Erneut ist ein Band der traditionsreichen „Heidelberger Jahrbücher“ (erster Band: 1808 erschienen) unter der Schirmherrschaft von Michael Wink und mir fertiggestellt worden. Ich zitiere nachfolgend aus unserem Vorwort:
„Im vorliegenden vierten Band der „Heidelberger Jahrbücher Online“ (HDJBO), den die „Gesellschaft der Freunde Universität Heidelberg e.V.“ unter Federführung der beiden Editoren Joachim Funke und Michael Wink herausgibt, haben sich die Autorinnen und Autoren des Bandes diesmal mit dem Konzept der Schönheit in der Wissenschaft als fächerübergreifender Thematik auseinandergesetzt.
In der Antike wurde das Schöne mit dem Wahren und dem Guten gleichgesetzt. Was aber ist das Schöne? Zeigt es sich als Durchschnittswert (wie es bei Gesichtern der Fall zu sein scheint), im Kontrast zum Hässlichen (wie es in der Kunst gelegentlich geschieht), ist es ein westlich geprägtes Konzept (wie es Umberto Eco in seinem Buch „On beauty“ von 2004 vermutet)? Ist Schönheit überhaupt eine Kategorie für die Wissenschaften? Gibt es schöne Formeln, schöne Theorien oder schöne Ergebnisse? Und wenn ja: lässt sich das Konzept der Schönheit in verschiedenen Disziplinen überhaupt konkret fassen? Oder sollten wir Fragen der Schönheit lieber der philosophischen Ästhetik überlassen und in den strengen Wissenschaften auf derartige subjektive Bewertungen verzichten?
Diese Thematik beleuchten wir im vorliegenden Band aus der bunten Sicht unserer Volluniversität. Zwölf Autorinnen und Autoren aus Geistes-, Kultur-, Naturwissenschaften und Medizin haben ihr Verständnis von Schönheit aus unterschiedlichen Gesichtspunkten erörtert. Die durchaus disziplinär angelegten Beiträge thematisieren ganz unterschiedliche Aspekte des Rahmenthemas und erzielen damit am Ende eine interessante Perspektivenvielfalt.
- Caterina Maderna (Klassische Archäologie) beschreibt in ihrem Kapitel anschaulich, wie bereits in der Antike Schönheit mit sozialem Status verknüpft wurde und wie hässliche Darstellungen des Fremden in die Kunst Einzug hielten. Negativ konnotierte Stereotypen fremder Kulturen in der bildenden Kunst Griechenlands und Roms bringen Clichés hervor, die auch in heutiger Zeit Wirkung zeigen, wenn wir nicht unser Bewusstsein dafür schärfen.
- Michael Wink (Biologie) betrachtet Schönheit aus evolutionärer Sicht. Charles Darwin hat intensiv darüber nachgedacht, warum viele Vogelmännchen ein prächtig gefärbtes Federkleid tragen. Da er das Phänomen nicht durch die natürliche Selektion erklären konnte, begründete er das Konzept der Damenwahl („female choice“, sexuelle Selektion). Er nahm an, dass die Vogelfrauen einen Sensor für Schönheit besitzen und ihre Partner danach aussuchen. Offensichtlich gibt es evolutionäre Grundlagen der Schönheit.
- Georg Wolschin (Theoretische Physik) behandelt das Thema der Symmetrien in der Natur. In der Elementarteilchenphysik, wo es neben Teilchen auch Antiteilchen gibt, sind verschiedene Symmetrien am Werk, die der Autor benennt. Als skeptische Naturwissenschaftler suchen die Physiker allerdings auch gezielt nach Verletzungen der Symmetrien, heute mittels Großtechnologie, wie am Kernforschungszentrum CERN betrieben.
- Claudia Erbar (Biologie) und Peter Leins (Biologie) machen den Aspekt der ästhetischen Ökonomie in der Gestalt von Pflanzen stark. Die Optimierung von Locksignalen, die Anlage von Blättern entlang der Sprossachse oder die Verpackung empfindlicher Pflanzenteile sind Beispiele dafür, wie organismische Evolution von einem Ökonomieprinzip getrieben sind, das möglichst hohe Effizienz bei minimalem Aufwand sicherstellen soll.
- Tatiana Görig, Sven Schneider und Katharina Diehl (alle aus der Medizinischen Fakultät Mannheim) befassen sich mit dem Schönheitsideal gebräunter Haut. Sie berichten über Ergebnisse einer bundesweit repräsentativen Umfrage unter 3000 Personen zur Wichtigkeit attraktivitätsbezogener Motive für das Bräunungsverhalten. Hintergrund sind die zahlreichen dermatologischen und onkologischen Risiken (z.B. vorzeitige Hautalterung, Hautkrebs), die ein derartig ungünstiges Schönheitsideal mit sich bringt.
- Tonio Hölscher (Klassische Archäologie) fragt danach: „Wie schön darf Gorgo sein?“ (Gorgo ist eine geflügelte Schreck-Gestalt der Antike) und beschäftigt sich mit einer widersprüchlichen Ästhetik der griechischen Kunst und Lebenskultur, die bis in unsere Neuzeit reicht: Kann Häßliches schön sein? Wird eine brutale Filmszene dadurch ästhetisch aufgewertet, wenn man sie mit klassischer Musik unterlegt? Die Perfektion der Form ist keine Aussage über das inhaltliche Thema.
- Hans J. Pirner (Theoretische Physik) bringt uns die verborgene Schönheit der Natur aus der Sicht eines theoretischen Physikers nahe. Neben den trigonometrischen Funktionen weist er auf die exponentielle Zerfallskurve als die andere allgegenwärtige Standardschönheit der Physik hin. Diese Schönheit liegt in ihren mathematischen Symmetrien und Strukturen, wird aber erst durch die technischen Hilfsmittel sichtbar, die die Physiker benutzen.
- Joachim Funke (Allgemeine Psychologie) befasst sich mit psychologischen Erkenntnissen zur Schönheit. Dabei kommt nicht nur das Konzept der „guten Gestalt“ zur Sprache, sondern es geht auch um die Schönheit von Gesichtern sowie die Auswirkungen von Attraktivität auf Schulnoten und Partnerwahl. Auch das Thema „Ehrfurcht“ im Kontext von Schönheit wird hier angesprochen.
- Christel Weiß (Medizin) beschäftigt sich mit der Schönheit der Statistik. Sie zeigt, dass die in Kennzahlen eingefangenen Wahrscheinlichkeiten von Ereignissen nicht nur hilfreich bei der Bewältigung des Alltags sind, sondern gerade durch ihre Einfachheit auch eine inhärente Schönheit besitzen. Schönheit der Statistik ergibt sich insbesondere dann, wenn sich das scheinbare Datenchaos ordnen und verdichten lässt.
Die Publikation als e-Book hat sich bislang bewährt: Sie spart Kosten und ermöglicht dank „open access“ eine größere (und nachhaltigere) Verbreitung als die Print-Version. Der erste Band der Online-Reihe mit dem Titel „Stabilität im Wandel“ (Wink & Funke, 2016) wurde in den 24 Monaten nach Erscheinen mehr als 100mal zum Download (Anmerkung: Diese Download-Zahl betrifft jeweils den kompletten Band – einzelne Beiträge daraus können durchaus auf höhere Downloads kommen. Die Statistiken sind auf den zugehörigen Webseiten der jeweiligen Artikel tagesaktuell abrufbar. Auf Artikelebene wurden insgesamt 14.242 Downloads registriert (Stand: 13.6.2019).Ende der Anmerkung) angefordert – das ist beachtlich! Der zweite Band „Citizen Science“ (Wink & Funke, 2017) kommt nach nur 12 Monaten Laufzeit auf Zugriffszahlen von etwa 159 Downloads. Der dritte Band „Perspektiven der Mobilität“ (Funke & Wink, 2018) liegt mit 781 Downloads trotz des späteren Starts sogar an der Spitze. Auch diesem nun vorliegenden vierten Band wünschen wir angemessene Verbreitung!
Wem die digitale Ausgabe nicht genügt und ein Exemplar für seinen Bücherschrank wünscht: Dank der guten Zusammenarbeit mit „Heidelberg University Publishing (HeiUP)“ kann von allen Bänden für kleines Geld eine Print-Version „on demand“ (sowohl in der preiswerten Softcover- wie auch in der etwas teureren Hardcover-Version) hergestellt werden. Dank der guten Zusammenarbeit der UB Heidelberg mit der „Gesellschaft der Freunde“ und dank deren finanzieller Unterstützung konnten zwischenzeitlich auch die zurückliegenden Ausgaben der Jahrbücher bis zur Nachkriegszeit (bis 1956) retrodigitalisiert werden und stehen damit einer interessierten Öffentlichkeit online zur Verfügung (hier zu den frisch zugänglich gemachten digitalen Beständen von 1891-1956).
Wir bedanken uns für die wie immer harmonische Zusammenarbeit beim Team der Universitätsbibliothek unter Leitung von Frau Dr. Maria Effinger, aber auch beim Direktor der Universitätsbibliothek, Dr. Veit Probst, der diesen Weg digitaler Informationsverbreitung seit Jahren fördert, ohne die Print-Welt zu vernachlässigen. Ein besonderer Dank ist erneut unserer Cheflektorin Julia Karl (M.Sc. Psychologie) auszusprechen, die bisher alle unsere Online-Bände sorgfältig und schnell begleitet hat und uns jetzt leider nach erfolgreichem Abschluss ihres Studiums verlässt.
Wir sind gespannt, wie der neue Band ankommt und wie unser Jahrgangsthema aufgenommen wird. Feedback ist wie immer erwünscht!“
hier geht es zu früheren Jahrbüchern:
– Band 3, 2018: Perspektiven der Mobilität
– Band 2, 2017: Citizen Science
– Band 1, 2016: Stabilität im Wandel