Das Verhältnis von Politik und Wissenschaft ist schon immer ein Thema gewesen, nicht erst seitdem Donald Trump gegen die amerikanischen Hochschulen in den Krieg zieht. Schon Platon vertrat in seiner Schrift Politeia die Forderung nach einer Philosophenherrschaft. Der von mir sehr geschätzte Sir Karl Popper war in seinem Werk „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ allerdings der Meinung, die Vorstellung einer Herrschaft der Besten oder Weisesten sei eine Illusion. In der Realität müsse man sich darauf einstellen, dass Herrscher oft unfähig oder schlicht mittelmäßig seien – moralisch wie intellektuell meist unter dem Durchschnitt. Entscheidend ist daher nicht die Hoffnung auf herausragende Persönlichkeiten, sondern der Aufbau von Institutionen, die verhindern, dass schlechte Herrscher ungebremst Schaden anrichten. – Sehr zeitgemäß, wie ich finde!
Auch in heutiger Zeit gibt es immer wieder Fälle, in denen Wissenschaftler:innen in die Politik wechseln: So habe ich etwa als junger Assistent an der Uni Bonn 1988 den Wechsel der damaligen Professorin Ursula Lehr in das Amt der Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit erlebt (sie hat sich nach Streit mit ihrer Partei, der CDU, bereits im Januar 1991 aus der Bundesregierung zurückgezogen, nicht ohne 1993 die Einrichtung des Altenberichts und 1999 ein erstes Psychotherapeuten-Gesetz zu hinterlassen).
Heute will ich allerdings den Fall von Uwe Schneidewind beleuchten, der 2020 von der wissenschaftlichen Direktion des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie, dessen Leitung er als Präsident im März 2010 übernommen hatte, als Parteiloser – gestützt von den Grünen und der CDU in das politische Amt des Wuppertaler Oberbürgermeisters (heute ist er Mitglied der Grünen) wechselte, jetzt aber – nach immerhin 5 Jahren – bei den Kommunalwahlen im September 2025 sich nicht der Wiederwahl stellte (hier die offizielle Erklärung vom 19.12.24 zum Verzicht auf die erneute Kandidatur).
Warum mich der Fall Uwe Scheidewind interessiert? Er war im Rahmen des Masterplans Neuenheimer Feld (auf Einladung der Co-Vorsitzenden Lenelis Kruse-Graumann) im April 2018 als Referent eines Impulsvortrags mit dem Titel „Horizonte 2050+“ in die brechend volle Uni-Sporthalle INF 700 nach Heidelberg eingeladen und berichtete über sein gerade erschienenes Buch „Die große Transformation. Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels“. Darin geht es u.a. um die „Zukunftskunst“. Damit ist die Fähigkeit gemeint, kulturellen Wandel, kluge Politik, neues Wirtschaften und innovative Technologien miteinander zu verbinden. Ich schrieb damals in meinem Blog über den „anregenden wie provozierenen Impulsvortrag“:
„Unter dem Titel „Horizont 2050+: Nachhaltigkeit, Campus, Städtebau, Mobilität“ hat er das Fenster in die Zukunft weit geöffnet und der Stadt Heidelberg nicht nur zu diesem sehr besonderen Beteiligungsverfahren gratuliert, sondern auch die einmaligen Chancen betont, am Beispiel des Neuenheimer Feldes zukunftsweisende Modelle des Zusammenlebens von Stadt und Universität vorzuführen und zu erproben. Eines seiner Kriterien war die „Enkeltauglichkeit“: Was werden unsere Enkelkinder wohl dazu sagen, dass wir momentan alles auf motorisierten Individualverkehr ausrichten (um die 1.5 Tonnen schwere Kisten, die meist 1 Stunde am Tag meist 1 Person von A nach B bewegen und ansonsten auf einem Parkplatz stehen; wieviel Geldvermögen dort auf der Strasse steht, wagt man gar nicht zu berechnen).
Die Angst, am heute Bestehenden etwas aufgeben zu müssen, ohne genau zu wissen, was danach kommt, ist eine Innovationsbremse – unsere Rationalität, so Schneidewind, findet viele gute Argumente für den Status Quo.“
Mich hat er damit überzeugt, viele blieben skeptisch, und das Masterplan-Verfahren hat sich wohl im Sand verlaufen … Ein Impuls, der ins Leere führte? Immerhin gab es einen Beschluss über den Bau einer Straßenbahn ins Neuenheimer Feld, dessen Umsetzung allerdings bis heute auf sich warten lässt.
Zurück zu Uwe Schneidewind: Im Sommer 2022 zerbrach in Wuppertal die Unterstützung der CDU (siehe hier). In seiner Presseerklärung zum Bruch des Bündnisses von Grün/Schwarz betont er zwar, im „fairen Miteinander zu guten Lösungen kommen [zu wollen]“ – aber verlorenes Vertrauen lässt sich nicht so schnell wiedergewinnen.
Die Westfälische Rundschau titelt am 17.7.25: „Radverkehr in Wuppertal – Wuppertals Oberbürgermeister bilanziert: „Das war kein Ruhmesblatt“ – Uwe Schneidewind wollte in seinen fünf Jahren als Oberbürgermeister in Wuppertal eine Verkehrswende herbeiführen. Doch zufrieden ist er nicht, denn viel hat sich nicht getan.“ Anscheinend keine so positive Bilanz …
Es klingt in den Medien so, als habe Schneidewind das Gefühl gehabt, häufig gegen strukturelle Widerstände zu arbeiten, gegen politische Verzögerungen und gegen eine Stadtgesellschaft, die nicht immer bereit war, tiefgreifende Veränderungen mitzugehen. Auch möglich, dass der Spagat zwischen fachlich-nachhaltiger Innovationspolitik einerseits und politischer Machbarkeit andererseits enorme Kosten in Form von politischem Verschleiß, persönlicher Belastung und möglicherweise geringerem Rückhalt erzeugt hat.
Ich habe gerade das neue (spannende) Buch „Letzte Chance. Der neue Kanzler und der Kampf um die Demokratie“ von Robin Alexander gelesen und mich gefragt, warum Menschen sich das politische Geschäft überhaupt antun: Intrigen, durchgestochene Informationen, viel Dummheit, Machtspiele, Unehrlichkeit allerorten… Da bleibe ich persönlich doch lieber bei meiner Arbeit als Forschender. Hut ab vor allen, die in die Politik gehen, um dort etwas durchzusetzen!
Der Stifterverband hat 2021 zu Zeiten der Corona-Krise eine Broschüre mit dem Titel „Wie Wissenschaft und Politik ko-kreativ zusammenarbeiten. Wissenschaftsbasierte Politikberatung und die Lektionen aus der COVID-19-Pandemie“ veröffentlicht. Dort heißt es im abschließenden Fazit: „Für eine nicht nur reaktionsschnelle, sondern auch breiter zugängliche, agile und interdisziplinäre Politikberatung in solchen Krisen braucht es mehr dauerhaft bestehende Räume des Austausches und der ko-kreativen Verständigung zwischen Wissenschaft und Politik, in analogen aber auch zunehmend in digitalen Formaten.“ Schöne Phrase – die Wirklichkeit sieht bedauerlicherweise anders aus.
Warum gehen Wissenschaftler:innen in die Politik und kehren dann zurück? Vielleicht weil zu viele Kompromisse gemacht werden müssen? Weil sich das Bemühen um Wahrheit nur schlecht mit Machtinteressen verträgt? Meine Meinung (über die Motivlagen etwas zu sagen, ist rein spekulativ – ich finde keine empirischen Belege): Wissenschaftler:innen gehen in die Politik aus Gestaltungsdrang und moralischem Anspruch. Sie kehren zurück aus Frust über Machtspiele, Überforderung im Dauerbetrieb und Ernüchterung über die geringe Reichweite des eigenen Einflusses. Oder anders gesagt: Wissenschaft sucht Erkenntnis, Politik sucht Mehrheiten. Zwei verschiedene Logiken!
01.10.25 Der ehemalige Mannheimer OB Peter Kurz hat ein lesenswertes Buch zum Thema „Politik“ geschrieben: Kurz, P. (2024). Gute Politik: Was wir dafür brauchen. S. Fischer. – Danke, Lenelis, für diesen Lektüretipp!
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