Vortrag von Sir Philip Campbell

Caspar David Friedrich 1820: Nebelschwaden

In Heidelberg trifft man immer wieder auf interessante Personen. Kürzlich (vor einem Monat, am 8.5.19) hat der langjährige Chefredakteur der angesehenen Zeitschrift „Nature„, Sir Philip Campbell, in der Alten Aula einen Vortrag über „Fakten, Fälschungen, Täuschungen“ gehalten. Sir Philip Campbell (Jahrgang 1941), der heutige Editor-in-Chief der wissenschaftlichen Verlagsgruppe Springer Nature, ist nämlich der erste „Springer Nature Gastprofessor“- eine Gastprofessur für Wissenschaftskommunikation, die  am Marsilius-Kolleg der Universität angesiedelt ist und eine gemeinsame Initiative des Veranstaltungs­forums der Holtzbrinck Publishing Group, der Klaus Tschira Stiftung (KTS) und der Universität Heidel­berg darstellt.

Campbells Vortrag machte deutlich, welche Verantwortung Editoren wissenschaftlicher Journale tragen: Wenn erst einmal Falschmeldungen in der Welt sind, ist es schwer die Dinge wieder zurechtzurücken. Als ein Beispiel dafür nannte er die 1998 in der medizinischen Fachzeitschrift „Lancet“ erschienene Abhandlung von Andrew Wakefield und Kollegen (Lancet 1998; 351[9103]: 637–641), in der eine Schutzimpfung vor Masern, Mumps und Röteln (MMR) in Verbindung mit Autismus gebracht wurde  Erst 12 Jahre später (sic!) wurde diese Arbeit zurückgezogen, die auf einer sehr kleinen Stichprobe (nur 12 Kinder wurden untersucht) beruhte, aber viele tausende Eltern in Angst und Schrecken versetzte, ihre Kinder impfen zu lassen. Diese Studie wird auch heute immer noch von Impfgegnern angeführt…

Ein anderes Beispiel für Misinformation betrifft den Klimawandel (der bessere Begriff wäre wohl „Klima-Katastrophe“). Gerade in den USA gibt es viele Klimawandel-Skeptiker, die die wissenschaftliche Evidenz ignorieren und sich auf einige wenige Arbeiten beziehen, in denen Zweifel artikuliert wird. Auf den Webseiten RealClimate.org und ClimateCentral.org, so Campbell, fände sich genug Material von seriöser Forschung, um die Öffentlichkeit angemessen zu informieren. Medienzentren wie z.B. das „Science Media Center Germany“ können helfen, Vorurteile abzubauen (siehe dazu den Artikel in Nature Climate Change 2019 von Farell et al.: Evidence-based strategies to combat scientific misinformation).

Um die Qualität von Forschung sicherzustellen, braucht es gute Führungsqualitäten bei den Gruppenleitungen. Sein Rat: das „Klima“ in den Forschungseinrichtungen (hier mehr Details) abfragen, Mentoren ausbilden, die „Gesundheit“ von Forschungsgruppen sicherstellen (siehe das Nature Special Issue vom Mai 2018: „How to grow a healthy lab„). Vielleicht sollten wir mal verschiedene Forschungsgruppen an unserer Universität anfragen, ob sie zu einer Untersuchung ihres Forschungsklimas bereit wären.

Campbells Quintessenz: Mutter Natur wird uns ihre Geheimnisse enthüllen, wenn wir nur die richtigen Fragen stellen! Eine gehörige Portion Skeptizismus gehört dazu, um nicht auf falsche Antworten hereinzufallen. Wissenschaft soll dem Wohl der Menschen dienen, aber weil Wissenschaftler auch nur Menschen sind, gibt es auch hier ein paar schwarze Schafe, die man auch als solche etikettieren sollte („fake“). Dass Fehler („fallacies“) gemacht werden, ist auch in der Wissenschaft typisch – dass man ihn entdecken können muss, ist notwendige Forderung. Daher kommt der Ruf nach „Open Science“ und der damit verbundenen Transparenz und Nachvollziehbarkeit, wie sie etwa weltweit von der „Open Science Foundation“ propagiert wird.

Alles in allem: ein anregender Vortrag, der Stoff zum Nachdenken bot. Manchmal ist das Stellen guter Fragen wichtiger als das Finden „richtiger“ Antworten…

PS: Was es mit dem Bild von Caspar David Friedrich von 1820 „Nebelschwaden“ auf sich hat? „Art and science go hand in hand“, sagte Sir Campbell und äußerte sich begeistert über eine Ausstellung des Kurpfälzischen Museums unter dem Titel „Unwirklichkeiten„, wo er dieses Bild gesehen hatte… Und zum Abschied empfahl er den Zuhörenden in der Alten Aula die um 1910 entstandene Komposition von Claude Debussy „Des pas sur la neige“ (Footsteps in the snow), hier in der Version von Arturo Benedetti Michelangeli.

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