Es ist über eine Neuerscheinung zu berichten: Mein Nachfolger im Amt der Professur Allgemeine Psychologie, Jan Rummel, hat mit seinem Bremer Kollegen Markus Janczyk ein neues Lehrbuch verfasst:
Rummel, J., & Janczyk, M. (2024). Angewandte Kognitionspsychologie. Ein Lehrbuch. Kohlhammer.
Was Studierende ständig nachfragen: “Wo bleibt die Anwendung?“, wird hier versucht zu beantworten. In fünf Kapiteln auf 161 Seiten (1: Einleitung; 2: Lernen und Gedächtnis; 3: Aufmerksamkeit und Handeln; 4: Schlussfolgern, Urteilen und Entscheiden; 5: Abschließende Überlegungen) wird ein Streifzug durch die Allgemeine Psychologie unternommen.
Die Einleitung klärt zunächst den Begriff der „Angewandten Kognitionspsychologie“ als Beitrag der jeweiligen Grundlagenforschung „zur Lösung von realen Problemen und zur Beantwortung gesellschaftlicher Fragen verschiedenster Art“ (S. 13). Natürlich kann der Weg auch umgekehrt gegangen werden, wie die folgende Anekdote beschreibt.
Donald Broadbent, ein 1993 verstorbener britischer Experimentalpsychologe und „Erfinder“ des Filtermodells der Aufmerksamkeit („selektive Aufmerksamkeit“), mit dem Axel Buchner und ich in den 1980er Jahren an der Uni Bonn ein gemeinsames EU-Projekt („KAUDYTE„, ein Acronym für „Knowledge acquisition in dynamic task environments“) durchführten, erzählte gerne von den Anfängen seiner Theorie, die in den Cockpits der britischen Royal Airforce (RAF) lagen und der damals schlechten Akustik der Piloten-Kopfhörer – sehr konkrete Probleme aus der Anwendung, die zu seiner Grundlagenforschung führten, der umgekehrte Weg also als bei Rummel und Janczyk.
Leitidee des vorliegenden Buchs ist, „dass gute angewandte Forschung nicht ohne solide und gesicherte Kenntnisse aus der Grundlagenforschung auskommen kann“ (S. 14). Von daher ist der Aufbau der inhaltlichen Kapitel nur konsequent: Es werden jeweils zunächst die relevanten Grundlagen geschildert, bevor dann Beispiele anwendungorientierter Forschung zur Sprache kommen. Im Teil über Lernen und Gedächtnis sind es Lehr-Lern-Kontexte, autobiografisches Gedächtnis, prospektives Gedächtnis, Augenzeugen-Gedächtnis sowie Gedächtnisstörungen und Gedächtnistraining; im Teil über Aufmerksamkeit und Handeln stehen die Themen Kompatibilitätseffekte (=passende Anordnungen von Reizen und Reaktionen, z.B. das Herd-Bedienfeld: Passt die Anordnung der Drehknöpfe zu den Herdplatten?), Radiologie (visuelle Suche) und Gepäckkontrollen (z.B. Suche nach versteckten Waffen) sowie Multitasking im Zentrum; im Teil über Schlussfolgern, Urteilen und Entscheiden geht es um Fehlinformationen, Irrglauben (Verschwörungserzählungen) sowie um juristische und medizinische Entscheidungen.
Die „abschließenden Überlegungen“ machen noch einmal deutlich, wie wichtig die angewandte Kognitionspsychologie im alltäglichen Leben ist, auch für Themen wie Klimawandel (Interventionsmöglichkeit des „nudging„, also dem Anstoß zu „vernünftigem“ Handeln) oder Automatisierung/Digitalisierung (Mensch-Fahrzeug-Interaktion, z.B. Bord-Elektronik im Auto). Die Liste möglicher Anwendungen ist riesig.
Fazit: Eine Lücke in der Lehrbuch-Landschaft, die endlich gut gefüllt wurde! Gut lesbar geschrieben, mit ausführlicher Literatur und einem differenzierten Stichwortverzeichnis.
Was ich mir für die nächste Auflage wünschen würde? Natürlich wünsche ich mir mehr zum Thema „(komplexes) Problemlösen“ 🙂 Aber auch „Lernen im Schlaf“ fände ich interessant!
Ich wünsche dem Buch viel Erfolg, der sich auch in angemessenen Verkaufszahlen niederschlagen möge!
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