Früher waren Bibliotheken der Stolz eines Instituts – an manches Institut fuhr ich zu meiner Zeit extra hin, um in den dortigen Beständen recherchieren zu können. Diese Zeiten sind vorbei (also ist das wohl ein Beitrag aus der Reihe „Früher war alles besser“?).
Wer an der Uni Heidelberg nach Institutsbibliotheken (IB) sucht, wird auf der Seite https://www.ub.uni-heidelberg.de/helios/kataloge/neu/gksigel.html fündig. Allerdings: In knapp 50 Fällen (von etwa 130 insgesamt) ist die genannte Bereichsbibliothek bereits aufgelöst oder in einen größeren Verbund überführt – verständlich angesichts ökonomischer Zwänge, schade für einen Bücherfreund wie mich.
Auch unsere hauseigene Bibliothek am Psychologischen Institut (unsere IB) hat Federn lassen müssen – nicht nur, dass wir die Bibliothekarin verloren haben (sie stand schon lange auf der Gehaltsliste der UB), auch der Bestand ist von ehemals (rund) 40.000 Bänden auf ein Zehntel eingedampft. Zugegeben: in viele der jetzt abgestossenen Bücher hätte ich nicht hereingeschaut. Aber früher gab es den „Reiz des seitlichen Vorbeistreifens“ am Bücherregals (Max Goldt lässt grüßen) – ich habe geschaut, was sonst noch (neben dem einen gesuchten Buch) so an Büchern stand – und manchmal erwies sich ein Zufallsfund als anregende Lektüre (gelebte „serendipity“, glücklicher Zufall also).
Was sind Ursachen der Schliessungen? Neben Effizienzüberlegungen (Können benachbarte und inhaltlich zusammengehörende Fächer nicht durch Kooperationen auch im adminstrativen Bereich gewinnen?) sind es auch ein verändertes Bestell- und ein verändertes Benutzerverhalten, das diesen schleichenden Prozess in Gang gesetzt hat. Steigende Buchpreise, sinkende Etats in den Instituten (und – auf unserer Seite – immer geringere Bereitschaft, umfangreiche Verlagsprospekte zu sichten und interessant klingende Werke zu bestellen) kommen dazu.
Auf Seiten der Benutzer: Die zunehmende Nutzung digital verfügbarer Quellen macht den Print-Objekten das Leben schwer – die Verfügbarkeit am Arbeitsplatz (ich kann dank der Lizenzen der Uni-Bibliothek inzwischen mehr als 152.000 (!) Fachzeitschriften im Volltext sowie 3.800 Fach-Datenbanken nutzen), rund um die Uhr, ist ein Vorteil gegenüber einer einzelnen Quelle, die ich in einer bestimmten Institutsbibliothek nur zu bestimmten Zeiten einsehen kann (manchmal sogar vorbestellen muss). Dank Schattenbibliotheken (hat nichts mit kühlem Schatten zu tun, sondern meint die meist illegalen Buchpiraten, die gegen Urheberrechtsvereinbarungen verstossen – am bekanntesten „Library Genesis“ und „Sci-Hub„) ist die Erreichbarkeit digitaler Quellen sogar noch weitreichender.
Zugleich eine höchst professionell aufgestellte zentrale Universitätsbibliothek (UB), die sehr gut ausgestattete Arbeitsplätze und ein sehr gut sortiertes Lehrbuch-Angebot bietet.
Also eine klare Bewegung weg von den IBs, hin zur UB, weg von Print, hin zu PDFs? Vermutlich – aber: Einer meiner „Schätze“ sind Sonderdrucke und Artikelkopien, gerade aus den Jahren vor 2000, die (noch) nicht retrodigitalisiert wurden. Ich wurde schon von Suchenden angeschrieben und konnte helfen. In meinem Büro lagern auch Bücher (geschätzt: 1500). Einige davon liegen mir auch als PDF vor. Aber es ist etwas anderes, ein PDF zu öffnen (sehen alle gleich aus) oder das entsprechende Buch in die Hand zu nehmen und aufzuschlagen (jedes sieht ein wenig anders aus – manche noch wie druckfrisch, andere zerlesen und mit vielen Anmerkungen versehen).
Das Ende vieler Institutsbibliotheken geht einher mit dem Ende inhabergeführter Buchhandlungen. Auch auf diesem Markt findet eine Konzentration („Ketten“-Bildung) statt. Vermutlich führt die damit verbundene Orientierung am Mainstream zu einer Reduktion an Meinungsvielfalt (Meinungsdiversität analog zu Biodiversität).
Ich bin ja Bücherfreund (und damit auch Bibliotheksfreund) – wie das Bild meines Heidelberger Büros zeigt, gibt es neben dem Bildschirm einiges an Büchern zu sehen (und man sieht nur einen Ausschnitt!). Ohne Bücher wäre für mich ein Leben unvorstellbar! Als Jugendlicher war ich glücklich wie lange nicht, als ich erstmals Zugang zur Stadtbibliothek Düsseldorf erhielt – ich lieh mir dort aus, soviel ich durfte (es gab -sinnvollerweise- eine Mengenbegrenzung), und versank in meinem häuslichen Zimmer in spannende Lektüren. Und als ich als junger Student erstmals die Universitätsbibliothek Basel betrat, war ich begeistert, nicht nur von der Architektur, sondern vor allem von der schieren Menge an Dokumenten, auf die ich zugreifen durfte. Für meine Doktorarbeit an der Uni Trier habe ich wer weiss wie viel rosa Fernleih-Zettel ausgefüllt und wartete mit Spannung auf die jeweils neueste Lieferung…
Das tolle Buch von Peter Burke (2014) „Die Explosion des Wissens“ macht deutlich, wie sehr unsere heutige Kultur von den Wissens-Sammlungen der Vergangenheit abhängt. Ja: ich bin wohl Nostalgiker, was Bücher betrifft. Aber wer meine PDF-Sammlung kennt, weiss, dass ich in der Postmoderne angekommen bin. Auch meine Audio-Files und die Auftritte von DJ Funk sprechen für meine Ankunft im digitalen Zeitalter.
Wie wird es weitergehen? KI-Methoden werden heute schon zur Verdichtung von Information genutzt (ich habe das schon mal ausprobiert – man muss auf jeden Fall human-intelligent nachbearbeiten…), Verständnis ist damit noch nicht garantiert. Die Paradoxie: noch nie stand soviel an Information bereit, aber die Perlen unter all den Misthaufen zu finden, ist schwerer denn je. Bibliotheken waren Schutzräume, in denen man (überwiegend) gesicherte Erkenntnisse fand und vor Werbung (und anderen Manipulationsversuchen wie z.B. algorithmengesteuerte Feeds, z.B. hier) weitgehend gesichert war. Mal sehen, wie es weitergeht.
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