Grenzen der Toleranz

Mich hat eine Nachricht erreicht, die mich beunruhigt: An „meiner“ Universität soll eine anti-israelische Veranstaltung stattfinden. Normalerweise halte ich mich in meinem Blog aus politischen Diskussionen heraus, aber hier ist die interessante Frage berührt: Wie viel Raum soll an einer Universität denjenigen gegeben werden, die von vornherein nur ihre Ideologie vertreten wollen und letztlich nicht offen sind für eine faire Diskussion.

Hier die Nachricht, dessen Verfasser mir bekannt ist und die ich weiter unten kommentiere (sie wurde am 5.6. geringfügig in Bezug auf anonymisierte Namen bearbeitet):

—- Beginn der Nachricht —-

Kurze Anmerkungen zur Einladung von Aktivisten, die die Vernichtung Israels befürworten, als Gastredner der Universität Heidelberg

In verschiedenen Städten organisieren Aktivisten Demonstrationen mit Hassreden, die auf die Vernichtung des Staates Israel und die Diffamierung von Juden abzielen. Kleine Gruppen solcher Aktivisten haben derartige politische Demonstrationen auch in einzelne Universitäten im In- und Ausland getragen, teils gepaart mit Besetzungen, Sachbeschädigungen, Beleidigungen bis hin zu Angriffen auf jüdische Studenten. So weit entfernt von einer kritischen, wissenschaftlichen Analyse und Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Positionen solche Aktivitäten auch sind, so wurden sie doch an manchen Universitäten auch von einer kleinen Anzahl von ‚Lehrenden‘ toleriert oder gefördert. Die Universität Heidelberg war bisher nicht mit einer solchen Agitation in ihrem eigenen Lehr- und Forschungsbetrieb konfrontiert. 

Die nachfolgenden Fakten geben Anlass zu der Sorge, dass die Universität Heidelberg – bei allem guten Willen der Universitätsorgane – nicht auf allen ihren Ebenen gegen die Einladung von Agitation und Propaganda durch Unterstützer der Hamas geschützt ist: Am kommenden Dienstag, dem 4. Juni 2024, sollen zwei solche Propagandisten als Sprecher in einer online durchgeführten ‚Guest Lecture‘ an der Uni Heidelberg auftreten. 

Überblick:

1. Die Einladung

Im Rahmen des englischsprachigen Masterstudiengangs „M.A. Transkulturelle Studien“ findet an der Universität Heidelberg ein Seminar zum Thema „Islam: Religious Dynamics in Online Spaces“ statt. Veranstalter ist das Heidelberger Centrum für Transkulturelle Studien (HTCS), Kursleiterin ist Frau Dr. X.

Als Teil des Seminars, aber als besonderes Event geplant,  wurde zu einer Gastvorlesung am 4. Juni 2024 von 18 bis 20 Uhr eingeladen. Die Einladung ist wie ein Plakat des HTCS aufgemacht. Es sieht eine Öffnung für zusätzliche Teilnehmer und Teilnehmerinnen, sofern diese sich vorher mit Email bei der Kursleiterin Frau Dr. X registrieren; die Einladung wirbt mit dem zusätzlichen Angebot von „Snacks and Drinks“ zu dem Seminar.

Die Einladung lautet:

„We are pleased to invite you to
Guest Lecture: Palestinian Activism and (German) Media
Join us for a lecture and discussion with
Hebh Jamal
and
Mahmoud O. (Zaytouna.RNK).
This event is part of the Seminar
‚Islam: Religious Dynamics in Online Spaces‘
and capacity is limited.
If you are not a student in this Seminar,
please send an Email to
xxx@hcts.uni-heidelberg.de
to register
… Snacks and drinks will be provided !“

Das Einladungsschreiben wurde durch eine radikale Aktivistenorganisation mit dem Namen Zaytuna im Internet mit dem Zusatztext veröffentlicht: 

„2 unserer Leute werden am 4.06. an der Uni Heidelberg sprechen. Die Veranstaltung ist für jeden öffentlich, kommt vorbei!“,

Diesem Text folgen Bilder einer Faust und einer Palästinafahne.

Ein Foto dieser Einladung samt Zusatztext ist als Anlage 1 beigefügt. 

Nach Auskunft des Prorektors stammt dieser Teilnahmeaufruf nicht von der Universität Heidelberg, sondern ist privater Natur. 

Offen ist, ob die ausgesprochene Einladung an Nicht-Seminarteilnehmer (sofern diese sich durch Email bei der Kursleiterin registrieren) von der Kursleiterin Frau Dr. X stammt, oder ob diese ohne Kenntnis von Frau Dr. X von der Zaytuna in den Text aufgenommen wurde. 

2. Die Referenten

Die beiden Referenten  dieser „Gastvorlesung“ sind zum einen  Frau Hebh Jamal und zum anderen Herr Mahmoud O., dessen Nachname vom HCTS nicht genannt wird. Angeführt wird weiter deren Organisation im Rhein-Neckar-Kreis mit den Namen „Zaytouna.RNK“. 

Die Referenten setzen sich sämtlich für die gewaltsame Beseitigung des Staates Israel ein. Frau Jamal hält diese gewaltsame Beseitigung („decolonization“) für „ugly, but it is absolutely necessary“.  Herr Mahmoud O. hält das Verbot der Hamas in Deutschland für nicht nachvollziehbar. Eine Zusammenstellung von Informationen über die Referenten mit weiteren Nachweisen ist als Anlage 2 beigefügt.

3. Korrespondenz zwischen Universität Heidelberg und dem Kantor der Jüdischen Gemeinde Mannheim

Der Kantor der Jüdischen Gemeinde Mannheim machte die Seminarleiterin Dr. X mit Mail vom 27.05.2024 auf die massiven Vorbehalte gegen solche Gastredner aufmerksam, die die Verbrechen der Hamas und ihrer Unterstützer vom Oktober 2023 relativieren, den Boykott Israels und die Vernichtung des Staates Israel propagieren, und verlangte eine Absage dieser Veranstaltung. 

Die Frau Rektorin Prof. Dr. Melchior sowie der Direktor des HCTS Prof. Dr. F., der Geschäftsführer Dr. L., der Studienprogrammkoordinator Dr. M. sowie die RNZ wurden in Kopie gesetzt.

Der Sprecher des Board of Directors des Heidelberger Centrums für Transkulturelle Studien (HTCS), Herr Prof. Dr. F., antwortete dem Herrn Kantor mit Email vom 29.05.2024 und legte dar, dass die Universität einen kritischen Raum für einen Dialog und eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Referenten, die „Pro-Palästinensische“ Positionen vertreten, biete. Er legte weiter dar, dass die Universität die Meinung der BDS-Bewegung ablehnt und alles tun wird, die Sicherheit ihrer jüdischen Studierenden sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewährleisten.

In seiner Erwiderung vom gleichen Tag machte der Herr Kantor Herrn Prof. Dr. F. darauf aufmerksam, dass es in keiner Weise um die Ausladung von Referenten mit „pro-palästinensischen Positionen“ geht, sondern darum zu verhindern, dass die Universität Heidelberg zwei BDS- und Hamas-Unterstützern ein Forum zur Verbreitung ihrer Propaganda ohne Gegenrede vor internationalen Studenten bietet.

4. Stand Ende Mai 2024

Herr Prof. Dr. F. informierte den Herrn Kantor darauf am Abend des 29. Mai 2024, dass die geplante Gastvorlesung nur für eingeschriebene Seminarteilnehmer zugänglich sein kann und dass sie aus Sicherheitsgründen darüber hinaus nur online stattfinden wird. 

Bei der angestrebten Vermittlung einer kritischen Analyse und Einordnung von kontroversen Positionen eines komplexen Themas durch das Seminar erscheint die Beschränkung des Teilnehmerkreises auf Studenten der Universität und insbesondere auf eingeschriebene graduierte Seminarteilnehmer als sachgerecht. 

Im Hinblick auf die unautorisierte öffentliche Einladung in Aktivistenkreisen zu dieser Gastvorlesung im Rahmen des Seminars ist auch die Verlagerung der Veranstaltung in einen Online-Bereich der Universität nachvollziehbar. Wir sehen allerdings auch das Risiko, dass bei einer online-Veranstaltung unautorisierte Aufzeichnungen erfolgen und irreführende oder aus dem Zusammenhang gerissene Ausschnitte zur Propaganda der Aktivisten im Netz genutzt werden könnten.

Es erscheint – mit der vorgenannten Einschränkung – gleichwohl als sehr positiv, dass Herr Prof. Dr. F. und das HCTS der Universität Heidelberg diese Eingrenzung der geplanten Veranstaltung entschieden haben. Jedoch:

Fazit

Es bleibt die Irritation, dass in der Veranstaltung nicht der Seminar-Gegenstand selbst von den graduierten Seminarteilnehmern analysiert wird, nämlich die Aktivitäten palästinensischer Aktivisten im Kontext der deutschen Medien. Hierzu gäbe es jede Menge an Material. 

Stattdessen wählt das HCTS zwei solche palästinensische Aktivisten aus, die die brutalen Verbrechen der Hamas und weiterer Palästinenser an ihren israelischen Nachbarn abstreiten oder relativieren und teils als „ugly, but absolutely necessary“ ansehen und es sich zur Aufgabe gemacht haben, eine derartige Propaganda in der Öffentlichkeit zu verbreiten. 

Statt eine solche Propaganda mit ihren social-media-Kanälen und ihren psychologischen Methoden sowie ihrer Hetze gegen deutsche Presseorgane und Medien zum Gegenstand einer kritischen Analyse und Einordnung durch die Studenten zu machen, bietet die Universität Heidelberg im Rahmen dieses online-Seminars diesen beiden Aktivisten nach wie vor einen Status als Gastredner und ein Forum vor Studenten. Damit lädt sie indirekt dazu ein, dass sich der Fokus der Aktivistengruppen ihrer Gastredner weiter auf die Ruperto Carola konzentriert.  

All dies erscheint als ein peinliches Versagen einer offenen, kritischen Universität. Es ist darüber hinaus schwer vorstellbar, dass es bei dieser Veranstaltung nicht auch zu weiteren Grenzüberschreitungen kommt.  

Eine Absage der „Guest Lecture“ wäre nach wie vor für die Universität Heidelberg und die Gesellschaft besser. 

—- Ende der Nachricht —-

Warum mich diese Nachricht beunruhigt hat? Ich hatte bislang gedacht, dass die Universität Heidelberg sich in diesen schwierigen Zeiten aus der Politik heraushalten könnte. Darin habe ich mich wohl getäuscht.

Ich selbst finde das Geschehen auf beiden Seiten grausam und wünschte, es könnte sofort beendet werden. Als Mensch mit Toleranzbedürfnis würde ich mir zudem wünschen, dass wir friedlich und respektvoll auch mit Andersdenkenden umgehen!

Was die Frage der Diskussion betrifft, halte ich die Position von Jaster und Keil (2022, S. 491) für richtig: „Es spricht wenig dafür, das Tischtuch selbst zu zerschneiden, solange jemand sich auf gemeinsame Mindeststandards einer zivilisierten Debatte verpflichten lässt.“ Dies bedeutet: Es kommt auf die „Gestaltung des Diskursraums“ (Jaster & Keil, 2022, S. 490) an.

Quelle: Jaster, R., & Keil, G. (2022). Wer muss draußen bleiben? Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 70(3), 474–491. https://doi.org/10.1515/dzph-2022-0029

Nachtrag 4.6.24: Die „Jüdische Allgemeine“ berichtet am 4.6. über den Vorgang hier. Und die Leitung der Universität Heidelberg hat am 4.6. das hier entschieden. Die RNZ berichtet am 6.6. hier.

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