Kompensation: Das ist ein Wort, dass ich im Kontext meiner Erkrankung häufiger höre. Es ist einer der Lieblingsbegriffe meines evidenzbasierten Physiotherapeuten Philip Hielbig (vom HMZ Physiozentrum Mannheim, einem der Mitgründer des Kompetenznetzwerks Parkinson Rhein-Neckar+). Gemeint ist damit: Ich könnte ja ausgefallene Funktionen durch andere Tätigkeiten ersetzen, z.B. könne das, was ich früher mit der linken Hand gemacht habe, jetzt mit der rechten Hand „kompensiert“ werden. Hier zu schreiben: Die Tastatur wird durch ein Mikrofon ersetzt – klarer Fall von Kompensation!
Ein Grund über dieses Wort nachzudenken. Aber es gibt noch mehr Gründe. Die lateinische Wurzel compensare enthält natürlich für den Denkpsychologen das Wort „pensare“, das im Italienischen „Denken“ bedeutet. Auf der Wikipedia-Seite zum Stichwort Kompensation findet man mehrere Bedeutungsvarianten. Der Ausgleich von etwas Verlorenem durch etwas Anderes scheint der gemeinsame Nenner zu sein.
Aber ist der Ersatz wirklich ein Ausgleich von Verlorenem? Z.B. habe ich das linkshändige Rasieren durch die rechte Hand ersetzen müssen – aber der Effekt ist nicht derselbe … Natürlich habe ich mehr Zeit (genauer: Ich nehme mir mehr Zeit), für Tätigkeiten, die früher schnell gingen, braucht die „Schnecke“ (neuer Kosename) heute einfach länger! Ist das gemeint? Wohl nicht…
Und manches (z.B. Gleichgewicht) kann nicht kompensiert werden. Es gibt eben manchmal Unersetzbares! Oder wie esder Rheinländer in mir formuliert: Wat fott is, is fott! (Was weg ist, ist weg). Fahrradfahren geht gar nicht mehr.
Etwas Anderes: Ich neige zur Überschätzung, was ich noch machen könnte – einfach, weil ich mich an bessere Zeiten erinnere, in denen ich noch keine Einschränkungen hatte. Das Gedächtnis erinnert früher mögliche Leistungen und gibt auf dieser Grundlage eine -heute unzutreffende- Vorhersage ab. Erst wiederholtes Scheitern korrigiert die Erwartungen. Muss das sein? Aber woher sollten realistische Erwartungen kommen, wenn nicht aus Erfahrung? Und ja, ich kenne Bernd Brehmers einflussreichen Beitrag von 1980 mit dem legendären Titel In one word: Not from experience! Trotzdem halte ich an Erfahrung als Korrektiv meiner Vorstellungen fest.
Und noch etwas, was mir wichtig erscheint: eine gute Mischung aus Hilfe/Unterstützung und „Selbermachen“! Meine Frau Marlene weiss recht gut, wann ich Hilfe brauche (beim Anziehen etwa) und wann sie mich einfach machen lässt. Eine für mich optimale Mischung aus Fordern und Helfen.
Erfolg und Mißerfolg: Natürlich bin ich ehrgeizig und versuche (etwa im Physiostudio) den Rekord von letzter Woche zu brechen (12x „sit to stand“ in 30 Sekunden – die im Link angegeben Normwerte helfen bei der Einordnung der eigenen Leistung). Aber wenn es dann nur 10x gelingt, tröste ich mich mit dem Konzept des Messfehlers: Der gemessene Wert muß ja nicht der „wahre“ Wert sein.
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