Seit letztem Jahr bin ich neben meiner Expertentätigkeit für „Problem Solving“ (als Chairman der Problem Solving Expert Group in PISA 2012) auch Mitglied einer neuen Expertengruppe „Collaborative Problem Solving“ (Chairman ist dort Art Graesser aus Memphis, TS) – ein Thema, das im nächsten PISA-Lauf in drei Jahren (PISA 2015) stärker beleuchtet werden soll. Samuel Greiff wird sich an seinem neuen Wirkungsort in Luxemburg zentral damit beschäftigen. Er will dort als Motor diesen Bereich des kollaborativen Problemlösens fortentwickeln und zu neuen Höhen bringen.
Das derzeitige Framework, das den Rahmen für die zu entwickelnden Aufgaben setzt, kreuzt die vier Phasen individuellen Problemlösens (Exploring and Understanding; Representing and Formulating; Planning and Executing; Monitoring and Reflecting) mit drei sozialen Fähigkeiten (establishing and maintaining shared understanding; taking appropriate action to solve the problem; establishing and maintaining team organisation) und erzeugt dadurch eine Matrix mit 12 Zellen, zu denen entsprechende Aufgaben entwickelt werden sollen.
Die Ausdehnung auf die soziale Seite des Problemlösens hat damit zu tun, dass viele Probleme im Alltag in der Gruppe (im Team) diskutiert werden und auch Lösungsvorschläge aus der Gruppe kommen. Zu den individuellen Prozessen des Problemlösens kommen damit eben auch – wie oben erwähnt – der Aufbau einer gemeinsamen Wissensbasis, die Kommunikation von möglichen Lösungsmethoden und von Zielen sowie die Überwachung des Gruppenprozesses hinzu. Eine echte Herausforderung, zumal es noch wenig Forschung zu diesem Bereich mit komplexen Problem gibt.
In unserer Arbeitsgruppe haben wir ein paar Ideen entwickelt, wie man unsere bisherigen Paradigmen individuellen Problemlösens (MicroDYN und MicroFIN) auf den sozialen Kontext übertragen könnte – allerdings ist hier noch viel Forschung zu leisten. Insbesondere ist zu klären, ob die geplante Realisation der Art, dass ein Schüler mit einem computerbasierten Agenten auf der Basis eines restringierten Kodes kommuniziert, die Validität der Messung beeinträchtigt. Im realen Leben hat man es ja mit Menschen zu tun, mit denen man nicht nur Informationen, sondern auch Gefühle (z.B. Freude über den Fortschritt; Anfeuern schlaffer Mitarbeiter; Ärger über mangelnde Kooperation) austauscht.
Als Kooperationspartner der Uni Luxemburg, die auch die Aufgaben für den PISA-Bereich „Science“ entwickelt, werden wir (unter Federführung von Andreas Fischer, Julia Hilse und Daniel Holt sowie der tatkräftigen Mihilfe unserer Hilfskräfte) in den nächsten Monaten 5 Einheiten zu Collaborative Problem Solving für ETS entwickeln. Der ChatMapper dient dabei als eines der Werkzeuge für die Dialoggestaltung.
Hier schlummern sicher eine Reihe von Bachelor- oder Masterarbeiten, die sich einem drängenden Thema widmen könnten. Im Viereck „Kommunikation, Kognition, Emotion, und Motivation“ sind viele offene Fragen an der Schnittstelle der Problemlöseforschung zur Sozialpsychologie zu bearbeiten. Z.B. könnte man provokativ fragen, unter welchen Bedingungen kollaboratives Problemlösen zu schlechteren Ergebnissen als individuelles Problemlösen führt. Diese Erwartung kann man getrost formulieren, wenn man auf die Befunde von Stroebe & Nijstad (2004: Warum Brainstorming in Gruppen Kreativität vermindert. Psychologische Rundschau, 55(1), 2–10) schaut. Aber natürlich gibt es sicher auch Bedingungen, unter denen Kollaboration bessere Resultate liefert. Viele offene Fragen, die das Assessment vor eine Reihe von Herausforderungen stellt. Aber wie heisst es so schön: Es gibt viel zu tun – packen wir’s an!
BTW: Kollaborativ ist auch eine neue Art der (Forschungs-)Förderung namens „crowd funding“ bei KickStarter! Siehe z.B. das von mir mitunterstützte (leider nicht zustande gekommene) Projekt über Soundscapes auf Borneo http://kck.st/qJ41ij oder auch das von mir mitunterstützte (und tatsächlich realisierte) Buchprojekt http://www.kickstarter.com/projects/1851679757/shadows-and-wings – ein Beispiel dafür, dass auch mit kleinen Summen etwas bewegt werden kann!
Nachtrag 21.11.17: Gerade erschienen ist der OECD-Bericht über die Ergebnisse zum Kollaborativen Problemlösen aus PISA 2015, siehe http://www.oecd-ilibrary.org/education/pisa-2015-results-volume-v_9789264285521-en