Zu Gast bei Forst und Holz

Zwei Tage lang war ich Gast in einer mir bislang fremden Welt: Vom 30.-31.1.2020 war ich als Teilnehmer auf dem 40. Freiburger Winterkolloquium Forst und Holz. “Komplexität, Unsicherheit, Nicht-Wissen? Entscheiden!” lautete das Thema, ich durfte den Eröffnungsvortrag halten. Das Winterkolloquium ist ein prominenter Platz, an dem Wissenschaft, Politik und Praxis aus den Bereichen “Forst und Holz” zusammenkommen.

Beim „Freiburger Winterkolloquium Forst und Holz“, das seit 1975 [!] regelmäßig von den „wirtschaftsorientierten“ Professuren der Fakultät für Umwelt und Natürliche Ressourcen an der Universität Freiburg gemeinsam organisiert wird, handelt es sich um ein eher ungewöhnliches Kolloquiumformat: Es richtet sich vorrangig an Entscheidungsträger in Unternehmen, Betrieben und Verwaltungen im Bereich der Forst- und Holzwirtschaft, sowie an Politiker, Wissenschaftler und Studierende, die mit diesen Themenfeldern beschäftigt sind. Ziel ist es, aktuelle Themen aus der Forst- und Holzwirtschaft über Vorträge von renommierten Referenten aus Wissenschaft und Praxis zu reflektieren und mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu diskutieren. Das Winterkolloquium erfreut sich bundesweit sowie in der Schweiz und in Österreich großer Beliebtheit und wird seit Jahren durchschnittlich von 400 bis 500 Teilnehmern besucht.

Der Dekan der Fakultät für Umwelt und Natürliche Ressourcen an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Heiner Schanz, freute sich, dass der Rektor der Universität, Hans-Jochen Schwiewer, das Treffen eröffnete und seiner großen Fakultät (knapp 40 Professuren) weiterhin viel Erfolg wünschte. Ich selbst freute mich, dass der Rektor sich meinen Eröffnungsvortrag anhörte.

Die nachfolgenden fachwissenschaftlichen Vorträge zeigten teils ein düsteres Bild der möglichen Entwicklungen des Baumbestands infolge des Klimawandels (wie im Vortrag von Marc Hanewinkel dargestellt), teils machten sie auch die Schwierigkeiten langfristiger Planungen angesichts volatiler politischer Vorgaben deutlich. Dekan Heiner Schanz hob in seinem Vortrag „Ich setzte den Fuß in die Luft und sie trug: Entscheiden über Netzwerke“ die Bedeutung von Netzwerken hervor (wie beim Jazz: die Band-Mitspieler müssen zum Improvisieren in den „groove“ kommen), gab aber zugleich die Devise „embrace uncertainty“ aus, also ein Vertrauen auf die Zukunft. Der Vortrag zum Thema „Politik redet, wer entscheidet?“ von Botschafterin Dr. Meglena Plugtschieva (amtierende Botschafterin und ehemalige Vize-Premierministerin der Republik Bulgarien sowie Diplom-Forstwissenschaftlerin) beschrieb anschaulich die seit 1990 auftretenden Probleme der Forstwirtschaft beim Übergang von Staatswirtschaft in Privatwirtschaft, während der Beitrag „Zusammenhang zwischen Erfolgen und erfolgten Entscheidungen“ von Henning Graf von Kanitz (Geschäftsführer von Center-Forst) die heutigen Probleme privatwirtschaftlicher Waldbetriebe deutlich machte.

Wörter wie “Kalamitäten” (=Waldschäden, z.B. aufgrund von Stürmen) oder “Umtriebszeiten” (=die Zeit, die von der Pflanzung bis zur Endnutzung durch Holzeinschlag vergeht) gehörten bislang nicht zu meinem Wortschatz, machen aber ganz schnell deutlich, warum wir mehr miteinander reden sollten: Verwandte Phänomene werden bei uns in der Psychologie unter den Begriffen “Desaster” bzw. “Planungshorizont” geführt. Eine Buchempfehlung aus der Psychologie: Das populärwissenschaftliche Buch von Dietrich Dörner von 2003, Logik des Misslingens – dort sind Kalamitäten aller Art beschrieben.

Auf jeden Fall aufregend sind die enorm langen, generationen-übergreifenden Planungszeiten – nicht umsonst stammen die Ursprünge nachhaltigen Wirtschaftens aus der Forstwirtschaft (häufig an der ersten einschlägigen Publikation zum Thema „Nachhaltige Waldwirtschaft“ aus dem Jahr 1713 von Hans Carl von Carlowitz festgemacht). Da sind die Planungshorizonte von Politikern (und erst recht von modernen Managern) in aller Regel deutlich kürzer…. „Resiliente“ Planungen (wie im Vortrag von Hartmut Fünfgeld beschrieben) werden gesucht! Und natürlich muss man sich mit Gruppen-Entscheidungen (Janis: „group think„) beschäftigen, wie im Vortrag von Daniela Kleinschmit deutlich wurde.

Interessant: In der BRD kann man diese Themen (Forst und Holz) nur an vier Universitäten studieren (neben Freiburg an der TU Dresden, der Uni Göttingen und der LMU München); allein in Freiburg machen das z.Zt. mehr als 2000 Studierende in 20 Studiengängen. Die sehr differenzierte Binnenstruktur der Forstwissenschaft (es gibt Professuren für Forst-Zoologie, Forst-Botanik, Forst-Geschichte, Umwelt-Metereologie, Umwelt-Ökonomie, usw.) ließ mich die Augen reiben angesichts einer Lücke, die mir natürlich sofort ins Auge sprang: Es gibt keine Forst-Psychologie, keine erkennbaren Bezüge zur Umwelt-Psychologie! Und dann wundern sich die Forst- und Holzwissenschaftler, dass ein Förster namens Peter Wohlleben diese Lücke medienwirksam füllt! Natürlich hat diese Lücke auch damit zu tun, dass wir nicht gerade viele Umweltpsychologinnen und -psychologen ausbilden, dass die Umweltpsychologie insgesamt an deutschen Universitäten eher ein Schattendasein führt. Aber den Wald vor allem ökonomisch zu betrachten ist dann doch wohl zu kurz gegriffen.

Ein lehrreiches Symposium, das mich mit vielen Ideen und Anregungen wieder nach Hause fahren ließ – auch mit tollen Eindrücken wie dem vom Historischen Kaufhaus, in dem im Kaisersaal ein abendlicher Empfang samt unterhaltsamem (und nachdenklich machenden) Festvortrag von Uwe Eduard Schmidt zur traditionsreichen Geschichte der Fakultät stattfand.

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