Heidelberger Poetikdozent 2018: Maxim Biller

Gestern abend war die erste von drei Vorlesungen unserer diesjährigen Poetikdozenten Maxim Biller. Zum 25. Mal, so Kulturamtsleiterin Andrea Edel bei der Eröffnungsveranstaltung in der Alten Aula der Universität, kommt ein Poet in dieser Funktion in unsere Stadt und berichtet Bürgern wie Studenten aus dem Innenleben der Poesie. Zitat: „1993 als Kooperation zwischen der Universität und der Stadt Heidelberg begründet wird die Poetikdozentur vom Kulturamt der Stadt unterstützt und von dem Heidelberger Ehepaar Dr. Karin und Dr. Peter Koepff gefördert. Sie ist Teil des UNESCO-Programms »City of Literature«, dem Heidelberg seit 2014 angehört.“ (Quelle).

Ich habe viele dieser Vorlesungen im Rahmen der Poetikdozenturen besucht und darüber berichtet (siehe hier), nicht nur weil ich selbst gerne gute Literatur lese und mit einer Schriftstellerin (Marlene Bach) verheiratet bin, sondern weil mich natürlich als Kreativitäts- und Problemlöseforscher die Erzeugung schöner Dinge auch fachlich interessiert. Schreiben als (komplexer) Problemlöseprozess: das ist eine Perspektive, die mich fasziniert und zu der es bislang wenig Forschung gibt.

Der diesjährige, 1960 in Prag geborene Poet Maxim Biller ist nun nicht der Prototyp des abgehobenen Dichters, sondern sowohl als preisgekrönter Literat wie auch als scharfzüngiger Literaturkritiker bekannt. Sein Motto wird beschrieben als „scharf denken, präzise fühlen, cosmopolitisch leben“. Der Provokateur wirkt als Literaturkritiker bei „Spiegel“, „Zeit“ oder „FAZ“ mit. Auch im „Literarischen Quartett„, einer Literatursendung im ZDF, war er 2015/2016 dabei. Mit seinem als Vorwurf an die jüngere Autorengeneration gerichteten Diktum der „Schlappschwanz-Literatur“, die vom Literaturbetrieb gepampert werde, hat er zwar viel Aufmerksamkeit erhalten, aber auch einige Freunde verloren. Über das Verb „billern“ heisst es in einer Zeit-Kolumne vom 17.3.2017: „Einen billern, das würde bedeuten: einen Menschen charmant begrüßen und ihn auf kluge Weise zum Lachen bringen. Billern, das hieße aber auch: einen Menschen aus dem Nichts heraus angreifen und ihn verletzen. Billern wäre eine Drohung: Ich biller dir gleich eine. Oder ein Wunsch: Ach, lass uns doch mal wieder richtig schön billern gehen.“

Gestern abend hat es in der Alten Aula „gebillert“: Viel Selbstbezügliches, viel über sein (bedauerliches?) Schicksal als jüdischer Schriftsteller in Deutschland, viel über frühere Reden, die er anläßlich von an ihn verliehenen Preisen gehalten hat und deren Inhalte er kritisch reflektiert; wenig (nichts!) über Poesie, wenig (nichts!) über literarisches Schaffen; Klage darüber, dass er nicht und warum er nicht der deutsche Philip Roth ist. Öffentlich vorgelesene Psychoanalyse? Da habe ich von anderen Poetikdozenten an gleicher Stelle Erbaulicheres gehört. Sein Schlusssatz an diesem langen Abend macht deutlich, worum es ihm geht: „Erst wenn mein jüdischer Widerspruchsgeist ein Lächeln in die Gesichter und Herzen meiner deutschen Leser bringt und nicht Wut und Panik, werde ich so gut sein, wie ich es schon immer sein wollte“ – schade, dass nicht viele Zuhörer gelächelt haben…

Man hätte vorgewarnt sein können: Über die Billersche Lichtenberg-Poetikvorlesung an der Universität Göttingen Anfang 2018 schreibt Dorothee Emsel im Litlog-Blog durchaus kritisch („Gerne hätten wir die Rubrik »Prominent ignoriert« der ZEIT eigens für die kürzlich stattgefundene Lichtenberg-Poetikvorlesung kreiert.“ – uff! Das ist ein Statement!). Meine Eindrücke decken sich leider mit dem Göttinger Bericht.

hier der Kommentar von Heribert Voigt in der RNZ vom 20.6.2018: https://www.rnz.de/kultur-tipps/kultur-regional_artikel,-21-heidelberger-poetikdozentur-bad-boy-verteilte-rhetorische-hiebe-_arid,366856.html

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