Von Haltbarkeit und Nachhaltigkeit

Die immer wieder spannende Vorlesungsreihe des Studium Generale an unserer Universität steht dieses Semester unter dem Rahmenthema „Manipulation – Wie frei sind wir wirklich?“. Im Kontext dieser interessanten Frage hielt am Montag 2.5.16 unser Kunsthistoriker Henry Keazor einen aufklärenden Vortrag über Wahrheit und Fälschung in der Kunst (siehe auch hier). Am Montag 9.5.16 lautete das Thema „Manipulation – wie frei kaufen wir wirklich?“ und beschäftigte sich mit Manipulation in der Warenwelt. Da ich am 9.5. den Vortragenden vorstellen durfte und die anschliessende Diskussion geleitet habe, bin ich tiefer in dieses Thema eingestiegen.

Der gelernte Diplom-Betriebswirt und medial bekannte Verbraucherschützer Stefan Schridde kam aus Berlin und berichtete über seinen Kampf gegen geplante Obsoleszenz. Hinter diesem komplizierten Begriff verbirgt sich ein geplanter Verfall von Produkten, z.B. von Toner-Kartuschen, die nach 1500 bedruckten Seiten aufhören, obwohl sie noch mehr drucken könnten, aber von einem eingebauten Zähler daran gehindert werden. Sein 2013 gegründeter gemeinnütziger Verein „Murks? Nein danke!“ kämpft gegen die bewusst vom Hersteller in Kauf genommene verkürzte Lebendauer von Produkten, die durch einfache (und zumeist billige) Änderungen haltbarer gemacht werden könnten.

Stefan Schridde hat nicht nur den Produkt-Murks im Visier, sondern setzt sich auch für eine nachhaltigere, ressourcensparendere Lebensform ein. Braucht wirklich jeder Mann einen Bohrer oder reicht nicht z.B. in einer Wohnanlage ein ausleihbarer Bohrer für die ganze Gemeinschaft? Sein Kredo: Zurück von einer Wachstumsideologie zum Modell eines Kreislaufs von Werden und Vergehen, in dem alte Produkte repariert werden oder zumindest vor dem Wegwerfen auf wiederverwertbare Bestandteile hin ausgewertet werden. Dass wir in unserer Wegwerf-Kultur den Abfall in Nachbars Garten werfen (=afrikanische Müllhalden voll mit Elektronik-Schrott), findet er zu recht schockierend. Im Nachgespräch hat mich Stefan Schridde auf das japanische Konzept des Wabi-Sabi hingewiesen, das eine Wertschätzung des gealterten Objekts darstellt und z.B. seinen Niederschlag in der Reparatur von Keramik-Vasen findet, deren Reparaturstellen vergoldet werden (kintsugi, was in etwa bedeutet „erhöhte Wertschätzung durch Reparatur“). Eine Ästhetik des Flickwerks!

Am Donnerstag dieser Woche fand passend dazu die semesterweise stattfindende Marsilius-Vorlesung statt, über die ich hier schon wiederholt geschrieben habe (Links), und zwar zu einem verwandten Thema: Joachim von Braun, Direktor des Zentrums für Entwicklungsforschung an der Universität Bonn und Mitglied des Bioökonomierats der Bundesregierung, hielt seinen Festvortrag zum Thema „Bioökonomie: Nachhaltig leben und wirtschaften„.

Was bitte ist Bioökonomie? Von Braun sagt: „Bioökonomie bedeutet Biologisierung der Volkswirtschaft“ und verfolgt damit das Ziel, Mensch und Natur in Einklang zu bringen; es geht um Erzeugung und Nutzung biologischer Prozesse und Produkte. Beispiele für Produkte sind Autos, die aus biobasierten Kunststoffen bestehen (und wo 30% der Fahrzeugteile kompostierbar sind), oder Häuser, die aus superstabilen Holzsandwichplatten hergestellt sind (in den USA werden daraus inzwischen 12 Stockwerke umfassende Hochhäuser gebaut, in der BRD ist das bislang wohl nur für 3 Stockwerke erlaubt); ein Beispiel für einen Prozess bildet das Kaskadenmodell der Nutzung von Bioprodukten, bei dem verschiedene Stadien eines Biostoffs zu unterschiedlichen Nutzungen führen (und z.B. Raps nicht nur für die Herstellung von Biosprit angepflanzt wird, sondern eine mehrfache Wertschöpfung angestrebt wird).

Ein interessanter Vortrag, der uns allen einen Spiegel vorgehalten hat, wie ungerecht knappe Ressourcen auf der Welt verteilt werden und dass man Nachhaltigkeit je nach der Leistungskraft unterschiedlich streng einfordern muss. Für uns in der „wohlhabenden“ Welt ist die Forderung besonders hoch!

Joachim von Braun schlug in seiner Vorlesung zum Schluss einen Bogen von Marsilius von Inghen, dem Gründer einer sehr nachhaltigen Organisation (nämlich der Uni Heidelberg im Jahr 1386, dessen erster Rektor Marsilius war), zu Carl von Carlowitz, der im 18. Jahrhundert den Begriff und das Konzept der Nachhaltigkeit im Kontext der Forstwirtschaft eingeführt hat (siehe auch die Sustainable Development Goals der UN). Der Satz aus Carlowitz‘ Buch „Man soll keine alte Kleider wegwerffen / bis man neue hat / also soll man den Vorrath an ausgewachsenen Holtz nicht eher abtreiben / bis man siehet / daß dagegen gnugsamer Wiederwachs vorhanden“ beschreibt das Grundprinzip nachhaltigen Wirtschaftens, über das wir immer wieder nachdenken sollten. Damit verbunden ist eine Philosophie der Genügsamkeit, die in Zeiten der Gier ein wichtiges Korrekturprinzip darstellt.

In seinem Buch „Der Mann ohne Geld“ (2012) hat der britische Wirtschaftswissenschaftler Mark Boyle seine Erlebnisse aufgeschrieben, wie er ein Jahr lang ohne Geld gelebt hat. Seine wichtigste Erkenntnis: „Wenn wir unser eigenes Essen anbauen würden, würden wir nicht ein Drittel wegschmeißen, wie es heute der Fall ist. Wenn wir unsere eigenen Tische bauen müssten, würden wir sie nicht einfach auf den Sperrmüll schmeißen, sobald sich die Mode ändert. Wenn wir unser Trinkwasser selbst reinigen müssten, würden wir es nicht verschwenden.“ Was ein Glück, wenn wir Geld haben und uns das Wegschmeissen leisten können – oder?

PS: Wollen Sie sich beteiligen und Murks melden? Hier kann man das: http://www.murks-nein-danke.de/murksmelden/

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