Am 24.2.1871 wurde das Buch „Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl“ (Originaltitel: „The Descent of Man, and Selection in Relation to Sex“) von Charles Darwin (1809-1882) veröffentlicht. Darin wurden die gemeinsamen Wurzeln von Menschen und Affen beschrieben. Als die Frau des Bishofs von Worcester davon erfuhr, soll sie der Legende nach gesagt haben: „Let us hope it is not true, but if it is, let us pray that it will not become generally known!“.
Tatsächlich hat sich Darwins Evolutionstheorie in Kreisen der Wissenschaft durchgesetzt, auch wenn in den USA angeblich 40% der Bevölkerung daran zweifeln sollen und lieber an den Kreationismus glauben, wonach Gott die Welt vor einigen tausend Jahren geschaffen hat. Da in einigen Staaten der USA die Evolutionstheorie nicht unterrichtet werden darf (bzw. die Lehre vom „Intelligent Design“ als gleichberechtigte Alternativtheorie zu Darwins Vorstellungen im Lehrplan der Schulen vorgeschrieben ist!), wundert ein derartiger Befund nicht. Wie schön, dass wir in Deutschland freie Wissenschaft haben und über Darwins Ideen sprechen können, ohne Gefängnis befürchten zu müssen.
Für die Psychologie hatte das Werk von Charles Darwin, dessen Erstveröffentlichung ja bereits 1859 mit dem Buch „On the origin of species“ erfolgte, zunächst kaum Bedeutung, obwohl der Schlusssatz des 1859-Buches lautete „Psychology will be based on a new foundation“. Das wurde damals wohl nicht verstanden, unter anderem deswegen, weil der Behaviorismus im beginnenden 20 Jh. so verbreitet war.
Erst im letzten Quartal des 20. Jahrhunderts hat sich dies fundamental geändert: Das Aufkommen einer evolutionären Psychologie, das von Edward Wilsons „Sociobiology“ sowie von den Kognitionspsychologen Leda Cosmides und John Tooby massgeblich beeinflusst wurde (siehe Barkow, J. H., Cosmides, L., & Tooby, J. (Eds.). (1992). The adapted mind: Evolutionary psychology and the generation of culture. Oxford University Press) und im Lehrbuch von David Buss „Evolutionary Psychology“ kulminierte (1999 erstmals erschienen, in 5. Auflage 2014; Untertitel bis heute: „The new science of the mind“; siehe auch den englischen Wikipedia-Eintrag „Evolutionary Psychology„), prägt unser Fach bis heute, wenngleich der anfängliche „Hype“ etwas nachgelassen hat (war der fast zeitgleiche Hype um die Neuropsychologie daran schuld?).
Bis heute sind evolutionspsychologische Konzepte in vielen Kontexten interessant, sei es in der Forschung zu Eifersucht (Frauen reagieren z.B. eher auf emotionale Untreue, während Männer eher auf sexuelle Untreue reagieren), sei es in der kognitiven Psychologie (der „Betrüger-Entdeck-Mechanismus“ hilft z.B. bei der Logik der Selection Task von Peter Wason), sei es im klinischen Bereich von Angststörungen (es gibt z.B. weitaus mehr Patienten mit Angst vor Spinnen als mit Angst vor Autos). Cosmides und Tooby waren sich einig: „Our modern skulls house a Stone Age mind.” Die Evolution des Lebens kommt nicht auf Augenhöhe der rasanten Entwicklung unserer Welt hinterher.
Charles Darwin: Die von ihm beschriebenen Mechanismen der Variation und Selektion beschreiben grundlegende Merkmale schöpferischer Prozesse. In der Kreativitätstechnik des „brain storming“ (von John Osborn 1939 erstmalig beschrieben) werden zunächst wilde Ideen erzeugt („Varianten“), bevor dann der kritische Blick die besten Ideen herausfiltert („Selektion“) und überleben lässt. Die Evolutionslehre beschreibt nichts anderes als kreative Prozesse, gesteuert vom Zensor des Überlebensvorteils. Danke, Charles Darwin, für dieses universelle Prinzip!