Gastbeitrag „On the Road Again – Am 14.4.2018 findet der zweite ‚March for Science‘ statt“

Gastbeitrag von Prof. Dr. Tanja Gabriele Baudson zum zweiten „March for Science“ am Samstag, 14.4.2018 (Vorbemerkung JF: Nachdem ich gehört habe, dass aufgrund unglücklicher Umstände dieses Jahr kein March for Science in Heidelberg organisiert werden konnte, habe ich die bundesweite Organisatorin TGB gebeten, uns wenigstens einen Gastbeitrag zu senden. Ich freue mich sehr, dass sie die Zeit dazu gefunden hat! Danke dafür!):

Der „March for Science“ geht am 14.4.2018 zum zweiten Mal auf die Straßen – auch wieder in Deutschland, und diesmal auch in anderen Formaten. Warum es nach wie vor nötig ist, dass Forscher/innen und Wissenschaftsinteressierte sichtbar werden, dass sie Fake News und sogenannten „alternativen Fakten“ solide Erkenntnisse entgegensetzen und sich weiter um eine breite Vertrauensbasis bemühen und was das alles mit unserer Demokratie zu tun hat, darum geht es in diesem Gastbeitrag.

Ein Vertrauen wie das, das die Gesellschaft der Wissenschaft entgegenbringt, genießt keine andere Institution. In den letzten Jahren ist es sogar noch gestiegen. Fragt man Menschen, wieso man der Wissenschaft vertrauen kann, so steht die Fachkompetenz von Forscherinnen und Forschern ganz oben auf der Liste. Sie sind Expert/innen in ihren Bereichen und haben lange und hart daran gearbeitet, sich diese Expertise anzueignen. Wissenschaftliche Erkenntnisse basieren auf nachvollziehbaren Methoden. Will man also politische Entscheidungen im Sinne der Bürgerinnen und Bürger treffen, stellen solide wissenschaftliche Befunde die bessere Grundlage dafür dar als bloße subjektive und durch Echokammern verzerrte Meinungen. Der Wissenschaft kommt somit sogar eine wichtige Rolle für unsere Demokratie zu. Denn Objektivität und Unparteilichkeit gehen Hand in Hand. Naturgesetze gelten für alle, und einem soliden empirischen Befund ist es herzlich egal, ob man an ihn glaubt oder nicht. Ähnlich wie Richter/innen Gutachten zur Klärung der Sachlage auf Gebieten jenseits ihrer eigenen Expertise hinzuziehen, welche so wenig wie möglich durch Partikularinteressen verfälscht sein sollten, um ein faires Urteil zu ermöglichen, bilden wissenschaftliche Befunde die Grundlage für politische Entscheidungen. Das Mandat hierzu liegt bei den gewählten Vertreter/innen des Volks, nicht bei der Wissenschaft – was ihre Rolle jedoch keineswegs schmälert. Voraussetzung ist jedoch, dass die Wissenschaft ihre Erkenntnisse verständlich kommunizieren kann und will; und beides ist nicht unproblematisch, wie wir weiter unten noch sehen werden.

Neben der angesprochenen Kompetenz in Bezug auf den Gegenstand selbst gibt es jedoch noch zwei weitere Merkmale, die Vertrauen begünstigen: die Erwartung von Integrität und die Erwartung von Benevolenz, dass also Wissenschaftler/innen der Gesellschaft Gutes wollen. Das Bild der integren Wissenschaft hat in den letzten Jahren durchaus etwas gelitten. So ideal und objektiv wie oben beschrieben, funktioniert Wissenschaft nämlich leider nicht immer. Im Grunde funktioniert ja nichts, was Menschen anfassen, optimal. Denn wie alle Menschen handeln natürlich auch Forscherinnen und Forscher aus dem Interesse heraus, sich einigermaßen gut durchs Leben zu wursteln. „Gut“, das bedeutet idealerweise, dass man eine der wenigen Lebenszeitprofessuren bekommt. Für diese braucht es hauptsächlich zwei Dinge: zum einen viele Veröffentlichungen, idealerweise in begutachteten Zeitschriften mit hohem Impactfaktor, obwohl zahlreiche Befunde die Unsinnigkeit dieses Kriteriums zur Bewertung von Individuen nachgewiesen haben; zum anderen viele Drittmittel, die die klammen Universitäten entlasten (mittlerweile sind Universitäten zur Hälfte durch Dritt- und Projektmittel finanziert), mithin zwei wunderbar quantifizierbare Kriterien, die auch das siebenjährige Kind eines der Kommissionsmitglieder zusammenzählen könnte.

Was dabei zu kurz kommt, ist zum einen die Lehre, zum anderen die Kommunikation mit der Öffentlichkeit. Beides bietet großartige Gelegenheiten, sowohl die Ideale der Wissenschaft als auch die Realität des Wissenschaftssystems zu vermitteln – und beides zählt im Berufungsprozess herzlich wenig. Gerade die transparente Kommunikation mit der Öffentlichkeit ist jedoch eine ganz zentrale Chance, um Vertrauen nicht nur in die Fachkompetenz, sondern auch in die Integrität und Wohlgesonnenheit der Wissenschaft zu bilden und zu erhalten. Viele Forscher/innen tun dies aus einem hohen Idealismus und einer intrinsischen Freude an der Kommunikation mit der Außenwelt heraus; sie tun dies jedoch zusätzlich zu der eigentlich karriererelevanten Arbeit und in der nicht vorhandenen Freizeit.

Entsprechend lautet die Botschaft an den wissenschaftlichen Nachwuchs nicht etwa „Suche die Wahrheit, trage dazu bei, die Erkenntnisse der Wissenschaft zu mehren, und beglücke möglichst viele Leute damit“, sondern „Publiziere viel, am besten auf englisch, wirb reichlich Geld ein und kommuniziere innerhalb der Community mit den richtigen Leuten.“ Es erübrigt sich zu sagen, dass „schöne“ Resultate (sprich: statistisch signifikante und verblüffende Ergebnisse, die eine gute „Story“ ergeben) leichter einen Abnehmer finden als Replikationen, also detailgenaue Nachbauten früherer Studien. Im Zuge der Replikationskrise 2015 ist hier erfreulicherweise einiges im Fluss; allerdings sind wir immer noch weit entfernt von den „harten“ Naturwissenschaften, bei denen auch der wiederholte Nachweis irgendwelcher Naturkonstanten noch anerkannt und wertgeschätzt wird. Viele der aktuellen Probleme der Psychologie (Interessierte seien auf das lesenswerte Werk „The Seven Deadly Sins of Psychology“ von Chris Chambers verwiesen) und der Wissenschaft insgesamt sind auf solche verqueren Anreizstrukturen zurückzuführen. Dem Wahrheitsstreben ist das alles nur sehr bedingt zuträglich: Je sensationeller ein Befund, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er Replikationsversuchen nicht standhält.

Das wiederum nährt Zweifel an der Integrität von Wissenschaftler/innen und suggeriert, dass sie – obgleich ein guter Teil ihrer Finanzierung ja nach wie vor aus Steuergeldern stammt – keineswegs zum Wohle der Gesellschaft, sondern primär zur Optimierung des eigenen Lebenslaufs arbeiten. In einem aufgrund knapper Stellen automatisch konkurrenzorientierten System ist es ja durchaus nicht die dümmste Überlebensstrategie, sich selbst der bzw. die Nächste zu sein. Allein: Nachhaltig ist das nicht.

Was also tun? Mehr Professuren und Alternativen zur akademischen Karriere zu schaffen, liegt auf der Hand. Ein naheliegender Ansatzpunkt ist außerdem, die Anreizstrukturen im Wissenschaftssystem zu ändern, die der Wahrheitsfindung aktuell ja nur mit Einschränkungen zuträglich sind – und die im Übrigen ja auch nur die wenigsten Forscher/innen uneingeschränkt gutheißen.

Die Wirkung wissenschaftlicher Aktivitäten bemisst sich nicht in Impactfaktoren. Kommunikation mit der interessierten Öffentlichkeit außerhalb des Wissenschaftssystems sollte deshalb ebenfalls stärker belohnt werden. Projektmittel, die man für Wissenschaftskommunikation beantragen kann, sind ein guter Anfang; in ihrer ganzen Bedeutsamkeit konsequent wertgeschätzt würde diese Art des Austauschs allerdings erst dann, wenn das Fehlen eines schlüssigen Kommunikationskonzepts zur Ablehnung von Anträgen führen würde. Wer an dieser Stelle aufschreit, man könne niemanden zur Kommunikation mit der Öffentlichkeit zwingen, mag mit Blick auf die Cui-bono-Frage überlegen, woher sein Widerstand eigentlich rührt.

Dass Wissenschaft großartig ist und Freude macht, ist in der Bevölkerung angekommen; das zeigen die großen Erfolge von Wissenschaftssendungen, Nächten der Wissenschaften, populärwissenschaftlichen Zeitschriften, follower-reichen Social-Media-Accounts zum Thema Wissenschaft und viele weitere Indizien. Es geht aber um mehr. Wissenschaft ist Teil der Gesellschaft, und zwar ein Teil, der nach wie vor viele Freiheiten und Privilegien genießt. Mit Belohnungsstrukturen, die rein innersystemisch funktionieren, schafft man keine Anreize für Wissenschaftler/innen, sich verantwortungsvoll in die Gesellschaft einzubringen. Genau das ist aber nötig, um extremistischen Diskursen und verlogener Propaganda von vornherein die Stirn zu bieten. Sie bedrohen die Grundvoraussetzung für ergebnisoffene Forschung und somit das Fundament der Wissenschaft selbst: die Freiheit.

Der „March for Science“ hat sich zum Ziel gesetzt, Freiheit und Wahrheit als die zentralen Werte der Wissenschaft hochzuhalten und zu verteidigen. Wenngleich in Heidelberg in diesem Jahr aus personellen Gründen keine Demo stattfinden wird: Das Heidelberger Team plant derzeit ein Event im Mai, und Hilfe ist mehr als willkommen. Die Organisator/innen in Frankfurt und Stuttgart laden jedoch herzlich zur Teilnahme an den dortigen Demonstrationen ein und freuen sich über zahlreiche Gäste aus Heidelberg und Umgebung! Und wer uns unterstützen will, ist hierzu herzlich eingeladen, ob auf lokaler oder auf deutschlandweiter Ebene.

Weitere Informationen:

Kontakt: Dr. Tanja Gabriele Baudson und Claus Martin, Email: sciencemarchgermany@gmail.com, Twitter: @ScienceMarchGER, Facebook: https://www.facebook.com/ScienceMarchGER

Prof. Dr. Tanja Gabriele Baudson vertritt seit 2017 die Professur für Entwicklungs- und Allgemeine Psychologie an der der Universität Luxemburg. Zuvor hatte sie eine Vertretungsprofessur für Methoden der empirischen Bildungsforschung an der TU Dortmund inne.Am 3.4.2018 erhielt sie in Berlin den mit 10.000 Euro dotierten Preis „Hochschullehrerin des Jahres 2018“ des Deutschen Hochschulverbands. Zitat aus der Laudatio: „Frau Kollegin Baudson war als Hauptinitiatorin des deutschen ‚March for Science‘ maßgeblich daran beteiligt, gut 37.000 Menschen auch außerhalb der Wissenschaftsszene zu mobilisieren, um am 22. April 2017 bundesweit für die Freiheit der Forschung zu demonstrieren. … Frau Kollegin Baudson hat über ihre Tätigkeit in Forschung und Lehre hinaus mit viel Herzblut einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, öffentlichkeitswirksam deutlich werden zu lassen, dass nicht ‚alternative Fakten‘, sondern wissenschaftliche Erkenntnisse die Grundlage des gesellschaftlichen Diskurses sein sollen. In einer Zeit, in der gerade junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter enormen Druck stehen, ihre Karriere durch eine Vielzahl an Publikationen zu befördern, hat sie sich die Zeit genommen, die Werte der Wissenschaft gegen populistische Anfeindungen zu verteidigen.“

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