Über-Bürokratisierung der Universität?

Universitäten sind Orte der Forschung und Lehre – und ja: es sind auch Orte der Verwaltung! Und weil wir in Deutschland sind, haben wir eine besonders gute Verwaltung! Verwaltungen an Universitäten haben es schwer: als Wissenschaftler möchte ich möglichst wenig Verwaltung, möchte ich eine mich unterstützende und mir helfende Verwaltung. Wunsch und Wirklichkeit klaffen leider auseinander – die Bürokratisierung des Wissenschaftsalltags nimmt anscheinend unaufhaltsam zu (siehe auch den Bericht über eine repräsentative Umfrage zum Thema „Bürokratisierung“ in „Forschung und Lehre“). Und daher muss ich heute einmal eine Lanze für Bürokratie-Abbau brechen!

Anlass ist ein Bericht meines neuen Projektmitarbeiters, der kürzlich eine eintägige Veranstaltung unserer Verwaltung besucht hat und ziemlich konsterniert davon zurückkam. Was hatten er und viele andere „Neulinge“ im Wissenschaftsbetrieb mitmachen müssen (im Einladungsschreiben hiess es höflich aber deutlich: „Bitte beachten Sie: Die Teilnahme an der Schulung ist für Sie verpflichtend [Hervorhebung von mir, JF] und kann nur in begründeten Ausnahmefällen verschoben werden!“)? Die anschliessend ausgehändigte Teilnahmebestätigung des „Einführungstags für neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ gibt Auskunft über die verhandelten Inhalte:

Die angeführten sieben Inhaltsbereiche des ganztägigen Einführungskurses (7.5 x 60 Minuten) waren laut Bescheinigung: „Mittelbewirtschaftung und Beschaffung; Steuern, Zeichnungsbefugnisse und Korruptionsprävention; Zentrale IT-Services; Datenschutz; Arbeitssicherheit; Personaladministration; Reisemanagement“. Sicher allesamt wichtige Themen – aber keines davon wurde nach dem mir zugetragenen Erfahrungsbericht wirklich erschöpfend behandelt. Immer wurde gesagt: fragen Sie im Zweifel den zuständigen Sachbearbeiter!

Derzeit wird für diesen Einführungstag ein hoher Preis  gezahlt. Wenn man nur die Kosten betrachtet, die dieser Tag auf Teilnehmerseite durch wegfallende Arbeitszeit verursacht (eine grobe Schätzung: 100 Mitarbeitende x 7.5 Stunden x 20€ Stundenlohn = 15.000 €), muss die Frage gestattet sein, ob dies eine effiziente Form der Wissensvermittlung darstellt. Eine Reihe der abgehandelten Themen betrifft die Mitarbeitenden gar nicht, andere sind im Moment nicht virulent (und bis sie das werden, haben sich die Vorschriften wieder geändert…).

Dass dieser „Einführungstag“ demnächst auch für neuberufene Kolleginnen und Kollegen aus der Professorenschaft zur Pflicht werden könnte, lässt mich in meinem Pensionärsdasein klammheimlich schmunzeln („… die Armen …“). Wären nicht andere Formen der Dissemination sinnvoller? Sollte man nicht stärker massgeschneiderte Angebote machen anstelle der Schrotflinten-Vermittlung nach dem eher ungünstigen Motto „one size fits all“? Und wie oft habe ich Klagen darüber gehört, dass zuständige Sachbearbeiter*innen nicht telefonisch erreichbar waren, wenn es Rückfragen gab? Das wäre doch wohl ebenso wichtig…

Was steht nicht auf dem Programm? Die Ethik wissenschaftlichen Arbeitens z.B., die uns in den vergangenen Jahren vermutlich mehr Probleme bereitet hat als die eine oder andere Tafel Schokolade, die Studierende ihren Betreuern zum Dank für eine gute Betreuung geschenkt haben und die die Beschenkten, wie im Kurs dargestellt, wohl unerlaubterweise (wg. Korruptionsprävention) angenommen haben. Der manchmal fehlende kollegiale Umgang miteinander erzeugt aus meiner Sicht als „Ombudsperson“ schweren Schaden für die Betroffenen, fehlerhaft augefüllte Hilfskraft-Anträge sind natürlich ärgerlich, bräuchten aber weniger Schulung als das etwa im Bereich Personalmanagement und Personalführung wünschenswert wäre.

Ein „onboarding“ mit einer Vermittlung unseres akademischen Selbstverständnisses, unserer Corporate Identity („wir an der Uni Heidelberg“) fände ich mindestens so wichtig wie den Hinweis auf das A1-Formblatt, das vor Antritt einer Dienstreise ins europäische Ausland auszufüllen und einzureichen ist. Wie ein gutes „onboarding“ der Verwaltungvorschriften aussehen könnte (ob ein kleines Handout mit kurzer Beschreibung der jeweiligen Themen und Angabe des jeweils zuständigen Sachbearbeiters, ob ein massgeschneidertes Themenangebot), wäre m.E. noch zu diskutieren. Dass die Neulinge den immer weiter wuchernden Dschungel der Vorschriften wenigstens in Umrissen kennenlernen sollen, ist nachvollziehbar, gerne auch gegen Unterschrift, um die Universität aus der Haftung zu entlassen. Aber es sollte nicht abschrecken und wenig belastend sein – denn Uni heisst in erster Linie: Forschung und Lehre. Je unsichtbarer und geräuschloser die Verwaltung, umso besser!

Also: ich hoffe auf die Vernunft der verantwortlichen Administration, deren guter Wille deutlich zu erkennen ist, aber die in der Umsetzung nach meinem Dafürhalten weit über das Ziel hinausschiesst: Da besteht Änderungsbedarf! Semper apertus!

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