Lohhausen: Der Klassiker unter den komplexen Problemen

Lohhausen an der Lohe

Das Computerprogramm „Lohhausen“ ist in der Geschichte der modernen Problemlöseforschung einer der Meilensteine, an denen kein Student und kein Forscher vorbeikommt. Die Simulation einer kleinen Kommune namens Lohhausen (siehe Stadtplan – BTW: liebe MairDumont GmbH & Co KG: Sie brauchen dafür nicht wieder Ihren Rechtsanwalt abmahnend auf mich zu hetzen wg illegaler Nutzung eines Stadtplanausschnitts…) war damals in den 70er Jahren, als es noch keine Personalcomputer gab, ein waghalsiges Unterfangen.  Aber nicht die technische Seite war sensationell, sondern die Aufgabenstellung:  Das Schicksal der kleinen Kommune wurde für 10 simulierte Jahre in die Hände von insgesamt 48 Versuchspersonen gelegt. Ein komplexes Problem, das sich den Bürgermeistern auf Zeit stellte! Und das Ergebnis: ziemlich katastrophal! Das hat die Arbeitsgruppe um Dietrich Dörner (damals Uni Giessen, heute Emeritus an der Uni Bamberg) berühmt gemacht (zusammenfassend: Dörner, Kreuzig, Reither & Stäudel, 1983). Damit ist Lohhausen ein Stück Psychologie-Geschichte.

Als junger Doktorand (damals an der Uni Trier) habe ich das Buch verschlungen und 1984 Dietrich Dörner angeschrieben und um Übersendung des Quellprogramms gebeten. Ich bekam von ihm nicht nur das in ALGOL-SIMULA (=Compiler für eine CDC 3300 Rechenanlage, wie sie damals am HRZ Giessen stand) verfasste Programm mit Schreiben vom 29.2.1984 in Papierform, sondern auch die Unterlagen zur Bedienung und Dateneingabe in dieses Programm (die sog. Versuchsleitermappe). Damals konnte ich nicht viel damit anfangen, da unser damaliger Trierer Großrechner TR 440 andere Compiler besaß und den Quellcode nicht in ein lauffähiges Programm übersetzen konnte..

Vor wenigen Monaten fielen mir beim Aufräumen sowohl das Programmlisting als auch die Handanweisung in die Hände – beide in einem Zustand der Alterung, der keine lange Überlebensdauer mehr versprach. Daher beschloss ich, diese historischen Dokumente in digitaler Form zu sichern. Dies ist nun geschehen. Wenn sich jemand also für eine Re-Implementation interessiert – so sieht ein Ausschnitt vom Quellcode aus, der insgesamt 700 Zeilen umfasst und von Jessica Horn sehr sorgfältig abgetippt wurde:

„PROCEDURE“UMSETZ(VON,ZU,N).,“INTEGER“VON,ZU,N.,
„BEGIN““INTEGER“I,J,K,H.,“REAL“KAP.,
K.=HD(/VON,2/)+HD(/VON,3/).,“IF“N“GREATER“K“THEN“H.=K.,
„IF“K“GREATER“0″THEN“
KAP.=HD(/VON,14/)/K.,
„FOR“I.=1″STEP“1″UNTIL“H“DO““BEGIN“L..J.=RANDINT(1,5,U).,
„IF“ALTER(/VON,J/)“GREATER“0″THEN““BEGIN“ALTER(/VON,J).=ALTER(/VON,J/)
-1.,
ALTER(/ZU,J/).=ALTER(/ZU,J/)+1.,
HD(/VON,2/).=HD(/VON,2/)-1.,HD(/ZU,3/).=HD(/ZU,3/)+1.,
L2..K.=RANDINT(1,6,U).,“IF“WO(/K,VON/)“GREATER“0″THEN“
„BEGIN“WO(/K,VON/).=WO(/K,VON/)-1.,WO(/K,ZU/).=WO(/K,ZU/)+1″END“
„ELSE““GOTO“L2.,
HD(/VON,14/).=HD(/VON,14/)-KAP.,HD(/ZU,14/).=HD(/ZU,14/)+KAP“END“
„ELSE““GOTO“L.,“END““END“UMSETZ.,

Sowohl das Quellprogramm als auch das (umfangreiche) Versuchsleitermanual steht als PDF zur Verfügung, wenn jemand eine Re-Implementation versuchen möchte! Vielleicht gibt es ja irgendwann einmal ein Lohhausen-Revival 🙂 Anfragen bitte an mich richten!

Die von Dörner später entwickelte Psi-Theorie (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Psi-Theorie von Julius Kuhl) beschreibt kognitive Prozesse als Interaktion von Kognition, Emotion und Motivation und geht damit über bekannte kognitive Architekturen wie ACT-R oder SOAR weit hinaus, die z.B. Emotionen völlig ignorieren. Eine Implementation der Dörner-Theorie mit dem Label „Micro-PSI“ hat Joscha Bach (CILS, HU Berlin) vorgelegt, mit dem wir gerade dieser Tage über eine Kooperation gesprochen haben. Wir möchten verschiedene der von uns verwendeten Szenarien (MicroDYN, MicroFIN, Plan-A-Day, RushHour, Turm von Hanoi, Tailorshop) mit seiner Architektur modellieren (hier ein Video dazu) und die gleichen Steuerungsprinzipien verwenden.

Nachtrag 1.6.2011: Mit Zustimmung von Dietrich Dörner hat sich Thomas Makait an die Arbeit gemacht, Lohhausen in eine moderne Programmiersprache umzusetzen und mit einer internetfähigen Schnittstelle auszurüsten. Dieser Prozess wird von ihm beschrieben unter http://www.lohhausen.org/ – bin sehr gespannt, was da entsteht! Nachtrag 12/2013: Das Projekt scheint zu stagnieren (oder sogar abgebrochen)…

Nachtrag 16.1.2014: Mit Unterstützung durch Dietrich Dörner hat sich eine studentische Projektgruppe an der Universität Osnabrück unter Leitung von Frank Jäkel an die Programmierung von „Lohhausen 2.0“ gemacht. Bei einem Besuch vor Ort konnte ich mir ein Bild von den bislang geleisteten Arbeiten machen und habe mit Freuede gesehen, dass der alte Simula-Quellcode weitgehend zum Laufen gebracht werden konnte. Eine Schnittstelle zum Internet ist in Planung.

Siehe auch: https://joachimfunke.de/2011/06/20/tailorshop-ein-wiederentdecktes-komplexes-problem/

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