Spiegelneuronen richtig verstehen

Seit der Entdeckung der Spiegelneuronen im Jahr 1992 durch Giacomo Rizzolatti und seine Mitarbeiter ist ein regelrechter Hype entstanden: Endlich sei die neuronale Grundlage unseres menschlichen Sozialverhaltens gefunden, endlich seien die neuronalen Korrelate von Handlungsverstehen und Imitation gefunden. Das Spiegelneuronensystem beim Menschen bringt man mit „action recognition“ (Wiedererkennung von Handlungen) und Imitation in Verbindung. Die wesentlichen Entdeckungen wurden bei Makaken (=Affen) beschrieben.

Alina Steinhorst und ich stehen diesem Hype skeptisch gegenüber, da eine ganze Reihe vereinfachender Annahmen darüber gemacht werden, was „Verstehen“ bedeutet (an der Wirkstätte von Hans-Georg Gadamer nehmen wir es eben etwas genauer mit dem Begriff des Verstehens). Unser Hauptkritikpunkt: Es werden Aussagen über Handlungsverständnis gemacht, ohne dass Handlungsverständnis erhoben wird (was Affen – die wesentlichen Versuchstiere – „verstehen“, wissen wir beim besten Willen nicht). Dadurch, dass Spiegelneuronenaktivität als Indikator für Handlungsverständnis („von innen heraus“) genommen wird, wird die Argumentation tautologisch und die Modelle qualifizieren sich nicht als wissenschaftliche (falsifizierbare) Theorie.

Der Zirkelschluss führt zu einem reduktiven Verständnisbegriff, der der Natur der Sache nicht gerecht wird und auch nicht gerecht werden kann, solange „Verständnis“ nicht als abhängige Variable in den Experimenten erhoben wird. Selbst wenn Handlungsverständnis erhoben würde, würde die Operationalisierung ohne die Verwendung von Begriffen über mentale Zustände („theory of mind“) ein unüberwindbares Problem darstellen.

Fazit: Die These, dass Spiegelneuronenaktivität notwendig für Handlungsverständnis sei, ist experimentell nicht belegt – und ohne die Verwendung von Begriffen über mentale Zustände auch nicht belegbar. Das Konzept „Verständnis“ muss daher wieder reichhaltiger gestaltet werden.

Hier sind unsere Überlegungen dazu (kurz und knapp auf 4 Seiten verdichtet) nachzulesen: Steinhorst, A., & Funke, J. (2014). Mirror neuron activity is no proof for action understanding. Frontiers in Human Neuroscience, 8(333), 1-4. doi: 10.3389/fnhum.2014.00333 (Open Access)

Nachtrag 29.5.14: ein französischer Blog-Eintrag zu unserer Arbeit: „Apprend-on vraiment avec les neurones miroirs?

Kategorien:

Keine Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Archive
Kategorien