Ehrendoktorwürde für Dietrich Dörner

Unsere Fakultät verfügt über eine Promotionsordnung, in der in §1 die Möglichkeit beschrieben wird, „den Grad eines Doktors der Philosophie ehrenhalber (Dr. phil. h.c.) auf Grund von hervorragenden wissenschaftlichen Leistungen auf dem Gebiet der Verhaltens- und Empirischen Kulturwissenschaften einschließlich der angrenzenden Gebiete“ zu vergeben. Dies hatten wir in unserer 19jährigen Fakultätsgeschichte noch nie praktiziert – jetzt ist es passiert! Einstimmig hatte unsere Fakultät am 17.6.2015 beschlossen, diese Ehre Dietrich Dörner aus Bamberg zukommen zu lassen. Der entsprechende Antrag unserer Fakultät ist dann vom Akademischen Senat im Juli 2015 einstimmig bestätigt worden.

Dietrich Dörner

Dietrich Dörner

Hier ein Auszug aus meiner Laudatio für den Senat (meine Laudatio während der Festveranstaltung fiel etwas anders aus):

„ZUR PERSON: Geboren am 28.9.1938 in Berlin, ist Dietrich Dörner in Düsseldorf aufgewachsen und hat dort sein Abitur gemacht. Das Studium der Psychologie, Neurophysiologie und Logik führte ihn nach Kiel, wo er 1965 das Diplom in Psychologie erhielt und dort auch 1969 zum Dr. phil. promoviert wurde. 1973 habilitierte er sich in Kiel mit einer Schrift über Begriffsbildung. Über Professuren in Düsseldorf (C3, 1973-1974) und Giessen (C4, 1974-1979) führte ihn sein akademischer Weg nach Bamberg, wo er seit 1979 zunächst als Professor und seit 1991 als Direktor des Instituts für Theoretische Psychologie der Universität Bamberg wirkte. Emeritiert ist er im Jahre 2006, sufgehört zu arbeiten hat er bis heute nicht. Dörner war Fellow des Wissenschaftskollegs in
 Berlin 1982/83, er erhielt als erster Psychologe den Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1986, war Leiter der Max Planck–Projektgruppe für Kognitive Anthropologie 1989–1991 in Berlin und Fellow des Hanse-Kollegs in Delmenhorst 2003/2004.

WISSENSCHAFTLICHE LEISTUNGEN: Dietrich Dörner hat sich im Laufe eines langen Forscherlebens mit vielen Feldern der Psychologie auseinandergesetzt: Begriffsbildung, Künstliche Intelligenz und Kognitive Modellierung, Emotionsregulation, Denken und Sprache, sowie Einzelfall-Methodik sind als wiederkehrende Themen seines umfangreichen Werks zu nennen. Herausragende Bedeutung erzielten vor allem seine Arbeiten zu den Schwächen und Fehlern menschlichen Handelns im Umgang mit komplexen Anforderungen.
Kennzeichnend für sein Vorgehen ist es, dass er immer wieder Beispiele aus Politik, Ökologie oder Ökonomie heranzieht und das Versagen von Führungskräften – sei es beim Einsatz von Mitteln für die Entwicklungshilfe in der Sahel-Zone, sei es bei der Katastrophe von Tschernobyl – auf fehlerhafte Denk- und Entscheidungsprozesse zurückführt. Sein 1987 bei Rowohlt erschienener Bestseller „Logik des Mißlingens“ illustriert diesen Zugang an vielen Beispielen und in gut verständlicher Form. Kein Wunder, dass dieses Buch später unter dem Titel „The logic of failure“ bei Basic Books in New York verlegt wurde und damit seine internationale Rezeption verstärkte (allein für diesen Titel sind mehr als 2000 Zitationen bei Google Scholar verzeichnet).

Methodisch hat Dörner dezidiert Neuland betreten, indem er vor 40 Jahren die Verwendung computersimulierter Szenarien zur Verwendung im psychologischen Labor vorschlug – zum damaligen Zeitpunkt eine ungeheure Innovation, die in der von ihm simulierten Kleinstadt „Lohhausen“ seine wohl bekannteste Inkarnation fand. Die kleine Kommune war von Testpersonen in der Rolle eines Bürgermeisters über 10 simulierte Jahre hinweg zu lenken. Zahlreiche Kovariate (z.B. Intelligenz) erwisen sich nicht als prädiktiv für den Erfolg, vielmehr kam es auf Regulationskompetenzen an. Das Scheitern von Eingriffen und dessen Ursachen wird akribisch analysiert und im Begriff der „Notfallreaktion des kognitiven Systems“ kondensiert. […]

Sein Buch „Bauplan für eine Seele“ (Rowohlt-Verlag 1999) zeigt, wie man psychische Vorgänge auf Maschinen nachbilden kann. Das Unterfangen ist hochgradig integrativ und geht über amerikanische Ansätze (wie z.B. dem von John Anderson verfolgten ACT-R-Modell) hinaus, indem er sich dem ansonsten häufig ausgesparten Thema „Gefühl/Emotion“ widmet. Bei Dörner sind Emotionen Modulationen des Verhaltens; sie beeinflussen den Auflösungsgrad (Genauigkeit und Geschwindigkeit) der psychischen Prozesse, das Aktivitätsniveau und die geistige Konzentration. Emotionen sind sin diesem Modell so etwas wie die Form psychischer Prozesse, die deren Inhalte entsprechend verändert, und damit in letzter Konsequenz „Informationen“ wie andere auch.

Der Mensch als Maschine: dies ist nicht Abwertung eines humanistischen Menschenbilds oder übertriebener Reduktionismus, sondern macht ernst mit dem Anspruch einer Wissenschaft, die Gesetzmäßigkeiten des Seelenlebens zu erforschen. Dabei finden sich zwangsläufig Systeme und Regularitäten, die mechanisch wirken. Man darf annehmen, daß Dörners Seelenmaschine ebensowenig realisiert werden wird wie die Analytische Maschine des Charles Babbage im 19. Jahrhundert – aber manchmal sind bloß gedachte Maschinen mindestens so einflußreich wie die realisierten. […]

WÜRDIGUNG UND EMPFEHLUNG: Dietrich Dörner ist ein äußerst kreativer und engagierter, auch im Alter noch aktiver und national wie international gut sichtbarer Forscher im Bereich von Denken, Entscheiden und Problemlösen. Er hat in den knapp 50 Jahren seiner wissenschaftlichen Arbeit mehrere Generationen von Forscherinnen und Forschern mit kritischen Impulsen gespeist und insbesondere auf dem Feld der Problemlöseforschung inhaltlich wie auch methodisch neue Wege aufzeigt. Unsere Fakultät hat seine Ideen in verschiedenen Bereichen der Bildungswissenschaften und der Psychologie aufgegriffen und ist ihm dankbar für die langjährige Zusammenarbeit. Ich habe daher keinerlei Bedenken, die geplante Ehrenpromotion von Herrn Kollegen Dietrich Dörner aus vollem Herzen zu unterstützen und bin sicher, dass auch der Hohe Senat der Universität Heidelberg sich den positiven Eindruck der Fakultät zu eigen machen und einer Ehrenpromotion mit großer Freude zustimmen kann.“

In einem feierlichen Akt in der Aula der Alten Universität ist nun am 27.1.16 der Ehrentitel vom Rektor und in Anwesenheit zahlreicher Gäste aus dem In- und Ausland verliehen worden. Gäste aus Bamberg, Frankfurt, Heidelberg, Mannheim, Zürich waren neben zahlreichen Fakultätsmitgliedern gekommen, zahlreiche Grüße erreichten ihg und mich zusätzlich per Email.

In seiner Ansprache betonte der Rektor die große Bedeutung, die er diesem akademischen Brauch zuschreibt und die zwei Seiten hat: Ehrung des Empfängers, aber auch die Ehre des Gebers. Die Aufnahme in den Kreis der Heidelberger Akademiker ist auch Verpflichtung! Die Dekanin Birgit Spinath wiederum betonnte das hohe Potential für interdisziplinäre Forschungen, das von unserer Fakultät ausgeht und in viele Bereiche ausstrahlt: Gesundheit und Krankheit, Entwicklung und Altern, Bildung, Arbeit und Freizeit – um nur ein paar beispielhafte Themenfelder zu nennen. Die von mir vorgetragene Laudatio stellte den Versuch dar, ein paar wichtige Lebenslaufdaten zu nennen und über seine akademischen Erfolge zu berichten.

Dekanin Birgit Spinath, Dietrich Dörner, Rektor Bernhard Eitel

Dekanin Birgit Spinath, Dietrich Dörner, Rektor Bernhard Eitel

Dietrich Dörner hat seinen Festvortrag unter dem Titel „Bewusstsein und freier Wille“ gestellt, bei dem er deutlich machte, dass Bedachtsamkeit bei der Auswertung eines guten Protokollgedächtnisses zu höherer Freiheit im Handeln führt. Selbstreflexion,  Nachdenken über die eigenen Aktionen und deren Folgen führt zu mehr Freiheit: eine schöne Aussage! Ob das allerdings das Aussterben der Neandertaler im Vergleich zu den Cromagnon-Menschen erklären kann, ist eine kühne Hypothese. Aber dafür ist Dietrich Dörner ja bekannt…

[Nachtrag 30.1.16: Kommentar hierzu von DD:]

„Natürlich habe ich in der kurzen Zeit nur ein holzschnittartiges Bild der Lösung gegeben, aber man kann ja weiterdenken! Wieso verfüge ich mit meiner Fähigkeit zur Selbstreflexion „frei“ über meinen Willen? Was heißt hier „frei“? Wieso ergibt sich aus diesem „Bedenken“ des Protokollgedächtnisses automatisch ein Ich-Bewusstsein?

Ich habe ja absichtlich bei den Planungsbeispiel auf zwei Punkte abgehoben, nämlich einmal auf die Erweiterung der Denkstrategien (Rückwärtsplanen), zum anderen auf den Ärger. Und das impliziert den Zugriff auf das ganze Selbst, auch auf die emotionalen Reaktionen. Auch der Selbstwert ergibt sich daraus, nämlich aus der Erkenntnis, was mich von anderen unterscheidet, auszeichnet. Das war alles nicht gesagt, aber mitgemeint worden.

Natürlich sollte der Vortrag amüsant sein, aber er sollte auch Gehalt haben! Und nicht nur heißen, dass Nachdenken nützt. Und er konnte natürlich keine 8 Stunden lang dauern. Und zugegebenermaßen ist die Lösung einfach! Das ist aber kein Argument gegen die Lösung. Aber daraus ergibt sich genügend Stoff für zukünftige Streitgespräche! Und sowas brauchen wir doch!

Lieber Dietrich: ja, das brauchen wir! Danke für Deine zusätzlichen Erläuterungen!

[Ende des Nachtrags 30.1.16]

Umrahmt wurde die Feierlichkeit von schöner Klaviermusik, die von unserem Alternsforscher Andreas Kruse sehr einfühlsam gespielt wurde. Von Johann Sebastian Bach (Präludium, Toccata, Fuge), Ludwig van Beethoven „Der Sturm“ (Nr. 17 d-Moll op. 31 Nr.2, 3. Satz) und Wolfgang Amadeus Mozart (KV 265 8 Variationen des Themas „Ah, vous dirai-je Maman“; auf deutsch: „Morgen kommt der Weihnachtsmann“) stammten die stimmungsvollen Stücke, die mit viel Liebe und einigen Hintergedanken ausgewählt wurden. – Danke nicht nur an den Musikus, sondern auch an alle, die in diesem Kontext mitgeholfen haben, dass eine würdige Veranstaltung zustandekam: Annika Flämig im Dekanat, Kristian Karaneshev für seine Photos, und KUM für die Pressearbeit und Organisationshilfe!

Lieber Dietrich: auch an dieser Stelle nochmals herzlichen Glückwunsch zu Deiner Ehrenpromotion und der neuen Schärpe! (Bitte immer nur rechts tragen!) Die Auseinandersetzung mit Deinen Ideen war für meine eigene akademische Entwicklung ganz massgeblich! Hier ein früher Brief von DD an JF, der Teil eines dicken Ordners voll mit Korrespondenz zwischen uns beiden ist. Dass ich lange gebraucht habe, bis ich Deinen Ansatz richtig verstanden habe, musst Du meiner Herkunft anrechnen: nicht weit weg vom Neandertal

Und über die Dialektik von Freund und Feind, über akademische Streits als Motor der Wissenschaft liesse sich viel sagen – dass ich Deinen Worten nach die Bezeichung „ältester Feind“ verdiene, sehe ich als eine grosse Auszeichnung an, die wir gemeinsam im Anschluss an den Festakt bei einem Glas Wein in der Backmulde gefeiert haben.

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