Am 17.2.2023 wurde bei einem Festakt in der Heiliggeistkirche Heidelberg (siehe dazu auch hier) daran erinnert, dass am 14.2.1623 (am Valentinstag vor 400 Jahren) die Bestände der Bibliotheca Palatina (BP) aus Heidelberg entführt und in die Bibliothek des Vatikans abtransportiert wurden. Ein ungeheuerlicher Akt!
Die BP, die damals in den Emporen der Heiliggeistkirche untergebracht war, galt wegen des Umfangs der Manuskripte und Codizes als „Mutter aller Bibliotheken“, sie war das Herzstück der damaligen Universität. Aber im 30jährigen Krieg war sie eben auch Kriegsbeute der katholischen Truppen unter ihrem Feldherrn Jean Tilly. Die im Programmheft zum Festakt gewählte Bezeichnung „Wegführung“ vermeidet die Bewertung „Raub“. MdL Theresia Bauer erinnerte in ihrem Grusswort (als eines von mehreren) daran, dass auch aktuell im russischen Angriffskrieg Kulturschätze gezielt geraubt und belastende Dokumente in Archiven gezielt zerstört werden. Vor 400 Jahren leisteten die Einwohner Heidelbergs jedenfalls (passiven) Widerstand: Die zum Verpacken der Beute notwendigen Hölzer und Nägel mussten aus Speyer und Worms herbeigeschafft werden, die Heidelberger verweigerten ihre Mithilfe.
Die Festrede hielt der Direktor der Universitätsbibliothek Heidelberg, Dr. Veit Probst, mit dem Titel „Der Raub der Bibliotheca Palatina und ihre Wiedergewinnung: Über die digitale Rückkehr des berühmtesten Heidelberger Kulturdenkmals“. Darin zeichnete er die Geschichte dieser Bibliothek nach (erst im 19. Jh. war die Bibliothek wieder auf Spitzenniveau) und beschrieb sein „Herzensprojekt“ Digitalisierung, für das sogar eine Aussenstelle der UB im Vatikan eingerichtet wurde – ein aussergewöhnlicher Vorgang! Ich hoffe, man kann den Vortrag demnächst in unserem neuen „Heidelberger Jahrbuch 2023“ nachlesen.
Seit 2021 sind alle Handschriften der BP als Digitalisate über das Internet abrufbar (hier klicken). Die Digitalisierung der Bestände (begonnen 2001 mit finanzieller Förderung der Manfred-Lautenschläger-Stiftung und der „Gesellschaft der Freunde„) ist eine wichtige Initiative, um die wertvollen kulturellen Schätze der Bibliothek zu bewahren und zu teilen. Zugleich ermöglicht es Wissenschaftlern und Forschern auf der ganzen Welt, auf diese wichtigen historischen Quellen zuzugreifen. Ca. 3.8 Mio Zugriffe jährlich (also täglich über 10.000 Abrufe!) aus fast 200 Ländern der Erde zeugen vom regen Interesse.
Auch wenn die meisten Besucher die meist lateinischen Schriften nicht lesen können: Die Illustrationen sind sehr hübsch und -wie mein Kollege und Mitherausgeber Michael Wink (Biologe und Vogelkundler) anmerkte-, ist das Falkenbuch von Kaiser Friedrich II. das erste überlieferte vogelkundliche Werk (900 Bilder von etwa 80 verschiedenen Vogelarten), das auf empirischer Grundlage steht (hier der Link zum Digitalisat – ich empfehle die Taste „Übersicht“) und bis weit in die Neuzeit das Standardwerk über die Beizjagd war.
Im Gedenkjahr 2023 wird die Heiligeistkirche eine Reihe von Veranstaltungen zum Thema der BP ausrichten – es lohnt sich hinzugehen (z.B. am 8. Juli 2023 zum Workshop „Falkenbuch“)! Auf den Emporen soll eine Ausstellung an die BP erinnern – erste Pläne dazu wurden auf dem Festakt vom Stuttgarter Atelier Brückner vorgestellt.
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