Gastbeitrag „Mein Aufenthalt an der Hebrew University of Jerusalem“ von einer Studentin der Psychologie am Psychologischen Institut der Universität Heidelberg (Name ist J.F. bekannt)
Dass Auslandssemester die Werte der Persönlichkeitsfaktoren „Offenheit für neue Erfahrungen“ sowie „Verträglichkeit“ von Studierenden steigen lassen (Zimmermann & Neyer, 2013), dürfte keine Überraschung sein. Aus dem routinierten, wohlbehüteten Alltag in Heidelberg für fine gewisse Zeit bewusst auszusteigen, die eigene Komfortzone zu verlassen und in einen ganz anderen, komplexen und hoch interessanten Kulturkreis einzusteigen – das waren meine Hauptmotive für die Bewerbung an der „Hebrew University of Jerusalem“ in Israel.
Seit letztem August studiere ich nun in meinem 7. bzw bald 8. Semester Psychologie in Jerusalem und bin nach wie vor unfassbar dankbar, dass mir ein wirklich umfangreiches Stipendium der Universität Heidelberg diese Zeit hier ermöglicht. Die Universität befindet sich auf einem der Hügel Jerusalems, dem „Mount Scopus“, und ermöglicht uns Studierenden damit aus der einen Hälfte der Seminarräume einen traumhaften Blick auf die Altstadt, den Felsendom und teilweise auf den Ölberg, sowie auf der anderen Seite einen Blick nach Palästina; damit einen sehr klaren Blick auf die Realität dieser Gegend. Unmittelbar neben dem Campus verläuft nämlich ein Abschnitt der Grenzmauer zu Palästina. Hinter dem daran angrenzenden palästinensischen Ort „Al-Issawiya“ schließt sich unmittelbar die Wüste an. An guten Tagen kann man somit vom Campus aus bis zum Toten Meer und auf die Bergkette Jordaniens blicken. Die Absurdität dessen, in meiner Bib-Pause mal eben durch den traumhaften botanischen Garten zu schlendern, meinen Blick in die Wüste und gleichzeitig auf einen Abschnitt dieses 759km langen Verstoßes gegen Völkerrechte zu richten, lässt sich kaum in Worte fassen und löst auch nach 5 Monaten in mir keine Habituation aus.
Trotz dessen ist die „Hebrew University“ einer der wenigen Orte Jerusalems, wo Israelis und Palästinenser überhaupt in Kontakt miteinander kommen. 13% der Studierenden hier sind israelische Araber, haben also einen israelischen Pass. Für viele ist es der erste und oft auch der letzte Ort, wo sie in ihrem Leben tatsächlich miteinander interagieren. Laut des Direktors bemüht sich die Universität sogar, die Zahl arabischer Studierende hier zu steigern, man zeigt sich fast schon stolz über diesen Prozentsatz. So wird hier seit Neustem immerhin das arabische Abitur anerkannt. Als einen wirklichen Ort der Begegnung würde ich die „Hebrew University“ dennoch nicht bezeichnen. Jeden, den ich bisher fragte, bleibt in seiner eigenen religiösen bzw. nationalen In-Group. „Ich würde ihnen ‚Hallo‘ sagen, aber arabische Freunde habe ich trotzdem nicht“, höre ich von den meisten.
Interessanterweise belegte ich sogar zu genau dieser kontroversen und hoch aktuellen Thematik einen sozialpsychologischen Kurs mit dem Namen „Hostility and Dialogue: Narratives and psychological dynamics in the Israeli-Palestinian Conflict“, der die politischen und gesellschaftlichen Geschehnisse des Nahen Osten durch Gruppendynamiken, Biases, Stereotype und soziale Beeinflussung zu analysieren versuchte. Dieses Fach begeisterte mich enorm und zeigte mir, dass eine psychologische Analyse des hier bestehenden und so unendlich tief verankerten Konfliktes notwendig ist, um die Situation auch nur ansatzweise „verstehen“ und hoffentlich beeinflussen zu können. Die Forderung nach einem stärkeren Anwendungsbezug psychologischer Forschung, weg von einer reinen „Elfenbeinturm-Psychologie“, schien mir selten relevanter. Ich wünsche dem Nahen Osten auf seiner Suche nach Frieden wirklich mehr (sozial)psychologische Ansätze, um auf einer globalen, generationen- und nationenübergreifenden Ebene das Bild über den jeweils „Anderen“ verändern zu können!
Weniger Begeisterung als dieser Kurs löste bei mir definitiv „Evolutionary Psychology“ aus. Zwar bin ich froh, mir all diese Ansätze angehört zu haben, doch bleibe ich überzeugt von der in meinen Augen nur relativ kleinen Existenzberechtigung dieses Erklärungsansatzes von menschlichem Verhalten. Immerhin wurde dadurch meine kritische Auseinandersetzung mit psychologischen Inhalten geschult; das meldete ich dem Professor auch zurück, und ebenso, dass ich aus Heidelberg differenziertere Perspektiven gewohnt sei. In „Philosophy in Film“ philosophische Grundfragen in Filmen wie „Matrix“, „Blade Runner“ etc. zu analysieren sowie seit August die hebräische Sprache auf recht intensivem Niveau zu erlernen, rundete mein erstes Semester hier perfekt ab. Ab Februar 2019 freue ich mich nun darauf, zum einen mein Hebräisch fortführen zu dürfen, sowie zum anderen auf den Psychologie-Kurs „Trauma and Resilience in Israeli Society“, den Politik-Kurs „Introduction to Counter-Terrorism“ und den Philosophie-Kurs „The Philosophy of Wellbeing“. In meiner Kurswahl ausschließlich meinen intrinsischen Interessen zu folgen und endlich mal ohne den Druck, immer eine sehr gute Note erzielen zu müssen, studieren zu können, ist ein wundervolles Gefühl – ich kann es jedem nur wärmstens empfehlen.
Ich sehe meine Zeit hier als eine wertvolle Bereicherung meiner Erfahrungswelt an. Besonders in Zeiten der Globalisierung ein authentisches Bewusstsein darüber zu erlangen, wie sehr sich Menschen „nur“ aufgrund ihrer kulturellen Werte und Einstellungen unterschieden können, und wie stark sie von ihrem Umfeld, hier vor allem von den verschiedenen Religionen, geprägt werden, stellt einen essentiellen Entwicklungsschritt in meiner eigenen Identitätsbildung dar. Ich bin überzeugt davon, dass sich dies auch auf anderen Wegen erreichen lässt, doch ein Auslandssemester, besonders in einem anderen Kulturkreis, ist definitiv ein guter Ausgangspunkt dazu. Schließlich steigert sich dabei definitiv das Verständnis für andere Meinungen und Sichtweisen und damit auch die Fähigkeit, diese zu akzeptieren und wertzuschätzen. Außerdem wird das eigene Selbstvertrauen sowie Selbstbewusstsein in meinen Augen gefördert und vor allem gefestigt.
In den letzten Monaten sammelte ich natürlich nicht nur in akademischer Hinsicht besondere Erfahrungen. Zwei Wochen lang reiste ich durch Jordanien, besichtigte verschiedene Orte in Palästina, wanderte an Heiligabend nach Betlehem, nahm an hochinteressanten Field-Trips meiner Uni teil, erlebte oft das Gefühl der allgegenwärtigen Unsicherheit einer von Konflikten geprägten Stadt und wurde nun zwei Mal „endlich“ mit dem „Jerusalem-Syndrom“ konfrontiert – psychologisch sehr interessante Begegnungen. Mein immer besser werdendes Hebräisch hatte dabei definitiv einen Einfluss auf die Begegnungen mit meinen Mitmenschen und öffnete mir viele Türen. Deswegen erachte ich es für essentiell und enorm gewinnbringend, die Sprache eines Landes zu erlernen, in welchem ich über längere Zeit lebe.
Dass ich nun mal aus dem Land stamme, das für die Ermordung von sechs Millionen Juden verantwortlich ist, und nun als Deutsche in Israel studiere, stieß bisher kaum auf Reaktionen der Israelis. Die jüngere Generation scheint fast schon ermüdet zu sein von der Thematik des Holocaust, was ich als absurd und teilweise ignorant wahrnehme und mir verdeutlichte, wie wichtig Erinnerungsarbeit ist.
Doch all diese Erfahrungen, auch wenn sie mir manchmal sogar zu intensiv erscheinen, bleiben eines, nämlich durchgehend spannend. Auch wenn ich die Heidelberger Altstadt, die Neckarwiese und die Intimität des Heidelberger Psychologischen Instituts vermisse, so bin ich froh, diese fast schon viel zu heile Welt mal verlassen zu haben, um mich von Israel inspirieren zu lassen und die Vielfältigkeit unseres Planeten, verschiedener Kulturen und vor allem verschiedener geistiger Haltungen erleben und schätzen zu lernen.