Zivilklausel für die Forschung?

Als Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Wissenschaftsministerin Theresia Bauer bei ihrem Auftritt am 27.11.12 in der Neuen Aula unserer Universität gefragt wurden, wie sie zur sogenannten Zivilklausel – dem dezidierten Verbot militärisch nutzbarer Forschung an Hochschulen – stünden, war die Antwort von MP Kretschmann eindeutig: „Wenn Sie eine Drohne nehmen: Die kann genauso gut über Afghanistan fliegen wie über das Freiburger Münster.“ Die grundgesetzlich garantierte Freiheit der Wissenschaft lasse hier keine andere Haltung als die Absage an die Zivilklausel zu. Eine zynische Haltung?

Meine Meinung dazu: natürlich sollten Universitäten alles dafür tun, dass die bei Ihnen erforschten Erkenntnisse zum Wohle der Menschheit eingesetzt werden. Ich möchte nicht an einer Universität arbeiten, an der Erkenntnisse zur Vernichtung von Menschen gesammelt werden! Aber hilft da eine juristische Formulierung? Meines Erachtens hilft da nur eine moralisch-ethische Selbstverpflichtung der Forschung analog dem Hippokratischen Eid in der Medizin, die mit ihren Erkenntnissen natürlich auch heilen oder töten kann. Auch der Hippokratische Eid hat uns übrigens nicht vor den medizinisch begründeten Menschenversuchen der Nazi-Zeit geschützt.

Ist das für die Psychologie überhaupt ein Thema oder betrifft das nicht nur die Techniker und Naturwissenschaftler, die mit Drohnen, A-, B- und C-Waffen höllisch auftrumpfen können? Leider können wir uns hier nicht heraushalten. In der psychologischen Forschung sind wir mit dem Phänomen der „Weissen Folter“ (Seelenqualen statt blutiger Körperverletzungen, der „Roten Folter“) heftig konfrontiert – führende amerikanische Kollegen haben hier eine unrühmliche Rolle im Dienste der Homeland Security gespielt. Mein Kollege Rainer Mausfeld (er vertritt die Allgemeine Psychologie an der Uni Kiel) hat dies in einer Reihe von Beiträgen aufgearbeitet (siehe meinen Blog-Eintrag vom 27.7.2009).

Was ist mit „dual use„, der Gefahr also, Technologien sowohl friedlich als auch militärisch zu nutzen? Das kann durch eine Zivilklausel kaum verhindert werden. Unter dem Deckmantel friedlicher Erforschung können natürlich Prinzipien und Techniken erforscht werden, die später zu einem anderen als dem ursprünglichen Zweck genutzt werden. Gerade bei Zubehör zum Bau von Atomanlagen hat sich „dual use“ als Einfallstor erwiesen, das kaum zu kontrollieren ist. Wenn man „dual use“ ernst nimmt, kann eine missbräuchliche Zweitnutzung nie vollständig ausgeschlossen werden. Dann müßte man konsequenterweise mit der Forschung aufhören – was wir sicher nicht wollen!

Ich denke nicht, dass eine juristische Klausel uns vor Missbrauch schützen wird, wenngleich sie abschreckend wirken könnte und unsere Haltung verdeutlichen würde – meine präferierte Lösung setzt auf die Vermittlung ethischer Prinzipien in der Wissenschaft. Die Medizin kann uns dabei durchaus als Vorbild dienen. Von Anbeginn an müssen Hochschullehrer ihre Schüler mit der Idee einer Universität vertraut machen, die zur Wahrheitssuche im Dienste und zum Wohl des Menschen auffordert. Leider ist das heute nicht mehr selbstverständlich. Daran sollten wir arbeiten!

Dass wir ein Stück neckaraufwärts einen der weltweit größten Gewehr- und Pistolenhersteller der Welt, Heckler & Koch, sitzen haben, mag für die Wirtschaftsnation Deutschland ein starkes Asset sein – für die Friedensbewegten sieht das sicher anders aus. Mir ist die Firma im Kontext der Kinderhilfsorganisation Unicef aufgefallen, als ich an einer Aktion gegen Kinderwaffen teilnahm. H&K (wer forscht eigentlich für diese Firma?) stellt nicht nur leichte und damit gut tragbare Maschinengewehre her (die russischen Kalaschnikoff waren für Kinder einfach zu schwer zu tragen), sondern hat auch ergonomisch korrekt Handgriffe in verschiedenen Größen (auch für kleine Hände …).

Am 10.12.2012 wird der EU der Friedensnobelpreis übergeben – den gibt es, wenn man sich für eine Welt ohne Waffen einsetzt! Wie wäre es, weniger Geld für Waffen und mehr für Bildung auszugeben? Für Nobelpreisträger wie uns EU-Bürgerinnen und -Bürger eigentlich eine Selbstverständlichkeit, oder?

Nachtrag 12.12.2013: In einem vierseitigen Dossier der Wochenzeitung ZEIT unter dem Titel „Der Tod kommt aus Deutschland“ ist ein interessanter Bericht über Heckler & Koch erschienen, der erschreckende Ignoranz gegenüber politischen Vorgaben dokumentiert. [mehr]

Nachtrag 19.12.2013: In einer Pressemitteilung des DHV lese ich folgendes: „22 deutsche Hochschulen und Forschungsinstitute haben in den vergangenen Jahren nach bestätigten Berichten der ‚Süddeutschen Zeitung‘ und des NDR Förderung in Höhe von mehr als zehn Millionen Dollar aus dem Haushalt des US-Verteidigungsministeriums erhalten. Dabei sei es sowohl um Grundlagen- als auch um Rüstungsforschung gegangen. Gelder des US-Militärs seien dabei auch an Universitäten geflossen, die sich durch eine Zivilklausel zur friedlichen Forschung verpflichtet haben. So habe die Ludwig-Maximilians-Universität in München vom US-Verteidigungsministerium 2012 mehr als 470.000 Dollar erhalten, um militärische Sprengstoffe zu verbessern. Die Fraunhofer-Gesellschaft forschte dem Bericht zufolge für die US-Armee an Panzerglas und an Sprengköpfen und die Universität Marburg an Orientierungssystemen für Drohnen und ‚präzisionsgelenkte Munition‘.“

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