Stop Tracking Science

Von meiner Fachgesellschaft (DGPs) erhielt ich folgende Nachricht, die ich hier gerne öffentlich machen möchte, weil sie Punkte anspricht, die vermutlich viele Leserinnen und Leser mit akademischem Profil interessieren dürften:

Liebe DGPs-Mitglieder,

zunehmend sammeln große Wissenschaftsverlage große Datenmengen über Forschungsinteressen, Onlineverhalten und Publikationsindikatoren von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Als Datenquellen dienen verschiedene Webseiten (z.B. von Journals und gewerblichen Repositorien) und scheinbar harmlose kostenlose Software (wie z.B. Mendeley), die umfangreiche Nutzungsdaten übermittelt, zum Beispiel: Welche Papers schauen Sie wie oft an? Welche Stellen im Paper markieren Sie? Welche Software haben Sie sonst noch auf Ihrem Computer installiert? An welchem Ort haben Sie sich bei jeder Nutzung der Webseite oder Software aufgehalten? (siehe beispielhaft diese Privacy Policy). Diese Daten werden darüber hinaus mit anderen Datenquellen verknüpft (z.B. Informationen aus sozialen Netzwerken). Auch wenn Sie im Browser Cookies ablehnen, kann Ihr Computer eindeutig identifiziert werden (browser fingerprinting, nach deutschem Verständnis am Rand der Legalität), so dass Ihre Onlineaktivitäten aus verschiedenen Datenquellen miteinander verknüpft werden können. An manchen Standorten liefert sogar die Bibliothekssoftware der Universitäten, die durch Plugins der Verlage „erweitert“ wurde, Daten an die Verlage.

Die umfangreichen, personalisierten Daten werden über all diese Quellen aggregiert und Hochschulen, aber auch anderen Parteien, wie zum Beispiel der US-amerikanischen Grenzschutzbehörde, zum Kauf angeboten. Dieses Tracking wird zunehmend zum Geschäftsmodell großer Verlage. Elsevier sieht zum Beispiel nicht mehr im klassischen Publikationswesen, sondern im Bereitstellen von Daten über Forschende und deren Forschungsaktivitäten einen primären Geschäftsbereich: „Elsevier will essentially accept a ‚zero revenue growth‘ position for its journal in exchange for the universities purchasing a large set of their data analytics products.“ (Leaked Dutch Contract with Elsevier Raises Significant Alarm Bells – SPARC).

Die Initiative „Stop Tracking Science“ (Stop Tracking Science) hat Analysen zum Ausmaß dieser Überwachungsaktivitäten zusammengefasst und mit einem Aufruf verbunden, diese zu stoppen. Auch die DFG hat dieses Thema bereits äußerst kritisch kommentiert (https://www.dfg.de/download/pdf/foerderung/programme/lis/datentracking_papier_de.pdf).

Die Verwendung dieser Trackingdaten von Forschenden gefährdet die Wissenschaftsfreiheit in erheblichem Maße. Was kann die wissenschaftliche Gemeinschaft tun, um diesen Praktiken entgegenzuwirken?

Auf individueller Ebene können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler …
… den Aufruf „Stop Tracking Science“ (Stop Tracking Science) unterzeichnen
… (oft kostenlose) Software und Webseiten vermeiden, bei denen Nutzungsdaten im großen Stil abgegriffen werden (auch Mendeley oder SSRN)  und stattdessen Open-Source Alternativen zur Verwaltung von Referenzen etc. nutzen (z.B. Zotero | Your personal research assistant).
… Preprints nicht auf kommerzielle Server wie SSRN, academia.edu oder Researchgate stellen, sondern nicht-kommerzielle Server wie psychArchives (ZPID), psyArxiv (COS) oder Zenodo (CERN) nutzen.
… für sich überlegen, inwiefern man Verlage, die das Science-Tracking im großen Stil nutzen, weiterhin unterstützen möchte (etwa indem man für die entsprechenden Fachzeitschriften als Editor tätig ist).

Auf institutioneller Ebene können Fachbereiche, Fakultäten, Institute und Universitäten …
… die San Francisco Declaration on Research Assessment (DORA) unterzeichnen und umsetzen.
… in Berufungskommissionen nicht SciVal, Clarivate Tools oder vergleichbare intransparente Produkte zur Auswahl in Bewerbungs- und Berufungsverfahren nutzen, welche auch auf besagten Trackingdaten beruhen.
… ihre lokale Bibliothek ansprechen und fragen, ob dort bereits Tracker von Verlagen integriert sind oder eine Installation geplant ist (Proposal to install spyware in university libraries to protect copyrights shocks academics – Coda Story, Addressing the Alarming Systems of Surveillance Built By Library Vendors – SPARC).
… offene Infrastrukturen, die eine Alternative zu den kommerziellen Verlagen darstellen, unterstützen. Viele Bibliotheken spenden bereits einen Teil ihres Etats an solche Infrastrukturen, z.B. DOAJ, Sherpa/Romeo, PKS Open Journal Systems, oder OSF und PsyArxiv. Solche Investitionen in offene Infrastrukturen haben einen transformativen Nutzen, der die Freiheit und Effizienz in der Wissenschaft nachhaltig erhöhen kann.

Der Vorstand der DGPs hat DORA am 22. November 2021 unterzeichnet und möchte die DGPs-Mitglieder motivieren, dies ebenfalls zu tun.

Mit freundlichen Grüßen
der DGPs-Vorstand und die DGPs-Kommission Open Science

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Deutsche Gesellschaft für Psychologie
Marienstraße 30
10117 Berlin

Ich habe den Aufruf „Stop Tracking Science“ unterzeichnet. Und ich bin froh, schon vor Jahren nicht mehr die von mir (auf Empfehlung unser IT) eingesetzte Software „Endnote“ oder „Mendeley“ für meine Literaturverwaltung zu nutzen, sondern das in der DGPs-Mail (s.o.) empfohlene Zotero (ich bin sehr zufrieden damit!). Und natürlich ist das von unserer Grupper begründete „Journal of Dynamic Decision Making“ (JDDM) bei DOAJ angemeldet (DOAJ-Eintrag siehe hier; ebenso die „Heidelberger Jahrbücher“ (HDJBO), für die ich seit vielen Jahren verantwortlich bin; DOAJ-Eintrag siehe hier).

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