Masterplan INF beendet!?

Schon wiederholt habe ich in diesem Blog über das Masterplan-Verfahren zur zukünftigen Gestaltung des Campus INF berichtet, z.B.:

https://joachimfunke.de/2018/04/13/masterplan-im-neuenheimer-feldneckarbogen-auftaktveranstaltung/

https://joachimfunke.de/2019/06/27/masterplan-neuenheimer-feld-dialog-mit-experten/

Vor zehn Jahren wollte die Stadt Heidelberg den am nordwestlichen Stadtrand gelegenen Universitäts-Campus „Im Neuenheimer Feld“ (INF) mit einer in den Campus hineinführenden Strassenbahnanbindung erschliessen  – auf Protest der Uni hin (genauer gesagt: auf den versammelten Protest von vier großen wissenschaftlichen Einrichtungen im INF, als da sind Universität, Klinikum, DKFZ sowie das MPI für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, alle mit jeweils unterschiedlichen Interessen … – die PH hat sich damals herausgehalten) entschied das VG Karlsruhe, dass dieser Plan nicht rechtmäßig sei. Am 23.7.2015 wurde dann mit einem Beschluß des Gemeinderats das Projekt „Bürgerbeteiligung Masterplan INF“ gestartet: Die drei Projektträger (Universität Heidelberg, Stadt Heidelberg und Land Baden-Württemberg) einigten sich auf einen mehrjährigen Prozess, an dessen Ende (nach einem vierphasigen Prozess) ein neuer Bebauungsplan für den Campus INF stehen sollte. In der Rahmenvereinbarung von 2015 heisst es:

Ziel des gesamten Verfahrens ist, neue Entwicklungsperspektiven für die Universität, das Universitätsklinikum, das Deutsche Krebsforschungszentrum, die Max-Planck-Institute und weitere wissenschaftliche Forschungs- und Lehreinrichtungen zu schaffen. Dazu ist in einem öffentlichen Planungsdiskurs unter Einbeziehung von Fachplanern, Bürgerschaft, Nutzern des Gebietes und Politik sowie unter Würdigung der öffentlichen und privaten Belange ein strategisches Konzept für die räumliche und stadtplanerische Entwicklung des Sondergebiets „Im Neuenheimer Feld“ für Wissenschaft, Lehre und Forschung von internationalem Rang zu erarbeiten. Das Konzept soll auch Gebiete für Wirtschaftsunternehmen sowie öffentliche und soziale Infrastruktur umfassen.

Die Rahmenvereinbarung sah verschiedene Phasen vor, angefangen von ersten Überlegungen und Entwicklungsperspektiven – Verdichtung der Entwicklungsperspektiven, Konsolidierung bis zur abschließenden Masterplanphase (die vier Phasen: 1. Vorprozess, 2. Planungsatelier, 3. Konsolidierungsphase, 4. Masterplan).
Nun erfahre ich aus der Zeitung, dass das Projekt Masterplanverfahren INF/Neckarbogen wohl abgeschlossen sei, obwohl noch nicht alle geplanten Phasen durchlaufen sind.

Was ist geschehen? Uni, Stadt und Land haben einen Kompromiss gefunden, der – wie ich finde – die Chance vertan hat zu einem Vorzeige-Campus, auf dem Zukunftstechnologien und Zukunftskonzepte hätten erprobt werden können. In einer gemeinsamen Stellungnahme der Projektträger vom 15.12.21 ist nun die Kompromisslinie aus den beiden verbliebenen Plänen der Büros ASTOC und Höger diese (meine Zusammenfassung): (1) eine „Nordstrasse“ (Erschließungsstrasse im Norden des Planungsgebiets), (2) eine Straßenbahn und (3) die vorrangige Nachverdichtung des Campus (vorrangig vor einer Bebauung des Gewanns „Hühnerstein“ (=ein Teil des Handschuhsheimer Felds, nördlich vom Klausenpfad), das den Handschuhsheimern sakrosankt ist).

Unter den ursprünglichen Architektenentwürfen gab es ein paar originelle Vorschläge (z.B. selbstfahrende Fahrzeuge auf dem Campus, Seilbahn über den Neckar), die jetzt allesamt entfallen sind. Mein Favorit war das vom Büro Heide geplante mehrstöckige Eingangstor zum Campus. Das wäre eine Sehenswürdigkeit geworden und hätte dem ansonsten amorphen Campus ein markantes Gesicht gegeben.

Was jetzt im Kompromiss übrig geblieben ist: das ist eine ziemlich konventionelle Verdichtung des bestehenden Campus. Das hätte man vermutlich ohne den gesamten Aufwand einer Bürgerbeteiligung haben können (ein paar Zahlen dazu: 25 Ehrenamtliche im Koordinationsbeirat, 83 Mitglieder im Forum; 22 Sitzungen des Koordinationsbeirates, 16 Forum-Sitzungen, 8 öffentliche Veranstaltungen, 3 Online-Beteiligungen und 4 Ausstellungen von Plänen und Modellen). Ein Prozess, der über die Jahre hinweg knapp 4 Mio. Euro gekostet hat. Uff! Viel Geld für eine -wie ich finde- wenig originelle Lösung, die jetzt „gefunden“ wurde. Und ein abruptes Ende des Bürgerbeteiligungsprozesses, der neben der vielen Zeit und dem vielen Geld auch viele Nerven gekostet hat.

Bürgerbeteiligung im „Forum“: das hieß die Interessen der verschiedensten „Stakeholder“ in den Prozeß einfließen zu lassen. Der Reiterverein konkurriert mit dem Zoo, der mit den Sportanlagen, die Handschuhsheimer Gärtner nicht zu vergessen (Gretchen-Frage: „Spitzengemüse oder Spitzenforschung“? „Wie haltet Ihr es mit dem Hühnerstein?“). Und ein Hauptfaktor konservativer Entscheidungen war natürlich „Angst vor Veränderung“. Uwe Schneidewind, Autor des Buchs „Die Große Transformation. Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels“ und inzwischen OB der Stadt Wuppertal, provozierte in einem Gastvortrag über urbane Transformationsprozesse anläßlich der Auftaktveranstaltung am 13.4.2018 mit seiner Kritik am Festhalten des automobilen Konzepts. Eines seiner Zukunfts-Kriterien war die “Enkeltauglichkeit”: Was werden unsere Enkelkinder wohl dazu sagen, dass wir momentan alles auf motorisierten Individualverkehr ausrichten (um die 1.5 Tonnen schwere Kisten, die meist 1 Stunde am Tag meist 1 Person von A nach B bewegen und ansonsten auf einem Parkplatz stehen; wieviel Geldvermögen dort auf der Strasse steht, wagt man gar nicht zu berechnen). Allein die Forderung an die Architektenbüros, Platz für weitere >800.000 Quadratmeter (!) Bruttogeschossfläche bereitzustellen, führte natürlich dazu, dass Nachverdichtung, Erhöhung der Geschosse etc. vorgenommen werden mussten – da gab es von Anfang an schwer zu erfüllende Vorgaben.

Mehrere Beteiligte haben inzwischen in der Rhein-Neckar-Zeitung RNZ dazu Kommentare abgegeben. Rektor Bernhard Eitel (er nennt die Strassenbahn jetzt „Campustram“, eine fünfte Neckarquerung ist für ihn noch nicht vom Tisch), IBA-Chel Michael Braum (er zeigt sich als großer Fan der Seilbahn-Idee enttäuscht über die Ergebnisse des Masterplanprozesses, die darin zum Ausdruck kommende Mutlosigkeit, und sagt: „Bergheim muss den Mist ausbaden“), Mobilitätsexperte Dieter Teufel (er sieht Vorteile des Kompromisses, meint, dass viel erreicht wurde und man jetzt zügig an die Umsetzung gehen kann) und die beiden Vorsitzenden des Koordinationsbeirats Albertus Bujard (er sieht in den vier Jahren Bürgerbeteiligung deutlich mehr erreicht als in den zehn Jahren Planungsbemühungen davor) und Lenelis Kruse-Graumann (sie ist eher skeptisch und meint: „Man muss jetzt das Beste daraus machen“) machen unterschiedliche Perspektiven auf den jetzt erreichten Stand deutlich. Eine Chronologie der Ereignisse findet man übrigens hier: http://www.tiefburg.de/masterplan_nhf.htm.

Wie wird es weitergehen? Nach Anhörung der Bezirksbeiräte (Bergheim, Neuenheim, Handschuhsheim, Wieblingen) sowie Beratung im Stadtentwicklungs- und Bauausschuss im Januar und Februar 2022 wird am 17. März 2022 der Gemeinderat das vorläufig letzte Wort haben. Mal sehen, wie es weitergeht.

Nachtrag 8.4.2022: Am gestrigen Donnerstag fand im Rathaussaal die letzte Sitzung des Koordinationsbeirats „Masterrplan Neuenheimer Feld“ statt. Nachdem der Gemeinderat am 17.3.22 den Abschluss des Verfahrens beschlossen hatte, blieb noch einmal Gelegenheit zu „Rückschau und Reflexion“ – also eine Bilanzierung der letzten 50 Monate. Es wurde allen Beteiligten (sowohl den ehrenamtlichen wie auch den hauptamtlichen) gedankt für den enormen Arbeitseinsatz.

Mein „Stachel“ (so der Co-Vorsitzende Albertus Bujard) in einer ansonsten rosarot gefärbten Rückschau: Wir mögen in den letzten vier Jahren einen brauchbaren Prozess der Bürgerbeteiligung gestaltet haben, blicke ich aber auf das Ergebnis dieses Prozesses, bin ich eher enttäuscht. Ein Mitglied des Beirats meinte zu meiner Kritik: Leuchttürme wie z.B. die Seilbahn seien schön und gut, aber entscheidend wäre der „Realitäts-Check“ (hier: die maximale Transportkapazität). In meinen Augen muss Zukunft gestaltet werden, Realitäts-Checks führen häufig zu einer Orientierung am „status quo“. Dass dabei Mut erforderlich ist, steht ausser Frage – und gerade den vermisse ich. Viele der beteiligten Parteien sind weitgehend zufrieden mit dem Ausgang des Verfahrens: Der Rektor bekommt zusätzliche 868.000 qm Gebäudefläche, die Stadt bekommt die Strassenbahnerschließung (deren Ablehnung die Uni vor Jahren vor Gericht erstritten hat), das Land spart sich eine weitere ursprünglich vorgesehene Phase der Bürgerbeteiligung (und damit einen sechsstelligen Euro-Betrag), die Handschuhsheimer haben die Bebauung vom Gewann „Hühnerstein“ erst mal auf die lange Bank schieben können, der Zoo hat sein Gelände arrondieren können. Verlierer des Verfahrens (z.B. der Stadtteil Bergheim wg. des notwendig wachsenden PKW und ÖPNV-Verkehrs) waren bei der Abschlußveranstaltung nicht zugegen…

Wir hätten versuchen können, einen ökologisch nachhaltigen Vorzeige-Campus zu entwerfen – einfach mal zeigen, was möglich ist (ein „Zukunfts-Check“). Müssten nicht gerade Universitäten zeigen, wie man Nachhaltigkeit bei der Konzeption eines Campus berücksichtigen kann? Aber vielleicht kommt das ja noch bei der Gestaltung der Bauwerke… Ich befürchte: der Mut der Planer wird durch die Angst der Bürger abgebremst!

Kategorien:

Archive
Kategorien