Das Aus für „Sesam“

Eine der größten und ambitioniertesten Längsschnittstudien ist bereits im Ansatz gescheitert: die Schweizer Sesam-Studie [hier ein Link zu Sesam-Kritikern], bei der 3000 Schweizer Kinder (und deren Angehörige) vom ersten Ultraschallbild an für 20 Jahre sorgfältig untersucht werden sollten, steht vor dem Aus, weil sich keine Versuchspersonen fanden. Das mit über 20 Mio SFr geplante Projekt von nationaler Bedeutung unter der Leitung von Jürgen Margraf (Klinische Psychologie, Uni Basel) ist nicht wegen seiner mangelnden fachlichen Qualität, sondern wegen eines Vermittlungsproblems geplatzt (der stv. Projektleiter Alexander Grob spricht von „Nebenschauplätzen“, die die Energie gefressen hätten): Die aufgeworfenen ethischen Fragen (z.B. Selbstbestimmung der Kinder, Nutzen für die Versuchspersonen) hinterließen wohl zu viele offene Probleme.

Nun werden Fragen gestellt nach der Verantwortung für das Scheitern – von den Geldern, die der SNF (Schweizer Nationalfonds, eine der Deutschen Forschungsgemeinschaft parallele Einrichtung) bereits investiert hat, hätten viele andere Projekte gefördert werden können. Muss Forschung aber nicht auch Risiko bedeuten dürfen? Eine schwierige Frage! War der Widerstand gegen eine allumfassende Datenerhebung nicht zu erwarten gewesen? Haben die verantwortlichen Forscher Bodenhaftung verloren, weil sie den Traum einer vollständigen Kontrolle (zumindest im Sinne der kontrollierenden Daten) über den Entwicklungsverlauf Wirklichkeit werden lassen wollten? Darüber werden sicher noch zahlreiche Debatten geführt werden. Für die beteiligten Sozialwissenschaftler ein bedauerliches Ereignis – für nachfolgende Projekte eine Mahnung, die „Nebenschauplätze“ ernst zu nehmen! Nicht nur Haupteffekte, sondern auch Nebenwirkungen zählen… Hier die Fragen, die die Nationalrätin Maya Graf in ihrer Interpellation vom 20.3.08 aufwirft:

„Wie stellt sich der Bundesrat dazu, dass 10.2 Millionen [SFr] öffentliche Forschungsgelder in ein Projekt flossen, das gescheitert ist, bevor er begann? Wie sieht die genaue Abrechung aus? Welche Forschungsresultate sind konkret von der Kernstudie zu erwarten?

Wer trägt beim Bund die Verantwortung für die Bewilligung dieses Forschungsschwerpunktes und wie stellen sich die verantwortlichen Stellen zum Abbruch des Projektes?

Wer hat die Rahmenbedingungen festgelegt, unter welchen SESAM starten konnte? Wurden die gesetzlichen und verfassungsmässigen Grundlagen abgeklärt?

Warum wurde von den Verantwortlichen keine Pilotstudie verlangt, eine Mindestanforderung für ein Forschungsprojekt dieser Grösse? Warum wurde nicht durch Pre-studies die praktische Durchführbarkeit des Projektes getestet? Diese hätten gezeigt, dass die Rekrutierung der Mütter in der Praxis schwierig werden könnte?

Welche Teilprojekte werden weitergeführt und wie werden diese weiterfinanziert? Wieviele Forschungsgelder flossen bereits in diese Teilprojekte?

Welche Lehren ziehen Bundesrat und verantwortliche Stellen aus diesem Fiasko eines hochgejubelten Nationalen Forschungsschwerpunktes?“

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