Präsident für alle Amerikaner?

Normalerweise äußere ich mich hier im HeiPI-Blog nicht zu tagespolitischen Themen. Dennoch scheint mir – nachdem der erste Schock über das amerikanische Wahlergebnis mit dem Wahlsieg von Donald Trump verdaut ist – eine Reflexion aus der Sicht eines Psychologen zulässig, ja nötig. Mal abgesehen davon, dass ich eben eine Rundmail von der weltweit größten Psychologenorganisation (der „American Psychological Association“, APA; nicht zu verwechseln mit der „American Psychiatric Association“, auch APA genannt) erhalten habe, in der die Präsidentin Susan McDaniel und zwei ihrer Vorstandskollegen die AP-Mitglieder vor Spaltung warnen und zur Einheit aufrufen.

Der zu Ende gegangene amerikanische Wahlkampf hat nie zuvor Dagewesenes hervorgebracht: respektlose Beleidigungen von Minderheiten, sexistische Bemerkungen, das angedrohte Nichtanerkennen eines möglichen Wahlverlusts, bis hin zur Forderung Trumps, seine Gegnerin Hillary Clinton ins Gefängnis zu bringen. Alles nur Wahlkampfgetöse? Was kann nach soviel zerschlagenem Porzellan noch gekittet werden? Wie ist ein Aufeinanderzugehen politischer Gegner nach sovielen Verletzungen, Schmähungen, Beleidigungen noch möglich? Das ist auch eine psychologische Frage.

Die – ebenfalls attackierte – Bundeskanzlerin hat ihre Gratulation zum Wahlsieg sehr professionell gemacht: Angebot zur Zusammenarbeit auf der Grundlage wichtiger Grundwerte moderner Verfassungen. Mal sehen, ob die Botschaft verstanden wird! Mir hat diese Reaktion Angela Merkels (unabhängig von meinen politischen Präferenzen) sehr gut gefallen! Auch die erste Reaktion der Wahlverliererin Hillary Clinton mit dem Angebot zur Zusammenarbeit ist professionell!  Natürlich fällt das umso schwerer, je tiefer die Gräben vorher gezogen wurden.

Eine andere interessante Baustelle ist die Wahlforschung. Ihr Versagen auf ganzer Linie zeigt Probleme sozialwissenschaftlicher Methoden. Telefonumfragen liefern offensichtlich kein „wahres“ Abbild der Verhältnisse. Die Verzerrungen, die dadurch entstehen, dass man (aus welchen Gründen auch immer) am Telefon oder an der Haustür nicht offen für seine Meinung einsteht, sondern sich erst in der geschützten Wahlkabine mit seinem Kreuz zu erkennen gibt, haben Wahlforscher unterschätzt. Hier sind psychologische Forschungsergebnisse über den begrenzten Wert von Selbstauskünften und den Bedingungen, unter denen Aussagen glaubwürdig sind, zu rezipieren und zu vertiefen.

Als Problemlöseforscher sehe ich der neuen Situation mit viel Interesse entgegen! Der Umgang mit Unsicherheit wird gefordert (Aussenminister Steinmeier glaubt, dass Aussenpolitik „unberechenbarer“ wird), die Komplexität wird ansteigen, Probleme werden wachsen. Zugleich will Trump selbst natürlich viele Probleme lösen und steht unter großem Erwartungsdruck. Mal sehen, wie die erforderliche Komplexitätsreduktion ausfallen wird. Braucht postfaktische Politik überhaupt Ergebnisse? Eine tolle Zeit für die Politische Psychologie, die es bei uns allerdings nicht an vielen Standorten gibt. Hier ist eine Stellungnahme von Siegfried Preiser.

Und natürlich bin ich gespannt, welche Vorbildeffekte die US-Wahl auf die Bundestagswahl in der BRD 2017 hat: ob wir hier ähnliche Attacken registrieren müssen wie in den USA? Noch sind wir Zuschauer, bald schon selbst Betroffene. Auch bei uns gibt es sicher viele, die sich von der politischen Elite nicht mehr vertreten fühlen und zum Protestwähler werden gegen „die da oben“. Folgen der Globalisierung? Gefühlter (oder sogar realer) Verlust an Einflußmöglichkeiten? Angst vor ungewisser Zukunft?

Nur am Rand sei erwähnt: eine Reihe linksintellektueller Amerikaner denken darüber nach, das Land zu verlassen. Der Server der Kanadischen Einwanderungsbehörde soll nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses unter der Last der Anfragen zusammengebrochen sein. Auch bei mir ist schon eine Anfrage eines amerikanischen Kollegen nach den Möglichkeiten hier bei uns am Institut zu arbeiten eingetroffen. Nach Syrien, Türkei, Brexit nun also auch Trump-Flüchtlinge an den Hochschulen? Wir werden sehen.

Präsident aller Amerikaner ist Donald Trump definitiv nicht – ob er Präsident für alle Amerikaner sein wird, muss sich zeigen. Die Wandlung vom hetzenden Spalter zum versöhnenden Einheitsstifter stellt einen psychologischen Entwicklungsprozeß dar, den ich mir nicht vorstellen kann. Aufbauend auf psychologischen Erkenntnissen würde ich sagen: Nicht in kurzer Zeit und nicht mehr in diesem Lebensalter. Aber vielleicht sollte ich mehr Bescheidenheit in meinen Prognosen an den Tag legen – das Wahlergebnis konnte ich mir auch schon nicht vorstellen. Die Welt braucht offensichtlich mehr Phantasie neben einem Mehr an Werten wie Menschlichkeit, Toleranz, Achtung, Respekt, Würde, Anstand – um ein paar altbackene Konzepte ins Spiel zu bringen. Vielleicht müssen wir uns auch als Psychologen mehr einmischen, unsere Funktion in der Gesellschaft nochmals überdenken?

PS: Ab und an treffen wir uns mit Freunden in Kallstadt, dem Herkunftsort der Trumps, zum Weinkauf und zum Abendessen. Mal sehen, ob da Begeisterung über den triumphalen Erfolg eines Pfälzer Abkömmlings zu spüren ist. Den (ethnografischen) Film „Kings of Kallstadt“ fanden wir jedenfalls witzig!

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