Normalerweise bespreche ich in diesem Blog nur wissenschaftliche Fachliteratur (siehe z.B. hier). Heute, am Internationalen Tag der Demokratie, mache ich davon eine Ausnahme.
Es gibt ein Buch, das möglichst viele lesen sollten, die am Erhalt unserer Demokratie Interesse haben. Es geht um eine kurze, literarische Erzählung/Novelle von ca. 150 Seiten: „Der Wurm: Eine kleine Geschichte. Roman“ von der Heidelberger Autorin Barbara Imgrund, erschienen 2025 im Ulrike Helmer Verlag.
Hier eine spoilerfreie Zusammenfassung: Eine hochbetagte Frau namens Martha kehrt nach Jahrzehnten auf den abgelegenen Berghof ihrer Kindheit zurück. Dort zieht sie sich in die Stille zurück und verweigert das Essen – als stillen Akt des Widerstands gegen das, was sie im Tal erneut aufkeimen sieht: Den „braunen Wurm“, eine Metapher für die Rückkehr zerstörerischer, autoritärer Verführungen.
Zwischen kargen Tagen am Berg und Erinnerungsbildern an Krieg und Nachkriegszeit tastet der Text nach Schuld, Erinnerung, Sprachlosigkeit und Haltung – mit konzentrierter, präziser Sprache und starker Symbolik von Natur und Landschaft. Spannend zu lesen, einrucksvolle Landschaften (der Berg!) und kräftig gezeichnete Figuren (Martha!).
Formal ist es eine kurze, dichte Erzählung (rund 150 Seiten), die ihre Spannung aus moralischer Dringlichkeit und leiser Beharrlichkeit bezieht. Die politische Botschaft ist eindeutig – in den Worten der Autorin @barbara.imgrund.autorin auf Instagram:
„Heute ist der Tag der #Demokratie.Für mich ist das der Tag der weiten Himmel und freien Gedanken, denn ich habe das Glück, eben in einer Demokratie zu leben.
Doch dass das so bleibt, dürfen wir nicht denen überlassen, die wir in hohe Ämter gewählt haben: Wir sehen gerade, wer sich von antidemokratischen Kräften am Nasenring durch die Manege führen lässt, ohne es zu merken. Es ist ein perfides „Spiel“ dieser Kräfte: Sie nutzen es aus, dass sich alle anderen an Anstand und demokratische Spielregeln halten, pfeifen aber selbst darauf und drücken ihre Interessen mit Lügen und Gewalt durch – und so werden sie am Ende die Demokratie aushebeln.
Das heißt: wenn wir alle es zulassen, wenn wir untätig zuschauen wie das Kaninchen vor der Schlange. Aber wir sind keine Kaninchen. Wir sind aufgeklärte Menschen und vielleicht nur schon zu sehr an die Freiheit gewöhnt – wir wissen nicht mehr, dass Freiheit kein Geburtsrecht ist, sondern ein hohes Gut und Geschenk, das man hegen und hüten muss und jederzeit wieder verlieren kann.
Deshalb lautet die Parole: aufwachen! Aufstehen von der bequemen Couch! Rausgehen und bei jeder Gelegenheit sagen, wo wir stehen! Farbe bekennen beim Bäcker, im Job, beim Feierabendbier, in der Familie, auf Demos! Nicht denen das Feld überlassen, die einfach nur lauter schreien! So darf es nie wieder anfangen, weil wir wissen, wo es dann enden wird.
Demokratie beginnt hier unten an der Basis, bei uns. Und sie ist genauso viel wert, wie jeder Einzelne von uns jeden Tag für sie einzusetzen bereit ist. Ein bisschen Mühe werden wir uns also schon geben müssen, damit unser Himmel weit und blau bleibt und damit wir weiter denken und sagen dürfen, was wir meinen.
Eine meiner „Mühen“ war mein Roman „Der Wurm“, und ich hoffe so sehr, dass er dem einen oder der anderen vielleicht die Augen öffnet – dafür, dass wir alle selbst die Hand am Ruder haben und mitbestimmen dürfen (und müssen), wohin dieses Schifflein schippert.“
Ein toller Roman! Ich selbst habe in einer Amazon-Rezension geschrieben:
Ich habe ein tolles Buch gelesen. Die Autorin Barbara Imgrund, mir bekannt als Lyrikerin, Autorin (z.B. „Räuberleiter: eine Stadt sucht ein Kind.“) und Übersetzerin, hat einen neuen Roman („Eine kleine Geschichte“) verfasst, der sich mit dem Wiedererstarken von braunem Gedankengut beschäftigt.
Eine alte Frau, Martha, die den Wurm (eine Metapher für den obersten Faschisten) schon einmal erlebt hat, will so etwas nicht noch einmal erleben und zieht sich zum Sterben zurück auf den inzwischen leerstehenden Bauernhof in den Bergen, wo sie ihre schwierige Kindheit verbracht hat. Wer ist dieser Wurm? »Wieder kriecht etwas ins Tal, das Martha schon kennt: ein Schmarotzer, braun, feist, giftig, der sich in die Köpfe der Leute frisst und ihnen Herrentum einpflanzt.« – »Es ist ein Wurm, der den Leuten in den Kopf kriecht.«
Martha hat in ihrer Kindheit Schuld auf sich genommen und beschlossen, für den Rest ihres Lebens zu schweigen. Und es gibt noch ein Thema in der an Ereignissen reichen Familiengeschichte: »Der, den sie Vater nennen, tut Dinge, die kein Vater tut.« Gewalt in der Familie also. Das fulminante Ende soll hier nicht verraten werden, nur soviel sei gesagt: Macht den Mund auf und erzählt vom Krieg und vom Wurm. Eine kleine Geschichte mit einer großen Aussage: Bleibt nicht stumm! Unbedingte Lese-Empfehlung!
Dem ist nichts hinzuzufügen, außer: Die Autorin stellt sich und ihre Texte am 19.10.2025 in einer Matinee um 11:00 Uhr in der GEDOK Heidelberg vor (moderiert von der mir bestens bekannten Autorin Marlene Bach).
Keine Antworten