Verteidigung des Menschen

Unter dem provokanten Titel „Verteidigung des Menschen“ ist ein neuer, gut 300 Seiten umfassender Sammelband meines Heidelberger Kollegen Thomas Fuchs (Inhaber der Karl-Jaspers-Professur) erschienen, über den ich hier berichten möchte. Es geht um ein vertieftes Verständnis für ein humanistisches Menschenbild, das angesichts von Fortschritten in verschiedenen Wissenschaftsgebieten (z.B. Neurowissenschaften, Informatik) durch eine mechanistische und reduktionistische/funktionalistische Sichtweise verdrängt werden könnte.

Die insgesamt 10 Texte dieses Bandes (davon 2 für diesen Band neu verfasst, 8 wiederabgedruckte Beiträge aus verschiedenen Quellen, die zwischen 2010 und 2019 publiziert wurden) sind drei großen Themenbereichen zugeordnet: (1) Künstliche Intelligenz, Transhumanismus, Virtuialität; (2) Personalität und Neurowissenschaften; (3) Psychiatrie und Gesellschaft. Es geht dabei um Themen, die mit der Digitalisierung unserer Welt zusammenhängen: Wird etwa künstliche Intelligenz irgendwann (zu einem Zeitpunkt, den manche Futurologen als „Singularität“ bezeichnen würden) die menschliche Intelligenz überholen? Werden Maschinen eines Tages Bewusstsein besitzen? Werden wir durch technische Massnahmen (z.B. durch Eingriffe in die Genetik) schließlich „bessere“ Menschen bekommen?

Die Dialektik von Körper und Geist (genauer: die Leiblichkeit geistiger Aktivitäten) stellt ein zentrales Thema dar: anstelle eines Gegensatzes (eines „entweder-oder“) geht es um die Gleichzeitigkeit beider Seiten (ganz Hegelianisch: „Das Entgegengesetzte in seiner Einheit begreifen“). Geist lässt sich nicht vom Körper trennen. Und: Zum Menschsein, zum Leben, gehört der Tod dazu – alle Versuche, durch „mind uploading“ oder „mind transfer“ eine Person unsterblich zu machen, sind zum Scheitern verurteilt, weil Bewusstsein untrennbar an den Körper gebunden ist. Bewusstsein ist verkörpertes Bewusstsein.

In Hinblick auf Demenzerkrankung schreibt er: „Was den Patienten verloren geht, ist die Reflexität, also die höherstufige Fähigkeit, sich auf das eigene Erleben oder die momewntane Situation zu beziehen und dazu aus einer übergeordneten Perspektive Stellung zu beziehen. Doch das präreflexive Selbst ist davon nicht betroffen: Die Patienten erleben durchaus ihr leibliches Hier-jetzt-Sein ebenso wie ihr Mitsein mit anderen, und zwar vor allem in emotionaler Hinsicht“ (S. 289-290). Dieser Blick setzt eine anderen Akzent in Bezug auf Demenz als den üblichen Standpunkt, wonach mit dem Verlust des Geistes (der Rationalität) das Person-Sein entschwindet. Gegen dieses dualistische Menschenbild, das den Körper nur als „Trägerapparat“ für den Geist (das Gehirn) ansieht, setzt Fuchs ein Menschenbild, das Selbstsein durch Lebendigkeit und Leiblichkeit definiert.

Alles in allem ein Gegenentwurf zu einem naturalistisch-reduktiven Menschenbild, das gerade auch in der Psychologie viele Anhänger findet. Thomas Fuchs liefert eine Alternative, über die sich nachzudenken lohnt! Also: eine klare Lese-Empfehlung!

Quelle: Fuchs, Thomas (2020). Verteidigung des Menschen. Grundfragen einer verkörperten Anthropologie. Frankfurt: Suhrkamp.

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