zusammenhängen zwischen den Elementen eines Problems in den Mittelpunkt zu stellen. Ein interessanter Vorschlag!

(10) In ihrem Beitrag „Die Problemlösung ist noch lange nicht die Lösung des Problems“ macht Annette Kämmerer anhand einer therapeutischen Fallstudie deutlich, dass sich problematische Situationen durchaus als komplexes Problem verstehen lassen. Für sie als Therapeutin steht allerdings im Zentrum immer die Entscheidung der Person, es nun anders machen zu wollen. Dafür ist Mut erforderlich, eine kognitive Analyse der Situation alleine reicht nicht. – Liebe Annette: Wie schön, dass uns das Thema Problemlösen zusammengeführt hat (es gab noch andere akademische Berührungspunkte, ich weiss)!

(11) Ben Roeg (das Pseudonym meines Lehrstuhl-Vorgängers Norbert Groeben) und Peta Panta (ein mir bislang unbekanntes Pseudonym) beschreiben unter dem Titel „Die Universität ist kein Wirtschaftsunternehmen!“ die fatale Entwicklung einer Exzellenz–Universität zu einem Wirtschaftsunternehmen. In Form fiktiver Blog-Einträge werden hier die Ökonomisierungstendenzen von Hochschulverwaltungen karikierend berichtet. Der letzte Blog-Eintrag 2077 behandelt allerdings den (realen) Fall der (in HD bereits 2014) geplanten Einführung einer Doktoranden-Karte und der anschließenden Entscheidung des Rektorats, dem Kritiker dieses Vorgangs eine Senior-Professur zu verweigern (in HD 2019 geschehen). Sehr amüsant! – Randbemerkung: meine Tätigkeit als Senatssprecher hatte anfangs viel mit diesem Thema zu tun: Der damalige Vorsitzende des Universitätsrates, Peter Bettermann, zur damaligen Zeit Sprecher der Unternehmensleitung der Freudenberg & Co. KG, wollte genau das, was im Beitrag beschrieben wird; was mich besonders geärgert hat, war sein Statement (sinngemäß): „Ich spreche nicht mit denen, deren Tätigkeit ich zu kontrollieren habe“. Zusammen mit dem Geographen Peter Meusburger kämpfte ich also für dessen Rücktritt. Wir wollten den Primat der Wissenschaft gegenüber der Ökonomie hochhalten (und haben es am Ende – Herbst 2012 – geschafft). – Der Text ist für eine Karikatur also sehr realistisch… Danke!

(12) Hilde Haider berichtet in ihrem Beitrag „Problemlösen und implizites Lernen“ über die Zusammenhänge zwischen komplexem Problemlösen und impliziten Lernen. Mitte der 1980er Jahre hat sie in Hamburg bei Rainer Kluwe promoviert, die Unterscheidung zwischen implizitem und explizitem Lernen spielte auch beim komplexen Problemlösen eine wichtige Rolle. Sie berichtet von eigener Forschung, nach der Versuchspersonen beim Lernen verborgener Regularitäten in komplexen Systemen von einer stimulus-gesteuerten zu einer top-down-gesteuerten Kontrolle wechseln. – Liebe Hilde: schön, Dich hier wiederzusehen! Wir haben uns seit Deinen Hamburger Tagen aus den Augen verloren. Das lag wohl mehr an mir als an Dir – sorry dafür!

(13) Mit dem Beitrag „Implicit learning across isoproblems in the Tower of London puzzles is impaired in patients with Parkinsons disease“ beleuchtet Amory Danek klinische Aspekte der Problemlöse-Forschung. Sie zeigt den Nutzen statischer Probleme am Beispiel des „Turm von Hanoi“ und anderer Turmtransformationsprobleme (Turm von London). Im Vergleich zwischen gesunden Kontrollpersonen und Patienten mit Parkinsonerkrankung zeigt sich eine schlechtere Leistung bei den Patienten, bedingt vor allem durch größeren Zeitbedarf beim Ausführen der Bewegungen. – Liebe Amory: Danke für Deinen Beitrag! Ich wünsche Dir weiterhin viel Erfolg, auch wenn ich hoffe, dass Du Dich zukünftig mit komplexeren Problemen als den „Türmen“ beschäftigst!

(14) Helen Fischer und Dorothee Amelung behandeln in ihrem Beitrag „Metacognition and climate change: Why dealing with politicized science requires self-insight“ die Notwendigkeit zur Meta-Kognition, wenn es um erfolgreiches Handeln im Kontext des Klimawandels geht. Das Verstehen komplexer Zusammenhänge setzt Sensitivität in Bezug auf das eigene Urteilsvermögen voraus. – Liebe Doro, liebe Helen: Wie gut, dass Ihr mir das Thema „Klima“ ans Herz gelegt habt! Das ist ein Anwendugsfeld komplexer Problemlösungsforschung, das sicher mehr Aufmerksamkeit verdient!

(15) In ihrem Beitrag „Pragmatics – A rich domain for the study of meta-reasoning“ zeigen Klaus Fiedler und Shira Elqayam die Bedeutung von Meta-Reasoning (= Nachdenken über das Denken) auf. Angefangen bei der „Wason Selection Task“ und über verschiedene andere Paradigmen hinweg machen die beiden Autoren klar, dass es häufig mehr als nur eine einzige richtige Lösung gibt und die Frage der Strategie-Auswahl darüber entscheidet, welche Wahrheit am Ende gilt. Wichtig hierbei ist die Erkenntnis, dass es (möglicherweise) mehr als eine Wahrheit gibt. Eine Konzeption von Rationalität gibt es nur unter Einbezug von Meta-Reasoning, so die Autoren. – Danke!

(16) Christine Blech liefert Antworten auf die Frage „Can self-explanations and thinking aloud promote performance at the Tower of Hanoi problem?“. In einer experimentellen Studie (N=89) mit einer Computerversion des „Turm von Hanoi“ untersucht sie den Einfluss von drei verschiedenen VerbaIisationsinstruktionen in Abhängigkeit vom selbst definierten Experten- oder Novizen-Status. Es zeigt sich, dass die Experten weniger Züge benötigen und schneller sind als Novizen. Außerdem zeigt sich ein moderierter Effekt der Verbalisation: Experten profitieren von selbst gegebenen Erklärungen. – Danke, liebe Christine, für Deinen Beitrag! Ich freue mich auf weitere Texte von Dir!

(17) Coty Gonzalez schreibt über „ Complex Problem Solving and Dynamic Decision Making: What is the difference?“. Sie macht zunächst deutlich, dass es einen Unterschied zwischen komplexer Kognition und komplexen Umwelten gibt. Dass es keine Taxonomie von Umwelten gibt,  moniert sie. Zentral für eine Unterscheidung von CPS und DDM ist für sie aber der Bezug zur Theorie und zu Vorhersage-Modellen. Im Falle von DDM sieht sie die „Instance Based Learning Theory“ als maßgebliche Bezugsgröße, im Falle von CPS die Dörner‘sche PSI-Theorie. Letztere sieht sie allerdings als zu unpräzise an, um algorithmische  Berechnungen durchführen zu können. – Liebe Coty: Wie schön, Dich hier vertreten zu sehen! Ich erinnere mich noch gut an meinen Besuch Deines Labs in Pittsburgh und an Deinen Besuch bei uns in Heidelberg! Ein für mich fruchtbarer Austausch!

(18) „Psychologische Theorien als finite Automaten“ heißt der Beitrag von Wolfgang Schoppek. Vor dem Hintergrund der Klage, dass zu wenig Auseinandersetzung auf der Ebene von Theorien stattfindet, unternimmt Schoppek den interessanten Versuch, Theorien als finite Automaten (ein Ansatz, den Axel Buchner und ich für die Problemlöseforschung vorgeschlagen haben) zu rekonstruieren. Er zeigt dies zunächst am Beispiel einer Selbstregulationstheorie, bevor er ein Beispiel aus der Problemlöse-Forschung vorführt. Seine Rekonstruktionen demonstrieren mehreres: Offensichtlich sind selbst einfache Theorien mit vielen Zustandsübergängen auszurüsten (was aber nicht geschieht). Außerdem wird deutlich, dass Theorien nicht den kompletten Zustandsraum beschreiben, sondern diesen gröblich unterspezifizieren. – Lieber Wolfgang: Dein Beitrag regt an, über die Zustände eines psychischen Systems (und über mögliche Übergänge) gründlicher nachzudenken. Eine super Idee! Da wäre ich gerne selbst daraufgekommen!

(19) Miriam Spering lotet in ihrem Beitrag „Human eye movements as indicators of complexity“ die Möglichkeiten der Blickbewegungsmessung zur Erfassung komplexer Kognition aus. Sie beschreibt zunächst anhand von einfachen Planungsaufgaben, welche Hinweise auf zu Grunde liegende Planungsprozesse abgeleitet werden können. Auch wenn bislang die meisten Paradigmen eher einfach ausfallen: Das Potenzial der Blickbewegungsmessung für die Analyse komplexer Probleme scheint noch nicht ausgeschöpft. Gerade zur Feststellung der Komplexität einer Aufgabenstellung könnte dieses Messverfahren gut geeignet sein. – Danke, liebe Miriam, für Deinen Beitrag! Ich stimme Dir zu, dass das Potenzial der Blickbewegungmessung für die Analyse komplexer Probleme noch nicht ausgeschöpft ist. Du könntest da noch einiges in Bewegung setzen. Ich bin gespannt!

Der Beitrag „Umweltpsychologie: Inter– und Transdisziplinarität und drüber hinaus“ von Lenelis Kruse-Graumann musste leider entfallen (in meiner Preprint-Sonderausgabe ist noch ein Platzhalter vorgesehen – wie auch für andere Beiträge…). Die Autorin war durch viele andere Verpflichtungen an der rechtzeitigen Ablieferung ihres Beitrags gehindert. Ich freue mich trotzdem – allein schon über ihren Wunsch mitzumachen (wie ich gehört habe, soll sie schon viel Material für den geplanten Beitrag bereitgelegt haben, bevor es dann zur Absage kam)! Liebe Lenelis: Wir schaffen es vielleicht erneut, einen gemeinsamen Beitrag zu verfassen, in den einige der damaligen Ideen einfliessen. Mal sehen! Dein Gastbeitrag von 2024 für diesen Blog gefällt mir sehr gut!

Bernd Reuschenbach hat seinen Beitrag „Textanalytische Auswertung der Blogbeiträge“ hier veröffentlicht.

Uff! Was für eine tolle Sammlung von Beiträgen ehemaliger Mitarbeitender, Weggefährten und Freunden und Freundinnen! Ich muss meine (kritische) Haltung zu Festschriften überdenken! Danke an alle, die sich hieran beteiligt haben! Das ist eine große Freude für mich (und war bestimmt eine Menge Arbeit für die Herausgebenden)!

Hier ist die Quellenangabe:

Wendt, A. N., Holt, D. V., & Von Stockhausen, L. (Eds.). (2025). Komplexität und Problemlösen. Festschrift für Joachim Funke zum 70. Geburtstag. Heidelberg University Publishing. https://heiup.uni-heidelberg.de/catalog/book/1067

Über den obigen Link kann man das PDF-Version kostenlos abrufen, die gedruckte Fassung kostet 45€.

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