Bücherverbrennung vor 90 Jahren

Am 17.5.1933 fand auf dem Universitätsplatz in Heidelberg die Verbrennung von Büchern jüdischer Schriftsteller:innen statt – schrecklich! Es wurden damals nicht nur Literaten geächtet, sondern auch Wissenschaftler wie Sigmund Freud, dessen Schriften wegen seiner Abstammung ebenfalls dem Feuer preisgegeben wurden…

Am 17. Mai 1933 verbrannten die nationalsozialistischen Studentenbünde auf dem Platz vor der Neuen Universität unter dem Beifall sowohl gleichgeschalteter Dozenten als auch einer großen Menschenmenge die Bücher der vom Hitlerregime verfolgten und vertriebenen Autorinnen und Autoren. Zur Erinnerung an diesen infamen Akt der Kulturzerstörung sowie zur Information über die heutige Unterdrückung von Schriftstellerinnen und Schriftstellern laden die Bürgerstiftung Heidelberg, der Freundeskreis Literaturhaus Heidelberg, der StudierendenRat und das Germanistische Seminar der Universität zu zwei Veranstaltungen ein:

Mittwoch, 17. Mai, 19 Uhr
»Literarische Freiheit in Gefahr«
Podiumsgespräch über die Verfolgung von Autorinnen und Autoren gestern und heute.
Hilde-Domin-Saal, Stadtbücherei Heidelberg, Poststraße 15.
Mit Prof. Dr. Dietrich Harth, Dr. Bettina Kaibach, Ralf Nestmeyer (PEN-Zentrum Deutschland) und Annika Reich (Projekt »Weiter Schreiben«).
Näheres unter http://literaturhausheidelberg.de/literarische-freiheit-in-gefahr/

Samstag, 20. Mai, ab 10 Uhr
Marathonlesung aus verbrannten Büchern.
Heidelberger Universitätsplatz (bei Regen in der Heuscheuer).
Eingeladen sind alle, die einen Text ausgewählt haben, die den Namen des Verfassers/der Verfasserin sowie den Titel des ausgewählten Textes auf ein Pappschild geschrieben und dieses gut sichtbar umgehängt haben https://buecherlesung.de/liste-der-verbrannten-buecher.
Näheres unter http://literaturhausheidelberg.de/marathonlesung/

Bei der Marathonlesung am Samstag 20.5.23 werde ich mich beteiligen. Ich lese Ausschnitte vor aus dem höchst aktuellen Briefwechsel zwischen Albert Einstein und Sigmund Freud zum Thema „Warum Krieg?“ (Quelle: Einstein, Albert & Freud, Sigmund 1996. Warum Krieg? Diogenes). Albert Einstein hatte mit seiner angeblich „jüdischen Physik“ in Heidelberg einen klaren Gegner: der Heidelberger Nobelpreisträger Philipp Lenard vertrat vehement die absurde Forderung nach einer „deutschen“ Physik! Auch Nobelpreisträger sind nicht vor Ideologien gefeit! Sigmund Freud verließ schwerkrank im Juni 1938 Wien (mit dem Orientexpress über Paris nach London, wo er am 23.9.1939 verstarb), um seiner drohenden Verhaftung durch Nazi-Schergen zu entgehen.

Meinungsfreiheit muss verteidigt werden! Schön, dass so viele sich um dieses Thema bemühen! In den USA werden Kinderbücher verboten (Link zum ZEIT-Artikel), ebenso in Ungarn (Link zum Welt-Artikel) – das ist auch schlimm!

siehe auch meinen Beitrag von 2019: https://joachimfunke.de/2019/03/03/erinnerung-an-buecherverbrennung-am-17-5-1933/ sowie das Büchlein: Harth, Dietrich (2011). Die Heidelberger Bücherverbrennung des Jahres 1933: Geschichte und Gedenken. Kurpfälzischer Verlag.

Nachtrag 23.5.2023: Die Veranstaltung war vom sonnigen Wetter verwöhnt, allerdings nicht mit vielen Besuchern gesegnet. Dabei wurden viele hörenswerte Texte vorgelesen. Der von mir vorgelesene Text (Auszug aus dem -längeren- Schriftwechsel) folgt hier nochmals zum Nachlesen.

Albert Einstein, Caputh, bei Potsdam, 30. Juli 1932.

Lieber Herr Freud! Ich bin glücklich darüber, dass ich durch die Anregung des Völkerbundes und seines Internationalen Instituts für geistige Zusammenarbeit in Paris, in freiem Meinungsaustausch mit einer Person meiner Wahl ein frei gewähltes Problem zu erörtern, eine einzigartige Gelegenheit erhalte, mich mit Ihnen über diejenige Frage zu unterhalten, die mir beim gegenwärtigen Stande der Dinge als die wichtigste der Zivilisation erscheint: Gibt es einen Weg, die Menschen von dem Verhängnis des Krieges zu befreien? Die Einsicht, dass diese Frage durch die Fortschritte der Technik zu einer Existenzfrage für die zivilisierte Menschheit geworden ist, ist ziemlich allgemein durchgedrungen, und trotzdem sind die heißen Bemühungen um ihre Lösung bisher in erschreckendem Maße gescheitert. …

eine letzte Frage: Gibt es eine Möglichkeit, die psychische Entwicklung der Menschen so zu leiten, dass sie den Psychosen des Hasses und des Vernichtens gegenüber widerstandsfähiger werden? Ich denke dabei keineswegs nur an die sogenannten Ungebildeten. Nach meinen Lebenserfahrungen ist es vielmehr die sogenannte >Intelligenz<, welche den verhängnisvollen Massensuggestionen am leichtesten unterliegt, weil sie nicht unmittelbar aus dem Erleben zu schöpfen pflegt, sondern auf dem Wege über das bedruckte Papier am bequemsten und vollständigsten zu erfassen ist. …

Freundlichst grüßt Sie Ihr A. Einstein

Sigmund Freud, Wien, im September 1932

Lieber Herr Einstein! Als ich hörte, dass Sie die Absicht haben, mich zum Gedankenaustausch über ein Thema aufzufordern, dem Sie Ihr Interesse schenken und das Ihnen auch des Interesses Anderer würdig erscheint, stimmte ich bereitwillig zu. Ich erwartete, Sie würden ein Problem an der Grenze des heute Wißbaren wählen, zu dem ein jeder von uns, der Physiker wie der Psychologe, sich seinen besonderen Zugang bahnen könnte, so dass sie sich von verschiedenen Seiten her auf demselben Boden träfen. Sie haben mich dann durch die Fragestellung überrascht, was man tun könne, um das Verhängnis des Krieges von den Menschen abzuwehren. Ich erschrak zunächst unter dem Eindruck meiner – fast hätte ich gesagt: unserer – Inkompetenz, denn das erschien mir als eine praktische Aufgabe, die den Staatsmännern zufällt. Ich verstand dann aber, dass Sie die Frage nicht als Naturforscher und Physiker erhoben haben, sondern als Menschenfreund, der den Anregungen des Völkerbundes gefolgt war. … Ich besann mich auch, dass mir nicht zugemutet wird, praktische Vorschläge zu machen, sondern dass ich nur angeben soll, wie sich das Problem der Kriegsverhütung einer psychologischen Betrachtung darstellt. …

Eine sichere Verhütung der Kriege ist nur möglich, wenn sich die Menschen zur Einsetzung einer Zentralgewalt einigen, welcher der Richtspruch in allen Interessenkonflikten übertragen wird. Hier sind offenbar zwei Forderungen vereinigt, dass eine solche übergeordnete Instanz geschaffen und dass ihr die erforderliche Macht gegeben werde. Das eine allein würde nicht nützen. Nun ist der Völkerbund als solche Instanz gedacht, aber die andere Bedingung ist nicht erfüllt; der Völkerbund hat keine eigene Macht und kann sie nur bekommen, wenn die Mitglieder der neuen Einigung, die einzelnen Staaten, sie ihm abtreten. Dazu scheint aber derzeit wenig Aussicht vorhanden. Man stünde der Institution des Völker Bundes nun ganz ohne Verständnis gegenüber, wenn man nicht wüsste, dass hier ein Versuch vorliegt, der in der Geschichte der Menschheit nicht oft – vielleicht noch nie in diesem Maß -gewagt worden ist. Es ist der Versuch, die Autorität – d. i. den zwingenden Einfluss -, die sonst auf dem Besitz der Macht ruht, durch die Berufung auf bestimmte ideelle Einstellungen zu erwerben. Wir haben gehört, was eine Gemeinschaft zusammenhält, sind zwei Dinge: der Zwang der Gewalt und die Gefühlsbindungen – Identifizierungen heißt man sie technisch – der Mitglieder. Fällt das eine Moment weg, so kann möglicher Weise das andere die Gemeinschaft aufrecht halten. Jene Ideen haben natürlich nur dann eine Bedeutung, wenn sie wichtigen Gemeinsamkeiten der Mitglieder Ausdruck geben. Es fragt sich dann, wie stark sie sind. …

Ich habe Bedenken, Ihr Interesse zu missbrauchen, das ja der Kriegsverhütung gilt, nicht unseren Theorien. Doch möchte ich noch einen Augenblick bei unserem Destruktionstrieb verweilen, dessen Beliebtheit keineswegs Schritt hält mit seiner Bedeutung. Mit etwas Aufwand von Spekulation sind wir nämlich zu der Auffassung gelangt, dass dieser Trieb innerhalb jedes lebenden Wesens arbeitet und dann das Bestreben hat, es zum Zerfall zu bringen, das Leben zum Zustand der unbelebten Materie zurückzuführen. Er verdiente in allem Ernst den Namen eines Todestriebes, während die erotischen Triebe die Bestrebungen zum Leben repräsentieren. Der Todestrieb wird zum Destruktionstrieb, indem er mit Hilfe besonderer Organe nach außen, gegen die Objekte, gewendet wird. Das Lebewesen bewahrt sozusagen sein eigenes Leben dadurch, dass es fremdes zerstört. Ein Anteil des Todestriebes verbleibt aber im Innern des Lebewesens tätig und wir haben versucht, eine ganze Anzahl von normalen und pathologischen Phänomenen von dieser Verinnerlichung des Destruktionstriebes abzuleiten. Wir haben sogar die Ketzerei begangen, die Entstehung unseres Gewissens durch eine solche Wendung der Aggression nach innen zu erklären. Sie merken, es ist gar nicht so unbedenklich, wenn sich dieser Vorgang in allzu großem Ausmaß vollzieht, es ist direkt ungesund, während die Wendung dieser Triebkräfte zur Destruktion der Außenwelt das Lebewesen entlastet, wohltuend wirken muss. Das diene zur biologischen Entschuldigung all der hässlichen und gefährlichen Strebungen, gegen die wir ankämpfen. Man muss zugeben, sie sind der Natur näher als unser Widerstand dagegen, für den wir auch noch eine Erklärung finden müssen. Vielleicht haben Sie den Eindruck, unsere Theorien seien eine Art von Mythologie, nicht einmal eine erfreuliche in diesem Fall. Aber läuft nicht jede Naturwissenschaft auf eine solche Art von Mythologie hinaus? Geht es Ihnen heute in der Physik anders? …

Wie lange müssen wir nun warten, bis auch die Anderen Pazifisten werden? Es ist nicht zu sagen, aber vielleicht ist es keine utopische Hoffnung, dass der Einfluss … der kulturellen Einstellung und der berechtigten Angst vor den Wirkungen eines Zukunftskrieges, dem Kriegführen in absehbarer Zeit ein Ende setzen wird. Auf welchen Wegen oder Umwegen, können wir nicht erraten. Unterdes dürfen wir uns sagen: Alles, was die Kulturentwicklung fördert, arbeitet auch gegen den Krieg.

Ich grüße Sie herzlich und bitte Sie um Verzeihung, wenn meine Ausführungen Sie enttäuscht haben.

Ihr Sigmund Freud

Interessant sind für mich als Theoretischen Psychologen neben den inhaltlichen Ausführungen Freuds Bemerkungen über die Rolle der Theorie. Physik und Psychologie stehen ja eng beieinander (nicht nur wegen der Psychophysik).

Und zum Schluss ein (open access) Literaturhinweis über den Weg der Heidelberger Uni in die Nazi-Zeit: Schroeder, K.-P. (2021). Die Heidelberger Universität auf dem Weg in das „Dritte Reich“. Arnold Paul Ruge, Philipp Lenard – Emil Julius Gumbel. heiBOOKS. https://doi.org/10.11588/heibooks.840

Der „Klassiker“ zum Thema Nationalsozialismus an der Uni HD bleibt natürlich: Eckart, W. U., Sellin, V., & Wolgast, E. (Hrsg.). (2006). Die Universität Heidelberg im Nationalsozialismus. Springer.

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