Unsere Erstsemester werden seit vielen Jahren in der Woche vor Semesterbeginn in den Heidelberger Uni- und Institutsbetrieb eingeführt. „Erstsemester-Kompakt-Seminar“ (EKS) heisst dieses Angebot, für das wir schon vor vielen Jahren den Landeslehrpreis bekommen haben und das eine ganze Woche mit verschiedensten Veranstaltungen umfasst – ein tolles Ritual! Unsere Fachstudienberatung macht hier tolle Arbeit – Dank insbesondere an Frau Glawe, aber auch an die Tutorinnen und Tutoren des EKS!
Teil dieses Rituals ist der „Ersti-Scherz“, mit dem wir die Neulinge an der Nase herumführen. Die zahlreichen Tutorinnen und Tutoren dieses Kurses denken sich jedes Jahr etwas Neues aus. Mal wurde die Einführung einer Standard-Institutskleidung („bitte alle in blauen Klamotten erscheinen“) angekündigt, dann sollte sich jeder eine Ratte für die bevorstehenden Tierexperimente („Rabatt beim gleichzeitigen Kauf von Ratte und Käfig“) zulegen. Natürlich klären wir über diese Scherze auf, bevor ein Unheil passiert und sich jemand tatsächlich eine Ratte zulegt.
In diesem jahr haben wir die Erstis auf unseren Kellerausbau aufmerksam gemacht und betont, dass der Ausbau zwar momentan etwas stagniert, wir aber die Zeit nutzen wollen und im Keller ein paar berühmte Experimente replizieren wollen, für die wir noch Versuchspersonen suchen. Ich habe unter Verweis auf die 30 Pflichtstunden als Versuchsperson für folgende 3 Experimente geworben, bei denen sich die geforderte Stundenzahl in einem Rutsch erwerben liesse (Originaltexte der im Hörsaal ausgegebenen Listen):
- „Stanford-Prison“-Replikation (30 Vpn-Stunden): „Einteilung der Vpn in zwei Gruppen – Wärter_innen und Gefangene. Bitte Präferenz für die Gruppen angeben. Die Zuteilung erfolgt soweit möglich nach der angegebenen Präferenz.“
- Akustische & visuelle Reizdeprivation (30 Vpn-Stunden): „Räume (schallisolierte Dunkelkammer) werden durch Versuchsleitung zur Sicherheit videoüberwacht. Vpn führen vor und nach der 24-stündigen Reizdeprivation verschiedene psychologische Leistungs- und Persönlichkeitstests durch.“
- Sensorische Reizdeprivation (30 Vpn-Stunden): „Vpn erhalten einen Anzug, der sie von sensorischen Reizen abschirmt. Vpn führen vor und nach der 24-stündigen Reizdeprivation verschiedene psychologische Leistungs- und Persönlichkeitstests durch.“
Tatsächlich waren die Listen schnell gefüllt – gefragt wurde, ob man nicht auch interessehalber an allen drei Experimenten teilnehmen könnte und ob wir mehr als 30 Plätze beim Gefängnis-Experiment anbieten könnten – die Liste sei beim Rundlauf im Hörsaal ganz schnell schon von denen in den vorderen Reihen belegt gewesen und die Hinterbänkler hätten keine Wahlmöglichkeit mehr gehabt (natürlich haben wir weitere Plätze angeboten).
Hat dieser Scherz einen pädagogischen Nutzen? Ich hoffe ja! Der Film „Das Experiment“ wird gezeigt werden in der Hoffnung, damit zu einer Auseinandersetzung um die Ethik psychologischen Experimentierens und das Konzept der Menschenwürde beizutragen. Das Täuschen anderer Personen kommt in psychologischen Experimenten leider immer wieder vor, ist unter ethischen Gesichtspunkten aber höchst problematisch und wird auch von uns in der Ethikkommission streng beurteilt. Ausserdem möchte ich davor warnen, Ankündigungen von Autoritäten nicht blind zu befolgen, sondern sich zuvor eine eigene Meinung zu bilden und erst danach eine Entscheidung zu treffen. Auch im Namen des Vaterlands darf nicht gefoltert werden – und Deprivationsexperimente sind Folterexperimente! Die Amerikaner leiden gerade unter Ihrer verloren gegangenen Berufsethik, weil ihnen die Mitwirkung an der Entwicklung von Foltertechniken nachgewiesen wurde (siehe meinen Blog-Eintrag zum Hoffman-Report).
Liebe Erstis: Ich hoffe, Sie verzeihen uns diese Täuschung und behalten den Ersti-Scherz in Erinnerung im Sinne einer Mahnung, die ethischen Aspekte unseres Faches ernstzunehmen und sich für die Menschenwürde einzusetzen!