Online-Lehre in Zeiten von Corona

Obwohl ich ein vehementer Verfechter der Präsenzlehre bin (siehe meinen Blogbeitrag von 2016 „Lob der Vorlesung„), habe ich notgedrungen meine Vorlesung „Einführung in die Erkenntnistheorie – Philosophy of Psychology“ für das am 2.11. beginnende WS 2020/21 auf ein Online-Format umgestellt. Meine Vorlesungsfolien stehen für unsere Studierenden in unserer Heidelberger Unterrichtsplattform „Moodle“ zusammen mit einer Videospur, in der meine Kommentare zu hören und zu sehen sind.

Was mir bei der Aufzeichnung aufgefallen ist:

  1. Ich bin vor der Kamera viel weniger redundant! Wo ich im Hörsaal angesichts erstaunter Gesichter einen Gedanken nochmals anders phrasiert habe, bleibt es jetzt bei einmaliger Aussage (dafür kann man jetzt zurückspulen und sich schwierige Sätze nochmals anhören…).
  2. Und ich habe deutlich weniger Geschichten erzählt – im Hörsaal schweifte ich gelegentlich ab, habe Anekdoten erzählt, kam „vom Hölzchen aufs Stöckchen“ (der „Rheinländer“ in mir; das wurde in Lehr-Evaluationen auch mehrfach moniert). Online bin ich viel fokussierter, viel kürzer. Ich glaube allerdings: Da geht was verloren!
  3. Das Hin-und-Her-Laufen im Hörsaal: Das hat mir am Anfang massiv gefehlt! Vor der Kamera still zu sitzen: Wieviel Bewegung braucht freies Denken? Im Hörsaal entfalten sich manche Gedanken leichter beim Auf-und-Ab-Gehen. Ich empfehle den Artikel von Dieter Schulz (2018), Wandern und Methode. Ich brauche offensichtlich Hände und Füße zum Denken… (das sagt übrigens Susan Goldin-Meadows schon lange!)
  4. Ich bin vorsichtiger in meinen Bewertungen. Habe ich im Hörsaal ohne Aufzeichnung manchmal „Tacheles“ geredet, halte ich jetzt verstärkt meine Zunge im Zaum  – wer weiss, wer das Video zu Gesicht bekommt… (es ist mit einem Passwort geschützt).
  5. Schließlich will ich nicht verhehlen: Am Ende, mit einiger Übung im Hintergrund (und mit manchem Lehrgeld, das ich zahlen musste), hat es mir richtig Spass gemacht. Hier zB. mein Vorstellungsvideo für die Teilnehmenden an meiner Vorlesung: https://youtu.be/FzjBEb3raUU (habe mich in der Videosoftware Camtasia ausgetobt 🙂
  6. Ich mag das Gefühl der Nachhaltigkeit – die jetzt erstellten Aufnahmen könnten mich prinzipiell „überleben“. Wer weiss, wie lange Inhalte zur Erkenntnistheorie noch gelehrt werden – im Zuge der Umstellung unserer Studiengänge sind manche Inhalte beschnitten worden (es geht der Erkenntnistheorie damit ähnlich wie der Geschichte der Psychologie).
  7. Damit verbunden ist das Problem der „Zeitlosigkeit“: Aktuelle Entwicklungen kommen nicht mehr zur Sprache – der Status Quo ist „eingefroren“. Ein konservatives Element, das mir eigentlich nicht gefällt.
  8. Die „Anschlußkommunikation“ (ein Konzept von Norbert Groeben) fehlt: Es gibt keinen kolloquialen Austausch mit den Zuhörenden, die im Hörsaal oft am Ende der Vorlesung nach vorne kamen, um kleine Kommentare zu machen oder vertiefende Fragen zu stellen.

Und natürlich ist dies nur die Produzentensicht – wie es auf Rezipientenseite aussieht, werde ich in ein paar Wochen bzw. Monaten sehen.

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