Beim Umzug von meinem alten (großen) Büro A028 ins neue (kleinere) Büro A010 habe ich viele Akten weggeworfen (ich weiß, ich werde es bereuen). Ein voller Ordner hat überlebt: Er trägt den Titel „Abgelehnte Anträge“ und enthält eine Reihe von Forschunganträgen, von denen ich zum Zeitpunkt der Antragstellung sehr überzeugt war, aber die Gutachter sich meine Meinung nicht zu eigen machen konnten.
Warum einige Anträge durchgegangen sind und andere wiederum abgelehnt wurden, obwohl ich sie für ähnlich qualifiziert, wenn nicht sogar für besser gehalten habe, steht in den Sternen. Die Frage ist natürlich auch: sieht man das Scheitern als Niederlage oder als Chance?
Ich habe den Ordner aufgehoben, weil in jedem abgelehnten Antrag viel Zeit und Energie steckt, die ich seinerzeit beim Schreiben hinein gesteckt habe. Ich habe den Ordner mit den abgelehnten Anträgen auch deswegen aufgehoben, weil möglicherweise ein günstigeres Zeitfenster für diese Anträge kommen wird. Es ist ja nicht zu leugnen, dass der Zeitgeist eine wichtige Rolle spielt, welche Themen angesagt sind und welche eher nicht bedient werden. Häufig ist auch eine veränderte Gutachter-Lage verantwortlich für eine Neubewertung der alten Ideen.
in akademischen Kreisen hat sich längst eine Kultur etabliert, die unter dem Stichwort CV of Failure nicht die Triumphe aufführt, die man irgendwo erzielt hat, sondern die die Niederlagen dokumentiert, die ein einen resilient werden ließen (vom geschätzten Autor Heinrich Steinfest 2019 gibt es eine nette „Gebrauchsanleitung fürs Scheitern„). Natürlich kann man sich das wohl nur leisten, wenn man es erst einmal zu einer festen Stelle gebracht hat – auf dem Weg dahin ist es vermutlich nicht karriereförderlich, mit Misserfolgen punkten zu wollen. Ich vermute: da zählen Publikationserfolge und kompetitive Drittmitteleinwerbungen mehr…
Gibt es auch einen Ordner „abgelehnte Manuskripte“? Tatsächlich sind mehr Manuskripte abgelehnt worden als Forschunganträge gestellt wurden. Dennoch: bei Manuskripten ist das hartnäckige Nachsetzen und Eingehen auf die Review-Kommentare (in Form von „Revisionen“) der Normalfall. Ein interessantes Manuskript wird meist so lange „warm“ gehalten, bis es publiziert werden kann. Daher gibt es nur wenig unveröffentlichte Artikel. Dafür gibt es umso mehr Manuskripte, die im Entwurfsstadium abgebrochen wurden und als „Torso“ auf meiner Festplatte dahinvegetieren. Die anfängliche Euphorie, die das Schreiben eines Artikels motiviert, war dann manchmal doch schneller als gedacht beendet…
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