Wendt & Funke (2020): Psychologie und Geschichte

Es ist von einer neuen Publikation zu berichten: Mein früherer Doktorand Alexander Wendt, der gerade für seine zweite Doktorarbeit in Verona (Italien) weilt, hat mit mir ein Kapitel in einem gerade erschienenen Sammelband „Psychologie der Geschichte“ verfasst. Titel: „Psychologie über Geschichte oder übergeschichtliche Psychologie?“.

Darin geht es um die Frage, inwiefern psychische Prozesse geschichtlich sind – oder um es an einem Beispiel zu veranschaulichen: Können wir Caesars Gemütslage nachempfinden, als er 49 vC mit seinen Truppen den Rubikon überschritten hat? Egon Friedell stellt in seiner „Kulturgeschichte der Neuzeit“ (1927-1932) die provokante Frage „Haben die Klassiker überhaupt gedacht?“ und fragt danach, ob die Kognitionen unserer Ahnen mit unseren zeitgenössischen Kognitionen überhaupt vergleichbar sind.

Wir vertreten einen „Allgemeinen Psychologischen Universalismus“ (APU), den wir mit seiner Gegenposition, dem Radikalen Psychologischen Historismus (RPH) kontrastieren. Wir argumentieren, dass der RPH in einen Solipsismus mündet, der Verstehen unmöglich macht. Natürlich hat die Allgemeine Psychologie immer schon einen Universalismus-Anspruch gestellt (alle von uns untersuchten psychischen Funktionen sollen für alle Menschen auf dieser Erde gelten – anthropologische Konstanten also), aber diesen Anspruch haben wir vor allem synchron (also hier und jetzt) gestellt. Nunmehr kommt die diachrone Perspektive klar hinzu (APU vermutet: auch vor 100 oder 1000 Jahren besassen die Menschen damals z.B. Strategien der Emotionsregulation, wie sie uns heute geläufig sind) und muss begründet werden. Genau das versuchen wir in diesem kleinen Beitrag zu leisten.

Das von Gerd Jüttemann herausgegebene Buch umfasst 32 Beiträge ganz unterschiedlicher Art – mir gefällt die Auseinandersetzung mit dem Fach „Geschichte„. Zum einen, weil wir interessante Rekonstruktionen historischer Situationen kennen (z.B. Dörner, D., & Güss, C. D. (2011). A psychological analysis of Adolf Hitler’s decision making as commander in chief: Summa confidentia et nimius metus. Review of General Psychology, 15(1), 37–49. https://doi.org/10.1037/a0022375). Zum anderen, weil der Gedanke an eine „experimental history“ von unserem Fach an die Geschichtswissenschaft herangetragen werden könnte: z.B. Nachstellen historischer Entscheidungssituationen mit variierenden Randbedingungen und schauen, wie Naive bzw. Experten aus heutiger Sicht entscheiden würden. Die mögliche Kooperation mit der Geschichtswissenschaft eröffnet also den Raum für interessante neue Fragestellungen.

Quelle: Wendt, A. N., & Funke, J. (2020). Psychologie über Geschichte oder übergeschichtliche Psychologie? In G. Jüttemann (Hrsg.), Psychologie der Geschichte (S. 102–109). Pabst Science Publishers. [download]

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