F4F: Warum ich mitlaufe

An diesem Freitag 20.9.2019 finden – wie an vielen Freitagen zuvor – Demonstrationen der „Fridays for Future“ (abgekürzt: F4F) statt. Hier bei uns in Heidelberg wird zur bisher größten Demo eingeladen (Start: 11 Uhr an der Stadtbücherei in der Poststrasse, Ziel: Rathaus), OB Würzner hat alle städtischen Amtsleiter aufgefordert, ihren Mitarbeitern die Teilnahme an der „Fridays for Future“-Demo am Freitag zu ermöglichen (das sind ca. 2500 Verwaltungsangestellte). Uniseitig habe ich noch nichts vernommen…

Warum ich mitlaufen werde: Proteste und Demonstrationszüge haben eine lange Geschichte (man kann beim Zug der Heidelberger Studierenden zum Hambacher Schloß im Mai 1832 anfangen) und stellen eine Errungenschaft demokratischer Verfassungen dar, die von Gewerkschaften oder politischen Parteien zur Durchsetzung von Interessen der Schwächeren genutzt wurden. Mindestens zwei Varianten von Protesten können unterschieden werden: (1) Instrumentelle Proteste (Streiks) haben ein klares Ziel (z.B. bei Lohnverhandlungen), (2) Indikator-Proteste wie die F4F-Bewegung zeigen Missstände an und nehmen Einfluss auf die politische Agenda.

Warum geht man in Zeiten digitaler sozialer Medien überhaupt noch auf die Straße? Natürlich erhält man auf diese Weise die Aufmerksamkeit von tradionellen Medien wie Zeitungen und Fernsehen! Ausserdem ist eine Demonstration ein emotionales Ereignis – die Solidarität mit vielen anderen Menschen zu spüren, die für die gleiche Sache auf die Strasse gehen (so vermutet man es – wissen kann man das nicht), ist schon ein gutes Gefühl (ein „warm glow“). Ich erinnere mich an meine bisher größte Demo-Teilnahme in Bonn auf der Hofgartenwiese hinter der Universität Bonn, wo am 10.10.1981 die Friedensbewegung mit rund 300.000 Teilnehmenden (einer davon war ich) gegen den Nato-Doppelbeschluss protestierte (gegen die Stationierung atomar bestückter Mittelstreckenraketen in Europa – der Protest blieb erfolglos, wie sich später herausstellte).

Auch wenn in Heidelberg sicher deutlich weniger Menschen auf die Straße gehen: Weltweit werden es an diesem Tag ganz viele sein, die von der Politik entschlossenere Massnahmen gegen die drohende Klimakatastrophe fordern und auch bereit sind, persönliche Opfer zu bringen. Ich bin kein Schüler mehr und gehöre sicher nicht in die erste Reihe, aber natürlich bin ich Wissenschaftler und als solcher Mitglied bei „Scientists for Future“ (kurz S4F). Deswegen halte ich Sonntag abend auch einen öffentlichen Vortrag zum Thema „Think global, act local: Große gesellschaftliche Herausforderungen und Ideen zu ihrer Bewältigung“ um 18 Uhr im Institut für Philologie, Marstallhof 2-4 (hier das Video vom Vortrag).

Natürlich darf ich als Beamter nicht streiken – das gebietet die Treuepflicht gegenüber der FDGO (=freiheitlich-demokratische Grundordnung). Die verlorene Arbeitszeit hole ich selbstverständlich nach (ich merke gerade, dass ich immer noch nicht ganz realisiere, Pensionär zu sein…). Andererseits ist das Demonstrationsrecht grundgesetzlich verankert, das darf ich natürlich wahrnehmen. Ich würde mich freuen, auf der jetzt anstehenden F4F-Demo ein paar bekannte Gesichter zu sehen!

Ach ja: Wofür soll man eigentlich auf die Strasse gehen? Natürlich wie schon gesagt wegen der drohenden Klimakatastrophe. Meine Generation hat es nicht geschafft, ein Umdenken in substantieller Weise in Gang zu setzen. Alle Hoffnungen ruhen auf der nächsten Generation, die ihre Verantwortung ernst zu nehmen scheint! Wie heisst es so schön: „Die Fakten liegen auf dem Tisch, die Warnungen sind ausgesprochen. Jetzt ist es Zeit zu handeln!“ Die „Union of Concerned Scientists“ hat bereits 1992 eine weltweite Warnung ausgesprochen („World scientists‘ warning to humainty“), die aber kaum gehört wurde. Und 25 Jahre danach gab es eine zweite, noch besorgniserregendere Warnung:

  • Ripple, W. J., Wolf, C., Newsome, T. M., Galetti, M., Alamgir, M., Crist, E., … 15,364 scientist signatories from 184 countries (2017). World scientists’ warning to humanity: A second notice. BioScience, 67(12), 1026–1028. https://doi.org/10.1093/biosci/bix125

Auch die ist nun schon zwei Jahre alt – es wird Zeit, die Warnungen der besogten Wissenschaftler ernst zu nehmenund den noch verbleibenden (immer kleiner werdenden) Handlungsspielraum zu nutzen! Dafür lohnt es sich m.E. auf die Strasse zu gehen!

siehe auch (lokal) die Stellungnahme der HCE-Mitglieder der Uni Heidelberg: https://joachimfunke.de/2019/05/10/hce-stellungnahme-zu-den-forderungen-der-heidelberger-fridays-for-future-bewegung/

siehe auch (global) die Stellungnahme der „Earth League“-Wissenschaftler (ein internationaler Zusammenschluss führender Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von Forschungseinrichtungen aus aller Welt): https://www.the-earth-league.org/075956/index.php.en

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