Kaum zu fassen: Das „World Wide Web“ (WWW) wird 30 Jahre alt! Es ist so selbstverständlich geworden (wie das Smartphone), und ich kann mir eine Welt ohne WWW fast gar nicht mehr vorstellen, obwohl ich das ja noch erlebt habe (ich habe auch als i-Dötzchen 1959 meine ersten Schreibübungen noch mit einem Griffel auf einer Schiefertafel gemacht, die man mit einem kleinen Schwämmchen sauber wischen konnte).
Als das WWW 1993 startete, war ich als Assistent an der Uni Bonn tätig. Ich hatte damals ein EU-Projekt (KAUDYTE) eingeworben (da gab es noch eine spezielle Währung, ECU genannt, was einige Schwierigkeiten in der tagesaktuellen Umrechnung auf DM und andere nationale Währungen machte) und war froh, mit den Partnern In Großbritannien, Belgien, Frankreich und Griechenland via E-Mail kommunizieren zu können. Das Emailen startete schon einige Jahre zuvor und war ein enormer Gewinn für die Kommunikation untereinander. Allerdings gab es im gesamten Bonner Psychologischen Institut (damals noch im 4., 5. und 6. Stock in der Römerstr 164 untergebracht) anfangs nur 1 Terminal, an dem man emailen konnte…
Mein erster Browser hieß „Netscape“ (der hat im Browserkrieg leider verloren). Das war mit einem Schlag das Tor zur Welt, und ich fing damals an, Listen interessanter Web Adressen zu erstellen und mit anderen auszutauschen. Mit Thomas Krüger, einem Kollegen an der Uni Bonn, startete ich damals den ersten Web-Auftritt eines psychologischen Instituts in der BRD unter der bis heute gültigen Web-Adresse: www.psychologie.uni-bonn.de. An einem aus Projektgeldern beschafften Mac konnte eine (kostenpflichtige) Server-Software eingerichtet werden, die uns als „Spielfeld“ diente. Zusammen mit Thomas Krüger schrieb ich damals auch für „Psychologie Heute“ eine monatliche Internet-Kolumne (in gewissem Sinn ein Blog-Vorläufer), die später als Buch erschien (Krüger, T., & Funke, J. (1998). Psychologie im Internet. Ein Wegweiser für psychologisch interessierte User. Beltz Verlag). Man tippte die URLs einfach ab…
Erstaunlich schnell wurden wir zu Experten des WWW, wir lernten HTML und betrieben Forschung dazu. Meine damalige Projektmitarbeiterin Heike Gerdes schrieb ihre experimentell orientierte Dissertation 1997 zum Thema „Lernen mit Text und Hypertext“ (bei Pabst Science Publisher 2003 erschienen). Mit Heike betrieb ich auch die scherzhaft gemeinte Webseite „Gummibären-Forschung.de“, die heute leider nicht mehr existiert (siehe den damaligen Spiegel-Bericht und Reste hier). Wir bekamen damals sogar den Auftrag, die Webseiten des Bonner Theaters zu gestalten – honoriert wurde unsere Arbeit mit Freikarten, was uns viele Theaterbesuche einbrachte. Zufällig durfte ich auch die Webseiten der Narrenzunft Bergteufel Oberprechtal gestalten und wurde dadurch zum Ehrenmitglied.
Ein paar Publikationen, die damals entstanden sind, dokumentieren die Themen, mit denen wir uns damals befasst haben:
Funke, J., Stumpf, M., Weichselgartner, E., & Wilkening, F. (2003). Qualitätssicherung im Bereich neuer Medien durch Einführung von Qualitätskriterien. In R. Ott & C. Eichenberg (Hrsg.), Klinische Psychologie und Internet. Potenziale für klinische Praxis, Intervention, Psychotherapie und Forschung (S. 99–113). Hogrefe.
Krüger, T., Ott, R., & Funke, J. (2000). Das WWW als Medium der Außendarstellung. In B. Batinic (Hrsg.), Internet für Psychologen. Zweite, überarbeitete und erweiterte Auflage (S. 241–260). Hogrefe.
Ott, R., Krüger, T., & Funke, J. (1997). Wissenschaftliches Publizieren im Internet. In B. Batinic (Hrsg.), Internet für Psychologen. Zweite, überarbeitete und erweiterte Auflage (S. 199–224). Hogrefe.
Auch an den Empfehlungen der DGPs-Kommission (Kommission 1998-2001: Michael Stumpf, Vorsitz; Dietrich Albert, Joachim Funke, René Hirsig, Petra Konz, Ralf E. Streibl, Hartmut Wandke), die 1999 (und später 2005, in anderer personeller Zusammensetzung) im „Blättchen“ veröffentlicht wurden, durfte ich normbildend mitwirken:
IuK-Kommission der DGPs (1999). Empfehlungen der IuK-Kommission der DGPs. Psychologische Rundschau, 50, 234–236.
Bierhoff, H.-W. W., Funke, J., Reips, U.-D., & Weichselgartner, E. (2005). Information und Kommunikation 2005: Ein Lagebericht und einige Zukunftsperspektiven. Psychologische Rundschau, 56(3), 212–219. https://doi.org/10.1026/0033-3042.56.3.212
Auf organisatorischer Ebene wurde ich damals 1994-1996 Sprecher der Web-Master an der Universität Bonn. Es galt, im dortigen Rechenzentrum entsprechende Ressourcen bereitzustellen und in den Instituten für das neue Medium zu werben. Ich erinnere mich noch, wie wir von einem EDV-Beauftragten gerügt wurden, weil wir Homepages mit Bildern von Personen am Institut angelegt hatten. Das Argument damals gegen pixelschwere Bilder war der notwendige „Traffic„, der bei den vorhandenen Bandbreiten schnell zu Problemen führen konnte (man favorisierte das umständlichere, bildlose FTP-Protokoll). Nach kurzer Zeit sah allerdings fast jeder ein, dass Fotos außerordentlich wichtige Elemente in der Welt des WWW waren.
Eine kleine Episode dazu: Damals (1994) erhielt der Bonner Wirtschaftswissenschaftler Reinhold Selten den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften; auf seiner rasch erstellten Homepage waren neben Informationen zu seiner Forschung auch Bilder von seinen Lieblingskatzen zu sehen. Dies führte zu einem kleinen Eklat – war das für einen Nobelpreisträger seriös genug? Die Bonner Pressestelle bezweifelte das und verlangte die Löschung der Bilder. Nach einer Intervention beim damaligen Rektor war klar: Die Katzenbilder durften bleiben!
Inzwischen ist das WWW, auch durch die Präsenz nützlicher Suchmaschinen, zu einem unverzichtbaren Werkzeug in der wissenschaftlichen Arbeit geworden. Die Suche nach informativen Quellen, die Kommunikation mit Kollegen und Kolleginnen und vieles mehr ist heute dank WWW möglich. Natürlich hat es auch viele negative Entwicklungen gegeben. Der Umgang mit persönlichen Daten, die Kommerzialisierung des WWW: all das hätte man sich gerne anders vorgestellt. Aber wie das mit Werkzeugen so ist: Man kann das eine nicht ohne das andere haben. Ich jedenfalls bin froh, dass vor 30 Jahren CERN die Freigabe des WWW gestattete. Wir werden sehen, wie es damit weitergeht.
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