Ein Urgestein des Psychologischen Instituts, Prof. Dr. Annette Kämmerer, geht zum Ende dieses Wintersemesters in den Ruhestand! Urgestein deswegen, weil sie seit 44 Jahren am Institut ist – sie hat hier studiert, diplomiert, promoviert und habilitiert. Zum Abschied aus dem aktiven Dienst haben ihr die Heidelberger Kolleginnen und Kollegen am 24.1.14 ein kleines Symposium organisiert.
Eine große und illustre Runde unter Moderation von ZPP-Chef Hinrich Bents hatte sich in HS 2 versammelt, um Annette den Schritt in den Ruhestand durch ein entsprechendes Übergangsritual zu erleichtern. Manfred Cierpka, mit dem sie sehr erfolgreich ein deutsch-chilenisches Doktorandenprojekt betrieben hat, beschrieb dies sehr einfühlsam in seiner Rede. Beiträge von Reiner Bastine, Manfred Cierpka, Peter Fiedler, Joachim Funke, Thomas Fydrich (Berlin), Peter Hommelhoff, Friedrich Kapp, Jens Kulenkampff (Erlangen), Thomas Maissen (Paris) und Sabina Pauen bildeten das Programm. Viele Gäste aus nah und fern, auch aus anderen Fakultäten der Universität, zollten durch aufmerksames Zuhören ihren Respekt vor einer eindrucksvollen Lebensleistung.
Wie Sabina Pauen in ihrem Dank der Geschäftsführung des Instituts ausführte, hat Annette nicht nur im Institut segensreich gewirkt, sondern über viele Jahre auch zunächst im Großen Senat und später im Verwaltungs- bzw. Universitätsrat den Mittelbau repräsentiert und den damaligen Rektor Peter Hommelhoff bei strategischen Entscheidungen beraten. Der Altrektor bedankte sich in seiner launigen Rede über die kritische Unterstützung, die ihm Annette damals geboten hat. Deutlich wurde aber auch, dass die Anfänge der Frauenvertretung in der damaligen Zeit kein Vergnügen waren.
Reiner Bastine als langjähriger Chef von Annette ließ noch einmal alte Zeiten aufleben, ebenso Thomas Fydrich, mit dem sie lange zusammengearbeitet hatte und die Gründung des ZPP betrieb. Mit ihrem Kollegen Friedrich Kapp, der ihr eine Glaskugel und einen selbstgestrickten Schal schenkte, hat sie viele Selbsterfahrungs-Wochenenden geleitet. Kollege Peter Fiedler ordnete gemeinsam mit dem Publikum Annette auf verschiedenen Persönlichkeitsdimensionen ein – das gelang erstaunlich gut! Thomas Maissen (Paris) erinnerte an Annettes interdisziplinäre Interessen im Rahmen der Heidelberger Graduiertenschule HGGS sowie im Marsilius-Kolleg. Schließlich hielt der Erlanger Philosoph Jens Kulenkampff eine interessante Mini-Vorlesung über Mitfühlen und Verstehen und brachte die Positionen von Adam Smith, Arthur Schopenhauer und Max Scheler konturiert und kritisch zum Vorschein.
Was mich selbst betrifft: Mit Annette habe ich 2004 ein sehr schönes Buchprojekt „Seelenlandschaften. Streifzüge durch die Psychologie – Persönliche Positionen von 98 Lehrenden und Forschenden“ herausgegeben, dem leider keine großen Verkaufszahlen gegönnt waren – die gemeinsame Planung und Umsetzung des Projekts war dafür umso erfreulicher!
In den 1980er Jahren hat sich Annette Kämmerer auch mit meinem heutigen Lieblingsthema Problemlösen intensiver auseinandergesetzt (mit Beiträgen wie „Die Rolle der Gruppe beim Problemlösen“, „Pro und Contra Problemlösen – Kontroverse Meinungen über den Einfluß planvoll-strukturierenden Handelns in der Psychotherapie“ oder „Die therapeutische Strategie ‚Problemlösen‘ in der therapeutischen Beratung“). Später sind die Emotionen drangekommen und insbesondere kognitiv durchdrungene Emotionen wie z.B. Scham haben ihr Interesse gefunden. In den letzten Jahren ist die Emotionsregulation ganz allgemein Thema gewesen.
Zusammen mit Manfred Cierpka, dem Ärztlichen Direktor der Psychosomatischen Kooperationsforschung und Familientherapie am Heidelberger Universitätsklinikum, hat sie seit 2007 (nach mehrjährigen Vorarbeiten) ein Deutsch-chilenisches Promotionskolleg zur Depression auf den Weg gebracht (hier die offizielle Homepage), das nun gerade ausgelaufen ist und zahlreiche Doktorandinnen und Doktoranden hervorgebracht hat, die sich zumeist kulturvergleichenden Themen gewidmet haben.
In ihrem Schlusswort „Was ich noch sagen wollte…“ bedauerte sie den Verlust der politischen Dimension von Psychologie – der emanzipatorische Anspruch, der durch Klaus Holzkamp zu Zeiten der Studentenrevolte programmatisch gesetzt wurde, sei nicht mehr stark vertreten; dafür fänden sich umso mehr positivistische Empiriegläubigkeit, verbunden mit Publikationswut und -wahn, der keinerlei integrative Bestandteile mehr enthielte. Auch die Lehre sei im Vergleich zum Stellenwert von Forschung eher lieblos behandelt worden. Und Überlast (die vom Ministerium immer als vorübergehend angekündigt worden sei) trage sie seit dem ersten Jahr ihrer Beschäftigung im November 1975.
Warum das alles? Ein Schlüsselbegriff von Annette lautete „geistige Freiheit“: die Möglichkeit, sich mit allen möglichen interessanten Themen beschäftigen zu können, und das in einem interdisziplinären Umfeld, das viele Anregungen bietet. Das konnte ich gut nachvollziehen! Da kommt der Zauber Heidelbergs zum Tragen!
Ein Zitat von Annette aus Ihrem Abschiedsschreiben: „Mit Dankbarkeit und Wohlwollen schaue ich auf die hinter mir liegenden Jahre und mit Neugierde auf das, was vor mir liegt.“ Liebe Annette: möge Dir Gesundheit geschenkt werden und damit ermöglichen, Deiner Neugierde noch viele Jahre in noch größerer Freiheit zu frönen! Ich selbst freue mich auf viele zufällige oder absichtsvolle Begegnungen mit Dir, nicht nur zwischen Tür und Angel 🙂