Poetikdozentur 2016: Felicitas Hoppe

Wieder einmal gibt es Anlass zur Freude: Als diesjährige Poetikdozentin ist die zeitgenössische Schriftstellerin Felicitas Hoppe in Heidelberg und hat am vergangenen Mittwoch abend (am 1.6.16) ihre erste Poetikvorlesung in der Alten Aula gehalten: „Hoppe: Das bin ich!“. Ein schöner Auftakt mit der spannenden Frage: Ist das 2012 erschienene Buch von Felicitas Hoppe mit dem Titel „Hoppe“ eine Biografie? Gar eine Autobiografie? Oder doch „nur“ eine Traumbiografie? Der Verlag kündigt es lieber als „Roman“ an und weckt damit Zweifel an der Echthheit der Geschichten über Felicitas Hoppe, die in diesem Buch erzählt werden. Hoppe selbst bezeichnet ihr Werk als „Biographie eines träumenden Kindes“.

Auftaktvorlesung zur Poetikdozentur 2016 von Felicitas Hoppe in der Alten Aula

Auftaktvorlesung zur Poetikdozentur 2016 von Felicitas Hoppe in der Alten Aula. Foto: JF.

Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Der berühmte Satz von Rene Magritte unter dem Bild einer Pfeife „„Ceci n’est pas une pipe“ macht deutlich, das Realität und Fiktion manchmal schwer auseinanderzuhalten sind. Wie glaubhaft ist eine Autobiografie? Kann ein „Ich“ seine eigene Geschichte schlicht durch Daten und Fakten beschreiben, oder müssen nicht Wünsche und Träume zum tieferen Verständnis herangezogen werden?Hoppe: „Wir sind, was wir wünschen“.

Auch wenn „fh“ (so ein im Roman vorkommender oberlehrerhafter Kürzel, mit dem die Autorin gelegentlich korrigierend eingreift) in Wirklichkeit die ersten 19 Jahre ihres Lebens in Hameln verbracht hat – der Traum einer Kindheit im kanadischen Brantford (Ontario) an der Seite von Wayne Gretzky ist schön beschrieben und zeigt und das „Ich“ der Autorin vielleicht deutlicher als ihre „wahre“ Kindheit in Hameln. Und endlich wird das Rätsel aufgelöst, wohin die vom Rattenfänger angelockten Kinder entführt wurden.

Was bleibt? »Kröne dich selbst, sonst krönt dich keiner!« Unser Ich, unsere Persönlichkeit: das sind (auch) die Geschichten, die wir über uns erzählen. Es gibt ein schönes Buch von Daniel Schacter, dem amerikanischen Gedächtnispsychologen, das 2001 auf Deutsch unter dem Titel „Wir sind Erinnerung“ (Original: „Searching for memory„) erschien und deutlich macht: Wie und an was wir uns erinnern, macht unsere Persönlichkeit aus. Deswegen sind Gedächtnisverluste auch immer Verluste der eigenen Persönlichkeit. Ich bin, was ich erzählen kann – diese konstruktivistische Perspektive zeigt Felicitas Hoppe in ihrer Biografie. Schön, dass sie (die schon als Kind Bilder aus dem Codex Manesse an der Wand hängen hatte) nach Heidelberg, in die Unesco City of Literature (seit 2014), gekommen ist!

siehe frühre Einträge zum Thema Peitikdozentur

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