Klimaneutrale Hochschulen

Klimaneutralität (oder noch schöner: „Netto-Treibhausgasneutralität“) ist ein Wort, das angesichts der Klimadebatten in vielen Kontexten zu hören ist. Der Discounter Aldi-Süd etwa wirbt – durchaus umstritten – damit, „klimaneutral zu handeln“. Der Webhoster Strato kündigt „Klimaneutralität ab sofort“ an. Häufig verbergen sich hinter den hübschen Bezeichnungen lediglich Kompensationen (eine Art Ablasshandel), die die unveränderte CO2-Ausstoßbilanz kaschieren – aber das Thema steht immerhin auf der Vorstandsagenda.

Gemeint ist mit Klimaneutralität das Gleichgewicht zwischen anthropogenen Treibhausgasemissionen (aus sog. „Quellen“) und  dem Abbau solcher Treibhausgase (durch sog. „Senken“), also: es darf nur soviel CO2 emittiert werden, wie auch wieder abgebaut werden kann.

Das seit 2013 geltende Klimaschutzgesetz (KSG) des Landes Ba-Wü wird gerade einer Novellierung unterzogen (siehe hier). Dazu heisst es begleitend:

„Das Klimaschutzgesetz Baden-Württemberg soll nicht mehr nur eine ambitionierte Reduzierung von Treibhausgasemissionen bezwecken, sondern auf die Herbeiführung von Klimaneutralität im Land gerichtet sein. Als langfristiges Ziel löst die Netto-Treibhausgasneutralität bis zum Jahr 2040 aus diesem Grund das seither bestehende Reduktionsziel von 90 Prozent bis zum Jahr 2050 ab.

Im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Bundes-Klimaschutzgesetz wird das Zwischenziel des Landes für das Jahr 2030 ebenfalls deutlich angehoben auf nunmehr minus mindestens 65 Prozent im Vergleich zu 1990. Die Landesverwaltung soll ihre Vorbildfunktion im Klimaschutz noch engagierter wahrnehmen als bisher und sich bereits bis zum Jahre 2030 klimaneutral organisieren.“

Wow! Bis 2030 soll in den Landesverwaltungen Klimaneutralität hergestellt werden! Was das bedeutet? Da wohl auch die Hochschulen des Landes Teil der Landesverwaltung sind (oder sind sie „Selbstverwaltungskörperschaften“ nach §8 Abs. 1 LHG, wie mir eine kundige Leserin dieses Blog gerade nahelegt, und damit nicht betroffen?), gilt es ab demnächst (vermutlich) auch für Hochschulen, den „Pfad der Klimaneutralität“ einzuschlagen. Sind die Unis nicht ohnehin schon Vorreiter? Denn wo sonst sitzt das Know-How und die Kompetenz?

Pustekuchen… Zwar gibt es verschiedene „Beauftragte“ an der Uni Heidelberg, zwar gibt es ein „Heidelberg Center for the Environment„, aber ein eigenständiges Berichtswesen in Sachen Nachhaltigkeit fehlt bislang. Energetische Sanierung von Gebäuden, Wärmerückgewinnung, Reduktion von Flugreisen (z.B. das Vorbild-Projekt „Fly Less“ der ETH Zürich, einer Exzellenz-Uni): all das könnte (muss!) optimiert werden! An der Nachbaruni Mannheim gibt es inzwischen ein eigenes Prorektorat „Nachhaltigkeit“ (ein Green Office sozusagen). Auch der Forderungskatalog der Heidelberger „Students for Future“ an die Uni Heidelberg von 2019 gibt Hinweise auf notwendige Veränderungen. Und natürlich sollte all das Auswirkungen auf die laufende Masterplanung INF haben…

Es ist schade, dass Exzellenz-Unis wie die unsere (noch) nicht im Sinne eines Vorbilds demonstrieren können, wie Exzellenz und Nachhaltigkeit gemeinsam zu erreichen sind. Man hat den Eindruck, als gelte die Devise: Erst kommt die Exzellenz, dann die Nachhaltigkeit. Aber stimmt das? Große Exzellenzunis zeigen, dass zwischen Exzellenz und Nachhaltigkeit kein „oder“ gesetzt werden muss. Jetzt kommen wir vermutlicb durch die geplanten administrativen Vorgaben des KSG in die Rolle eines Getriebenen, statt proaktiv die Rolle des Treibers auszufüllen. Übrigens sind einige Hochschulen im Ländle schon ganz gut aufgestellt…

Die Scientists for Future, die sich für klimaneutrale Hochschulen stark machen, möchten in Anlehnung an die Hamburger Erklärung der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) vom 4. Juni 2021 folgende Punkte in Vereinbarungen zwischen der Landesregierung und den Hochschulen geklärt sehen: (a) klare Anforderungen an hochschulspezifische Energie- und Klimaschutzkonzepte (Reduktionspfade mit Angabe der Optimierungspotenziale sortiert nach CO2-Vermeidungskosten), (b) maximale Transparenz, was die Investitionen und Lebenszykluskosten für klimaneutrale Hochschulen angeht, (c) Grundlagen für ein Monitoring, so dass die Fortschritte der Hochschulen untereinander vergleichbar sind, (d) Beschreibung zentraler Instrumente und Maßnahmen, mit denen der klimaneutrale Betrieb angestrebt wird (u.a. CO2-Schattenpreis), (e) verbindliche Angabe von Mechanismen, wenn Ziele verfehlt werden, (f) Empfehlungen für die Governance in der Hochschule und (g) für die Governance des Gesamtprozesses.

siehe auch meinen Blog-Beitrag „CO2-neutrale Universitäten, Nachhaltigkeit & Bilanzen“ sowie „Nachhaltigkeit als Thema im Senat

Nachtrag 12.10.21: Gerade ist eine vom BMBF finanzierte Studie („Ariadne Szenarien-Report„) erschienen, die Transformationspfade zur Klimaneutralität 2045 erstmals im Modellvergleich ausrechnet. Die Studie von mehr als 50 Forschenden aus mehr als 10 Instituten belegt: Die Stromerzeugung aus Wind und Sonne müsste bis 2030 etwa 50 % größer sein, als bislang angepeilt. Der Ausstieg aus der zunehmend unwirtschaftlichen Kohle würde auf einem Kurs zur Klimaneutralität bereits um 2030 erfolgen müssen. Erhebliche zusätzliche Kraftanstrengungen sind notwendig, um die Sektorziele für Industrie, Gebäude und Verkehr zu erreichen.

Und noch ein Nachtrag (ich zitiere aus Gabor Steingarts „Morning Briefing„):

69 deutsche Konzerne haben einen Appell unterzeichnet, der größere Anstrengungen von der nächsten Regierung in Sachen Klimaschutzverlangt. Im Zentrum des von der „Stiftung 2 Grad“ initiierten Schreibens stehen sechs Forderungen. So soll das nächste Kabinett unter anderem in den ersten 100 Tagen eine „Umsetzungsoffensive für Klimaneutralität“ vorlegen. Zudem soll die Regierung dafür sorgen, dass Klimaschutztechnologien markt- und wettbewerbsfähig gemacht werden. Weiter fordern die Konzerne eine Vereinfachung der Genehmigung klimafreundlicher Infrastrukturen.

Zu den Unterzeichnern des Schreibens gehören die Vorstände von SAP, Adidas, Allianz und Bayer. Zusammen beschäftigen die 69 Unternehmen hierzulande mehr als eine Million Mitarbeiter, weltweit sind es über fünf Millionen Menschen. Der globale Umsatz der Konzerne beläuft sich auf etwa eine Billion Euro.

Wenn das mal kein klares Signal ist! Die international agierenden Konzerne haben verstanden, dass ihr Erfolgspfad ein Nachhaltigkeitspfad sein muss! Green Deal also auch hier. Es wird Zeit, dass das auch für international agierende Hochschulen gesagt werden kann!

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