Nachhaltigkeitsbildung aus Sicht komplexer Probleme

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Im letzten Jahr erhielt ich eine Anfrage von Thomas Pyhel (Abteilung Umweltkommunikation und Kulturgüterschutz bei der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, DBU), ob ich nicht einen Beitrag für sein geplantes Buch über Komplexität schreiben könnte, mit einem Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit. Nach kurzer Überlegung habe ich zugesagt. Nachhaltigkeit halte ich für ein gesellschaftlich sehr wichtiges Thema (es taucht in meinem Blog regelmäßig auf, siehe hier), erst im letzten Sommer hatte ich es gerade in den Senat und den Universitätsrat eingebracht.

Mangelnde Nachhaltigkeit beim Bauen hat z.B. dazu geführt, dass eine Reihe von Gebäuden im Neuenheimer Feld, die in den 1970er Jahren errichtet wurden, heute schon wieder – nach nur 40jähriger Nutzung – abbruchreif sind. Mein eigenes Büro befindet sich dagegen in einem Gebäude von 1850 (Alte Anatomie), wo man damals offensichtlich für eine kleine Ewigkeit gebaut hat. Zugegeben: auch unser historischer Altbau könnte an manchen Stellen eine Sanierung vertragen, wenn Bund und Land etwas mehr Geld für den Hochschulbau und die Gebäudeerhaltung in die Hand nehmen würden und den Sanierungsstau auflösen würden (hier ein paar klare Worte unseres Rektors zum Thema Sanierungsstau in Heidelberg). Zur Nachhaltigkeit gehört eben die Pflege des Bestands dazu! Der Rettung notleidender Banken und Banker wurde seinerzeit größere Priorität eingeräumt. Ob diese Hilfe einen nachhaltigen Effekt hatte, darf aus heutiger Sicht bezweifelt werden.

Beim Nachdenken über das zu schreibende Kapitel wurde mir schnell klar, wie gut meine Überlegungen zum Umgang mit Komplexität und Unsicherheit auf das Thema „Nachhaltigkeit“ passen. Vor kurzem erst haben wir (Andreas Fischer, Daniel Holt und ich) über Systemkompetenz geschrieben, die unserer Meinung nach im Bildungssystem des 21. Jahrhunderts nicht fehlen darf – der richtige Umgang mit Zeit und zeitlichen Verläufen gehört natürlich dazu. Über das Heute hinaus an das Morge“ und vor allem an das Übermorgen zu denken, ist nicht ganz einfach, dabei gilt doch der Satz: „Heute ist morgen schon gestern“ – aber „Übermorgen“ kommt in diesem Bonmot gar nicht erst vor.

Auch wenn wir in der psychologischen Forschung viel über die Fehler im Umgang mit Komplexität und Unsicherheit sprechen, ist das kein Anlaß zum Pessimismus oder zur Annahme, dass Menschen aus prinzipiellen Gründen nicht zu nachhaltigem Handeln fähig seien. Im Gegenteil gibt es allen Grund zum Optimismus: Menschen können prinzipiell nachhaltig denken und handeln – die Geschichte kennt zahlreiche Beispiele dafür, und das nicht erst seit Carl von Carlowitz 1713 sein Buch über die nachhaltige Baumzucht veröffentlicht hat, in dem der Begriff „Nachhaltigkeit“ erstmals auftaucht.

Für die psychologische Forschung ist heute klarer als zuvor, dass Nachdenken über Nachhaltigkeit an bestimmte Prämissen gebunden ist. In fünf Abschnitten werden in meinem Artikel folgende Aspekte vertieft, die man zur Bildung für Nachhaltigkeit nutzen kann: (1) Erfahrung geht über Analyse; (2) soziale Wesen beachten Gruppennorm; (3) »In die Augen, in den Sinn«; (4) »Framing«: Keiner mag Verluste; (5) Intrinsische Motivation ist wichtiger als extrinsische. Entsprechend diesen Empfehlungen heisst es abschließend mit Bezug zur Vermittlung einer Nachhaltigkeitseinstellung zum Klimawandel: „Eine bessere Strategie vor dem Hintergrund psychologischer Forschung sollte daher Klimawandel (a) als ein persönlich erfahrbares, lokales und präsentes Risiko darstellen anstatt auf weit entfernte Regionen oder weit in der Zukunft liegende Ereignisse zu verweisen; (b) den Hebel sozialer Gruppennormen nutzen; (c) die Gewinne aus sofortigem Handeln verdeutlichen anstatt die Schrecken der Zukunft auszumalen; (d) die intrinsische Langzeitmotivation zu umweltbewusstem Handeln stärken anstatt primär durch extrinsische Anreize das Verhalten zu beeinflussen.“

Hier die Zusammenfassung des kurzen Kapitels:

Aus psychologischer Sicht ist das Thema »Nachhaltigkeit« mit zahlreichen Herausforderungen belastet. Dies illustrieren beispielhaft die folgenden Fragen: Wie kommt es, dass wir trotz besseren Wissens nicht unseren Einstellungen entsprechend handeln? Sind wir mit unserem Verstand überhaupt für das Erfassen derartiger Komplexität gerüstet? Denken wir mehr an das »Hier und Jetzt« als an die ferne Zukunft? Das Wissen aus der Psychologie über menschliche Fehler im Umgang mit komplexen Situationen hilft bei der Entwicklung realistischer Erwartungen.

Und hier die Quellenangabe:

Funke, J. (2018). »Wie soll man da durchblicken?«  Psychologische Aspekte einer Nachhaltigkeitsbildung. In T. Pyhel (Ed.), Zwischen Ohnmacht und Zuversicht? Vom Umgang mit Komplexität in der Nachhaltigkeitskommunikation (pp. 49–57). München: Oekom. (zum Download auf meine Webseite mit den Publikationen gehen oder das kleine Bild rechts oben anklicken).

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