Abschluß von BMBF-Projekt InReakt

Seit 2013 bin ich mit dem BMBF-Verbundprojekt „InReakt“ unterwegs, bei dem es um zivile Sicherheit im ÖPNV (= Öffentlicher Personen-Nahverkehr) geht. Konkret wurden in einem großen bundesweiten Forschungsverbund (Leitung: StuVa, Köln; Partner: Init, Karlsruhe; Infokom, Neubrandenburg; Fraunhofer IPK, Berlin; Psychologisches Institut, Universität Heidelberg) die Möglichkeiten halbautomatisierter Entdeckung von schwierigen Situationen (Tätlichkeiten, Vandalismus, medizinischer Notfall etc.) in Straßenbahnen und an Haltestellen erkundet. Meine Mitarbeiterinnen Carolin Baumann und Teresa Krämer sowie zahlreiche Hiwis haben die Akzeptanz technischer Überwachungssysteme durch ÖPNV-Nutzer und die Auswirkungen auf das Sicherheitsempfinden in Bahnen und Bussen sowie an Haltestellen erfasst. Große Stichproben aus verschiedenen Städten wurden dazu rekrutiert. Darüberhinaus haben wir uns verschiedenen technischen Entwicklungen und der Gestaltung von Benutzerschnittstellen mit Input beteiligt.

Am 28.09.2016 fand nun in Karlsruhe der Abschlussworkshop statt unter Beteiligung von interessierten Vertretern städtischer ÖPNV-Betreiber, der Polizei, der Politik und der Industrie. Die Veranstaltung fand an einem für mich untypischen Konferenzort statt: einer großen Betriebshalle der Karlsruher Verkehrsbetriebe (VBK), in der eine moderne Straßenbahn stand, in der unsere Entwicklungen demonstriert werden konnten: unser „Demonstrator“!

In verschiedenen Abschnitten dieser Straßenbahn und an einer extra installierten „Demo“-Haltestelle wurden unsere „tools“ vorgeführt:

  • mechanische Sensorik, die physische Attacken auf Einrichtungsgegenstände (z.B. Papierkorb, Glasscheiben etc.) detektiert und meldet;
  • optische Sensorik, die verschiedene per Kamera erfasste Ereignisse im Fahrzeug (z.B. Schlägerei, stürzende oder liegende Personen, zurückgelassene Gegenstände) meldet;
  • akustische Sensorik, die Rufe wie „Hilfe“ oder „ein Arzt“ erkennt und klassifiziert;
  • eine App für iOS und Android, mit der Fahrgäste und Personal der Verkehrsbetriebe (z.B. Kontrolleure oder Fahrer) Störfälle melden und Hilfe anfordern können.

All das wird in einem „Ereignis-Management-System“ (EMS) intelligent erfasst und an die Leitzentrale weiter gegeben.

Wie die Vertreterin des BMBF, Frau RR Verena Knies (Referat Sicherheitsforschung, Bonn), zu meiner großen Freude hervorhob, sei das Besondere an unserem insgesamt sehr erfolgreichen Projekt die gelungene Begleitforschung. Sie meinte damit die Psychologie, weil sie die Sicht der Nutzer repräsentierte, und die Rechtswissenschaft, weil sie das heikle Thema des Datenschutzes so elegant gelöst hatte: „privacy by design“ hatte Hansjürgen Garstka, der ehemalige Datenschutzbeauftragte des Landes Berlin, sein Konzept benannt. Dies besagt, daß so wenig wie möglich personenbezogene Daten gesammelt werden. Die Videoüberwachung z.B. erfolgt mit einer Tiefenkamera auf Infrarot–Basis, bei der nur Konturen („Skelette“) und deren Interaktion erfasst werden. Anlassbezogen – das darf man – wird dann bei entsprechenden Ereignissen ein RGB-Signal für die Leitstelle dazu geschaltet.

InReakt war ein wichtiges Anwendungsprojekt, nicht nur wegen der Industriepartner. Es ging für uns aus der Psychologie nicht darum, weitere high-impact-Publikationen zu produzieren, sondern in einem gesellschaftlich relevanten Anwendungsfeld (Sicherheit im öffentlichen Raum) die Nützlichkeit psychologischer Überlegungen zu demonstrieren. Das ist eine Herausforderung ganz anderer Art! „Give psychology away“ gewinnt in Anwendungskontexten eine neue Bedeutung! Der akademische Impact ist niedrig (gemessen in herkömmlichen Kriterien wie Impactfaktoren von Veröffentlichungen), der gesellschaftliche Impact allerdings hoch (leider nicht quantifizierbar!) und unser Ansehen als Psychologen bei Technikern ist sicherlich gestiegen, wen man die anfänglichen Erwartungen zugrunde legt.

Dass unsere Begleitforschung nicht „Feigenblatt“ war, sondern tatsächlich Einfluss hatte, ist vor allem Carolin zu verdanken – Dir und Teresa nochmals ganz herzlichen Dank dafür! Ich bin gespannt, ob ein Anschlussprojekt zustande kommt; bis 12.10.2016 haben wir noch Zeit, uns an der Ausschreibung zu “Sicherheitslagen“ zu beteiligen. Das ist „complex problem solving“ in Reinform!

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