Einer meiner wichtigsten akademischen Bezugspersonen, Dietrich Dörner (Universität Bamberg), wird heute 80 Jahre alt. Dazu ganz herzlichen Glückwunsch! Auf der eben abgeschlossenen Frankfurter DGPs-Tagung haben Wolfgang Schoppek und ich ein kleines Symposium zu seinen Ehren organisiert – hier dessen Inhalt:
- Erfolgreiche und erfolglose Versuche beim Erforschen sehr komplexer Systeme. – Joachim Funke (Universität Heidelberg)
- Beyond psychometrics: The difference between difficult problem solving and complex problem solving. – Jens Beckmann (Durham University), Natassia Goode, Damian Birney
- Following-up on Dörner’s advice: The role of simulation tools in alleviating stock-flow. – Medha Kumar (Indian Institute of Technology), Varun Dutt
- Die Entwicklung von Werkzeugen zur Qualifikation und Arbeitsgestaltung für komplexe Arbeitssysteme. Anwendung und Weiterentwicklung der Theorie Dietrich Dörners. – Rüdiger von der Weth (HTW Dresden), Ulrike Starker
- To what extent can ACT-R models address Complex Problem Solving? – Sabine Prezenski (TU Berlin), Andre Brechmann, Susann Wolff, Nele Russwinkel
- Neues aus der Schneiderwerkstatt: Die Tailorshop-Mikrowelt als Open-Source Web-Anwendung. – Daniel Holt (Universität Heidelberg), Johannes Hofmeister, Joachim Funke
- Quo vadis, komplexes Problemlösen? Neue theoretische Impulse. – Wolfgang Schoppek (Universität Bayreuth)
Vorgeschaltet war eine Würdigung der Fachgruppe Allgemeine Psychologie, vorgetragen von deren Vorsitzenden, Christina Bermeitinger (Universität Hildesheim). Ich habe Christina gebeten, mir ihre Würdigung für meinen Blog zur Verfügung zu stellen. Diesem Wunsch ist sie sofort nachgekommen – danke dafür! Daher folgt hier:
Gastbeitrag von Christina Bermeitinger: „Grusswort der DGPs-Fachgruppe Allgemeine Psychologie zum 80. Geburtstag von Dietrich Dörner“
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste, liebe Wegbegleiter und Freunde von Dietrich Dörner, und ganz besonders: lieber Herr Dörner,
seien Sie herzlich willkommen! Wie gesagt, insbesondere lieber Herr Dörner, schön, dass Sie hier auf dem DGPs-Kongress sind und dass Sie doch noch reingelassen wurden! Das mit Dietrich Dörner und dem DGPs-Kongress scheint nämlich nicht immer eine Beziehung wechselseitiger Zuneigung zu sein. Dietrich Dörner widmet etwa das Schlusswort seiner 2017 erschienenen Selbstdarstellung dem DGPs-Kongress (sozusagen) und er moniert darin die kaum vorhandene Rezeption des Kongresses durch Presse und Gesellschaft – oder vielmehr bemängelt er die dadurch zum Ausdruck kommende mangelnde Relevanz psychologischer Forschung, Theorien und Themen für die Gesellschaft.
Vielleicht war es damit ein kleiner Racheakt, dass auch beim dritten Anlauf die Anmeldesoftware des diesjährigen Kongresses sich weigerte, Herrn Dörners Zahlung zu akzeptieren und ihn zum Kongress zuzulassen. (Tja, von wegen KI bedeute womöglich Künstlicher Idiot – nein, ich werte das als eindeutiges Zeugnis Künstlicher Intelligenz! Und vielleicht hat der Computer hier insgeheim ein bisschen gelacht – wer weiß schon, wie sich Computerlachen ausdrückt!)
Nun gut, wie wir sehen ist – mithilfe humaner Kongress-Hilfe – die analoge Anmeldung offenbar doch noch geglückt. Also: Schön, dass Sie hier sind! Ich bin Christina Bermeitinger und heute hier in meiner Funktion als Sprecherin der Fachgruppe Allgemeine Psychologie. Kurz etwas zum Ablauf der folgenden 30 (plus 90) Minuten: Von mir folgt gleich die Vorstellung von Leben und Werk Dietrich Dörners sowie (damit verbunden) ein Grußwort der Fachgruppe, im Anschluss werden Rüdiger von der Weth und Ulrike Starker etwas zu (ihrem) Leben und Wirken von und mit Dietrich Dörner vorstellen. Und dann freuen wir uns sehr auf das Symposium „Komplexes Problemlösen – Dietrich Dörner zum 80. Geburtstag“, das von Wolfgang Schoppeck und Joachim Funke organisiert wurde. Zunächst also nun von mir der Beitrag der Fachgruppe.
Üblicherweise stelle ich mich zur Vorbereitung auf Grußworte oder Reden vor mein Bücherregal zu Hause, insbesondere stelle ich mich dafür gerne vor die Bilderbuchabteilung, um Anregungen und Zitate für den entsprechenden Text zu sammeln. In diesem Fall war es jedoch etwas anders, hatte aber auch mit einem Buch und Bücherregalen zu tun. Es war nämlich so: Etwa zu Beginn dieses endlosen, jetzt zu Ende gehenden Sommers wurde die Fachgruppe zu dieser Veranstaltung eingeladen. Es war klar, dass es um Dietrich Dörner gehen solle.
Zu dieser Zeit hatte ich – in meiner momentanen Funktion als Institutsleitung des Psychologie-Instituts in Hildesheim – den Auftrag der Bibliothek erhalten, doch gemeinsam mit unserer Bibliotheksbeauftragten das komplette Sortiment der Psychologie in Augenschein zu nehmen. Insbesondere sollten wir markieren, welche Bücher schon mal ins Archiv wandern könnten. Da standen wir also zu zweit zwischen den Regalen und sind an manchen Stellen des nicht allzu zahlreich bestückten Psychologie-Sortiments ein wenig unglücklich geworden – insbesondere dort, wo es mehrere Regalbretter lang z.B. um Träume ging oder um Psychiatriegeschichte.
Da standen wir also nun, teilweise saß ich auch auf dem Boden für die Bücher ganz unten, und beklebten die Bücher, die ins Archiv können, mit blauen Punkten, und die Bücher, die weg oder mindestens irgendwo anders hin sollten (in die Ratgeber-Ecke oder die Soziologie oder was auch immer) mit roten Punkten. Nach ein paar Regalen hatten wir die Anfangshemmungen („Es sind doch Bücher!“ – „Ja, aber es sind völlig veraltete, nicht wissenschaftliche oder einfach total unpassende Bücher.“) überwunden und die Klebepunkte wechselten mit flinker werdender Hand auf die Buchrücken.
Und als ich da gerade saß und eine der unteren Reihen bearbeitete, stieß ich auf drei Exemplare eines Werkes mit braunem Leineneinband, alles offenbar deutlich ältere Jahrgänge und schon recht abgegriffen. Inzwischen hatte ich mir einen eindeutigen „im Zweifel weg“-Bias zugelegt, so dass ich schon die blauen „Archiv“-Punkte zückte. Dann sah ich Teile des Titels: Irgendwas mit „Misslingen“ – (schon wieder etwas aus der Kategorie „Ratgeberliteratur“?!?). Da fiel beim Aufschlagen des Werkes mein Blick endlich auf den Autor – Dietrich Dörner. Nun, die blauen Punkte konnte ich an dieser Stelle sparen und alle drei Exemplare stehen selbstverständlich unbepunktet weiter im Regal der Bibliothek (so sie nicht gerade ausgeliehen sind).
Als äußerst komprimierte – fast loriotesk anmutende – „Weisheit“ aus diesem Buch kann man mitnehmen: „Strategisches Denken ist möglich, aber nicht einfach.“ Zu Hause habe ich mich dann aber doch auch noch vor meine Bücher gestellt – und bin fündig geworden. „Leben mit Widersprüchen, Aufmerksamkeit auf soziale und ökologische Zusammenhänge, Möglichkeiten der Wahl, Bedeutung des Selbstbewusstseins, Fähigkeit zur Sorge, Offenheit für Erfahrungen…“
Das klingt fast wie eine Zusammenfassung vieler Aspekte, die beim Umgang mit komplexen Problemen, denen Dietrich Dörner einen großen Teil seiner Forschungstätigkeit gewidmet hat, eine Rolle spielen. Das Zitat stammt allerdings aus Wilhelm Schmids „Philosophie der Lebenskunst“. An der Parallele zeigt sich jedoch bereits ein zentrales Moment der Forschungsmotivation von Dietrich Dörner: Wie bei der Lebenskunst und bei Wilhelm Schmid geht es Dietrich Dörner um die Zusammenhänge, es geht um Freiheit, um Wahlmöglichkeiten und im Wesentlichen geht es um alles – kein einzelner Teil des Systems, sondern das System selbst, das Leben, die Seele, der Geist als solcher und Ganzes stehen im Fokus des Interesses. Und auch wenn einiges an Forschung und Literatur, die Dietrich Dörner hervorgebracht hat, sehr mechanisch klingen mag („Bauplan einer Seele“ oder „Die Mechanik des Seelenwagens“), so geht es ihm doch immer um den Menschen, um das, was ihn im Innersten zusammenhält.
Der Weg zu einem Verständnis von allem ist iterativ und bei Dietrich Dörner nahm das Interesse an einem Verständnis seinen Anfang in – der Bundeswehr, die ihn aufgrund der Beobachtung zahlreicher „Beispiele merkwürdigen Verhaltens“ überhaupt erst zur Psychologie gebracht hat. Sein Studium, das er 1965 mit dem Diplom in Psychologie abschloss, ging jedoch weit über die Psychologie hinaus – er hat sich sein Handwerkszeug in dieser Zeit zusammengesucht, hat Kurse in Neurophysiologie, Logik und Mathematik belegt und sich das Programmieren beigebracht und er brachte es damals sogar so weit, dass er mit der Nachtrechenerlaubnis geadelt wurde – zwei, drei Nachtstunden ganz allein zum Rumprobieren und Experimentieren! Es war also eher ein Studium Generale (mit Anspielung auf Generalschlüssel), in einer Zeit, in der die Psychologie anfing, eine Naturwissenschaft zu werden.
Um nun psychische Prozesse nachzubilden (und im besten Falle zu verstehen), hat er Simulationsprogramme geschrieben. Seine Dissertation widmete sich einer Theorie des Denkens mit Klassenbegriffen, die Theorie hat er auf den Computer gebracht. Das Verhalten des Computers hatte sehr große Ähnlichkeit mit dem Verhalten von Versuchspersonen. Danach hat er nach-gedacht und kam zu der Erkenntnis, dass dem Computer doch aber gerade DAS wesentliche Element menschlicher Intelligenz fehlte – nämlich sich ad hoc auf neue und fremde Aufgaben einzustellen und Lösungswege selbständig zu generieren. Ein intelligenter Computer war also noch lange nicht geschaffen; Diese Erkenntnis zog Ernüchterung und Enttäuschung nach sich.
Zusammen mit Gerd Lüer untersuchte Dietrich Dörner im Anschluss an diese Erkenntnis dann das Problemlösen. Die Leitfrage für Dietrich Dörner war hierbei: „Kann man […] Atome des Denkens finden, aus denen die vorangegangenen Teilprozesse des deduktiven Denkens als Moleküle zusammengesetzt sind?“ Die so geleitete Forschung führte zu einer – nach Dietrich Dörners eigener Aussage – wenig rezipierten, jedoch für eine Habilitationsschrift als geeignet beurteilten – Entdeckung. Es ging um elementare, neuronal interpretierbare Prozesse, aus denen Denken zusammengesetzt ist, und wie dies wiederum etwa mit Gefühlen zusammenhängt.
Danach folgte wieder eine enttäuschende Einsicht: Ein bestimmter Realitätsbereich des klaren, deduktiven und durchschaubaren Denkens war beschreibbar geworden. Der Computer jedoch war noch immer nicht „intelligent“, konnte nicht denken im Sinne eines kreativen, phantasievollen und auf neue Situationen ohne klar umrissene Aufgaben, Möglichkeiten und Zielbeschreibungen adaptiven „Abenteurers“. Dietrich Dörner erfuhr hier die Einschränkungen der experimentellen „Puristik der Psychologie“. Dies hat ihn nun weggführt – und zwar wohin?
Wir sind inzwischen in den 70er-Jahren angelangt. Die (nicht nur) psychologische und nicht nur Ausbildung erfolgte vom Studium bis zur Habilitation in Kiel. Danach hatte Dietrich Dörner Professuren oder Lehrstühle in verschiedenen Städten inne. Die Preisfrage lautet nun: Mit welchen Orten bringen Sie Dietrich Dörner am meisten in Verbindung? Gut, er war Hochschullehrer in Düsseldorf, in Gießen und schließlich in Bamberg, wo er seit 2005 Emeritus am Institut für Theoretische Psychologie ist. Er war Leiter der Max-Planck-Projektgruppe für Kognitive Anthropologie in Berlin. Und seit 2016 ist er zudem Ehrendoktor der Universität Heidelberg. Aber die Orte, die mit Dietrich Dörner wohl am meisten assoziiert werden, sind – Lohhausen und Tanaland.
Dietrich Dörner konstruierte virtuelle Enklaven (Lohhausen oder Tanaland und ähnliche) mit unklaren Situationen; es gab keine festen Lösungsmethoden, es war alles nicht so ganz durchschaubar, falsch und richtig gab es nicht pauschal, sondern etwas war situationsabhängig besser/richtig oder schlechter/falsch. Die Versuchspersonen waren Politiker (beispielsweise Lohhausen-Bürgermeister) in diesen unklaren ökologisch-wirtschaftlich-politischen Situation. Das Oberthema war „Denken in komplexen Situationen“.
Feststellbar waren starke interindividuelle sowie intra-individuelle Unterschiede in den angewandten Strategien der Versuchspersonen. Das Verhalten der Versuchspersonen ergab sich aus der untrennbaren Einheit von Wahrnehmung, Emotionen, Lernen und Denken – eine Trennung in Hot und Cold Cognition war entweder unmöglich oder sinnlos. Aus den Erkenntnissen und der akribischen Analyse seltener, jedoch äußerst aufschlussreicher Aussagen der Versuchspersonen, die bestimmte Denkfehler offenbarten, ist das eingangs bereits eingeführte überaus erfolgreiche Buch „Die Logik des Misslingens“ entstanden.
Seit den 80er-Jahren (und heute noch immer – iterativ das Stichwort) hat Dietrich Dörner dann versucht, eine Theorie zu finden für die Gesamtorganisation des Verhaltens. Das Ziel war eine vollkommen formale Theorie der psychischen Prozesse, bei der der Seele als Steuerungsprinzip des Verhaltens die entscheidende Rolle zukommt – und das im Gegensatz zum Rest der Psychologie, die nach Dörners Einschätzung dieses Steuerungsprinzip ignoriert, um nur den Output zu untersuchen. Mit Emo-Regul wurde ab 1984 ein System für die menschliche Seelenstruktur gebaut, mit einem Motivsystem, Regulationen, einem Gedächtnis und einem Wahrnehmungssystem; mit der PSI-Theorie hat Dietrich Dörner eine Theorie begonnen, die am Ende ein komplettes Lebewesen mit Kognition, Emotion und Motivation abbilden können soll. Daran wird noch heute gearbeitet.
Theoretische Psychologie ist Dietrich Dörner ein ganz besonderes Anliegen, nicht nur als ehemaliger Inhaber eines Lehrstuhls für Theoretische Psychologie und ehemaliger Direktor eines Instituts für Theoretische Psychologie. Theorien sollten aus der Beobachtung von Einzelfällen entstehen und Einzelfälle sollten aus der Theorie ableitbar und erklärbar sein. Der Rückbezug auf (gute) Theorien ist eine Forderung, mit der Dietrich Dörner heute nicht alleine ist – Empfehlungen etwa der DGPs sowie des Wissenschaftsrates fordern diese ebenfalls ; deren Umsetzung gehen andere jedoch weniger selbstverständlich an als er.
Dietrich Dörner gehörte nie zum Mainstream der (Allgemeinen) Psychologie, was jedoch die DFG nicht davon abgehalten hat, ihm den wichtigsten deutschen Forschungspreis, den Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis, zu verleihen und er wurde auch mit einer Reihe weiterer Auszeichnungen und Ehrungen bedacht, etwa war er Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin oder auch Fellow des Hanse-Wissenschaftskollegs Delmenhorst. Dietrich Dörner selbst attestiert sich, dass er wohl „wissenschaftstheoretisch“ nicht so ganz auf der Linie der Fachgruppen-Ideologie zu liegen scheine (darüber sprechen wir nochmal). Freunde sagen über Dietrich Dörner, dass sie einigen seiner Ansichten stets vehement widersprechen werden, dass seine Ideen und Vorstellungen es jedoch immer wert waren und sind, sich mit ihnen auseinander zu setzen. Dietrich Dörner war Pionier der Problemlöseforschung und im Bereich der Computersimulationen. Er hat das Verhalten historischer Personen ergründet und eben Einzelfälle analysiert. Er setzte damit Methoden ein, die manche (nicht zuletzt Dietrich Dörner selbst) als außerhalb der Psychologie (eventuell sogar der Wissenschaft) betrachtet haben. Jedoch gestehen sie ein, dass Dietrich Dörner damit einen Anlass liefert, sich mit Möglichkeiten einer alternativen (Allgemeinen) Psychologie auseinanderzusetzen. Dietrich Dörner biete genügend Gründe dafür, über den Tellerrand unserer Alltagsforschung hinaus zu sehen.
Wenn man Dietrich Dörners Selbstdarstellung liest, offenbart sich, dass er dem Diktum von Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799) „Man sollte nie so viel zu tun haben, dass man zum Nachdenken keine Zeit mehr hat.“ folgt. Es wird außerdem deutlich, dass Dietrich Dörner Forschung grundsätzlich als Kooperation betrachtet – er schreibt stets von „wir“, nennt „1000 tolle Leute“, man kann die Wertschätzung gegenüber seinen Mit-Denkern spüren – er lebt hier das vor, was die DGPs in ihren Empfehlungen zur Qualität der psychologischen Forschung 2016 veröffentlicht hat. Die inhaltlichen Themen, über die Dietrich Dörner forscht (Denken, kreative Herangehensweisen, Simulationen, integrative Betrachtung, Ineinandergreifen von Prozessen, Einflüsse von anderen und Gruppen) gehören inhärent zu dem, wie er forscht, dazu.
Dietrich Dörner beschäftigt sich mit den grundsätzlichen und grundlegenden Fragen des Funktionierens der Seele, im Kern also mit einer integrativen Allgemeinpsychologie (einer Allgemeinpsychologie im Gesamten sozusagen, also mit Kognition, Emotion und Motivation). Darüber hinaus hat er wichtige Impulse gegeben und Diskurse angestoßen in der Differentiellen Psychologie und auch der Sozialpsychologie. Und schließlich hat er wichtige Beiträge zur Methodenlehre geleistet, indem er insbesondere – wie vorher schon erwähnt – vor blindem Experimentieren warnt, neue Möglichkeiten aufzeigt und die klare Ableitung von Theorien und aus Theorien fordert.
Dietrich Dörner hat sich nicht nur in seiner Forschung außerordentlich engagiert. Er war auch als Herausgeber an der Zeitschrift „Sprache und Kognition“, die 1981 gegründet und 2000 eingestellt wurde, maßgeblich beteiligt. Darüber hinaus war Dietrich Dörner ein „psychologischer Wegbereiter der Wiedervereinigung“ oder mindestens ein „Wegbereiter der psychologischen Wiedervereinigung“. Als wesentlicher Initiator eines Projekts im Rahmen des Abkommens zur wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit zwischen den beiden deutschen Staaten hat Dietrich Dörner eine fruchtbare Kooperation trotz aller politischer Herausforderungen aufgebaut. Dörner, Spada, Hermann, Klix, van der Meer – das sind Namen, die zu dieser Kooperation dazugehörten. Es gab Workshops, gemeinsame Projekt und gemeinsame Publikationen und durch ganz praktische Unterstützung (Beispielsweise Einladungen zum Internationalen Kongress der Psychologie nach Sydney) eröffneten sich für manche der ostdeutschen Kolleginnen vorher ungreifbare Möglichkeiten mit sehr positiven und nachhaltigen Konsequenzen.
Dietrich Dörner ist Mitglied der Fachgruppe Allgemeine Psychologie, die es „erst“ seit 1996 gibt, und engagiert sich bisweilen auch hier, ganz aktuell hat er sich im Mai gemeldet, um als Mentor für den Nachwuchs zur Verfügung zu stehen. Vielen Dank dafür!
Am Ende möchte ich nun den Versuch eines Brückenschlags (verbunden mit einem kleinen Versöhnungsangebot – nicht nur dadurch, dass die Resonanz auf den Kongress in der Presse deutlich gesteigert werden konnte) wagen, von der Lebenskunst über den DGPs-Kongress und Frankfurt zu Dietrich Dörner. Wie mag dieser Brückenschlag gelingen?
Das Motto des diesjährigen Kongresses lautet „Psychologie gestaltet“. Frankfurt hat damit dem Kongress ein Motto gegeben, das nicht nur zur Psychologie, sondern auch sehr gut hierher nach Frankfurt passt. Den bereits viel zitierten Gestaltpsychologen um Wertheimer war es ein Anliegen, „die gute Gestalt“ zu finden – und dieses Anliegen im weiteren Sinne bezüglich einer guten, ganzen, gestalthaften, einheitlichen Theorie kann man auch bei Dietrich Dörner finden. Selbst die Betrachtung und Analyse der Historie stellt eine Parallele dar: Der Campus mit zahlreichen Reflexionen seiner Vergangenheit auf der einen Seite und Dietrich Dörner mit der Analyse historischer Personen und Situationen auf der anderen Seite. Neben diesen beiden Bezügen passt das Motto des Kongresses noch aus einem weiteren Grund sehr gut nach Frankfurt (und zu Dietrich Dörner). Beispielsweise schreibt der Frankfurter Designer Dieter Rams in seinem Tokyo Manifest (Mai 2009): „Design [dementsprechend Gestaltung] fängt [daher] mit Nachdenken an.“ Mit Wilhelm Schmid (und seiner Lebenskunst) frage ich nun und gebe die Antwort: „Warum [überhaupt] gestalten? Aufgrund der Kürze des Lebens. Das also ist das finale Argument.“
… am Ende einer Würdigung und Verbeugung anlässlich des anstehenden 80. Geburtstags eines außergewöhnlichen und streitbaren Psychologen, eines Nachdenkers, Vorreiters und Gestalters unseres Faches: Dietrich Dörner.
PS: Frühere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben anstelle einer Festschrift ein kleines „Fotobuch“ zusammengestellt, das hier anzuschauen ist: Fotobuch zum 80. Geburtstag von DD