In meinem Urlaub habe ich den Ort besucht, an dem vor rund 100 Jahren einer der Mitbegründer der Gestaltpsychologie, Wolfgang Köhler, seine legendären Schimpansenstudien betrieben hat und bei den Primaten intelligenten Werkzeuggebrauch feststellte. Von 1911 bis 1920 unterhielt die Preußische Wissenschaftsakademie eine Anthropoiden-Forschungsstation in Puerto de la Cruz auf Teneriffa, von 1913-1920 war Köhler deren Direktor. Seine sorgfältigen Beobachtungen haben im Sinne vergleichender Anthropologie Eigenschaften intelligenten Handelns aufgezeigt, die für die Intelligenz- und Einsichtsforschung wegweisend waren und eine Alternative zu assoziationistischen und mechanistischen Modellen der damaligen Zeit darstellten (eine einminütige Zusammenstellung eines alten 16mm-Films aus dem Jahr 1914 kann man hier auf Youtube anschauen – die Musik kann man abstellen).
Durch diese Primatenstudien hat sich das Menschenbild gewandelt: Einsichtiges Handeln statt planlosem Versuchs-und-Irrtum-Verhalten ist schon beim Schimpansen festzustellen. Dadurch steigt nicht nur der Respekt gegenüber unseren Artverwandten, sondern auch die Erkenntnis über menschliches Denken und Handeln ist dadurch weiterentwickelt worden. Das berühmte Leipziger Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie betreibt heute sein Wolfgang-Köhler-Primaten-Forschungszentrum (Pongoland Leipzig) mit modernen Fragestellungen und hat sich seinen Namen ganz bewusst in Erinnerung an Wolfgang Köhler gegeben (hier ist eine ausführliche Würdigung).
Bereits 1994 hat der Wissenschaftshistoriker Helmut E. Lück im Nachrichtenblatt „Geschichte der Psychologie“ den Verfall der Primatenstation beklagt. Hier ein Link zu seinem damaligen Beitrag: Schaden weit größer als befürchtet. „Köhler-Haus“ auf Teneriffa schwer beschädigt. Der heutige Zustand der Anlage am Ortsrand der Hafenstadt Puerto de la Cruz ist ein Drama. Das „Casa Amarilla“ (das gelbe Haus) ist nur noch eine (denkmalgeschützte) Ruine auf einem großen Grundstück, auf dem vermutlich Großgrundbesitzer eine Hotelanlage mit Meeresblick bauen möchten (zum Vergrößern Bild anklicken).
Hier sieht man das große Gelände, in dessen Mitte das verfallene Hauptgebäude steht. Die Nebengebäude und Stallungen scheinen inzwischen weitgehend vernichtet. Hier Bilder (zum Vergrößern anklicken) vom Hauptgebäude von 1993 (mit Dach und noch ziemlich intakt), 2009 (ohne Dach, aber im Grünen) und 2012 (nur noch Brachlandschaft mit Lavageröll):
Eine Schande, dass man hier keine Gedenkstätte einrichtet und die letzten Bauten wohl absichtlich verfallen lässt! Das bevorstehende 100jährige Jubiläum, das die Augen der Öffemntlichkeit sicher auf diesen Platz lenken wird, wäre ja eine gute Gelegenheit zur Ehrung. Übrigens: Nicht weit (5 km) von den Resten der damaligen Anthropoidenstation hat Alexander von Humboldt 1799 das Orotava-Tal beschrieben und dabei wichtige Einsichten zur Geobotanik gewonnen. Dafür ist eine Gedenkstätte eingerichtet worden, obwohl AvH nur kurze Zeit dort verweilt hat. Wolfgang Köhler hat wesentlich länger dort gewirkt und verdient m.E. eine Würdigung vor Ort!
PS: Hier ein Youtube-Video zum Casa Amarilla, das ich leider mangels Spanisch-Kenntnissen nicht richtig verstehe: http://www.youtube.com/watch?v=1qT1zkxDXb8
PPS: Das 1921 bei Julius Springer in Berlin wiederaufgelegte Werk von Wolfgang Köhler „Intelligenzprüfungen an Menschenaffen“ ist übrigens frei downloadbar unter http://archive.org/details/intelligenzprnme00krwo.
see also (in Spanish language):
http://proyectoinsight.wordpress.com/2011/10/04/monos-en-tenerife/
http://valletaoro.com/portal/index.php/hesperides/salvador-garcia/3325-casa-amarilla
http://eldia.es/2012-03-21/SOCIEDAD/7-recuperacion-Casa-Amarilla-forma-parte-campus-atlantico.htm