In der Tat geht aus dem letzten, nun bereits fünf Jahre zurückliegenden Bericht des Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg GmbH (ifeu) hervor, dass die bislang angedachten Maßnahmen nicht ausreichen werden, die selbstgesteckten Klimaziele der Stadt und das im Pariser Klimaabkommen beschlossene 1,5°-Ziel zu erreichen. Dies ist nicht nur mit der Verantwortung für die Lebensgrundlagen kommender Generationen unvereinbar, sondern kann angesichts der Vorbildrolle Heidelbergs als ebenso engagierter wie wohlhabender Standort leicht zu negativen “Nachahmereffekten” bei Kommunen führen, deren politischer Wille zum Klimahandeln weniger ausgeprägt und/oder deren wirtschaftliche Basis weniger günstig ist.
Die von Fridays for Future Heidelberg geforderten Veränderungen setzen in weiten Teilen Konzepte fort, die die Stadt Heidelberg bereits etabliert hat. Es handelt sich zweifellos um Schritte in die richtige Richtung. In welchem Umfang sie zum Ziel des “Masterplan 100% Klimaschutz” beitragen, wird das ifeu in seiner nächsten Evaluation zu bewerten haben. Auch wird wissenschaftlich und zivilgesellschaftlich zu diskutieren sein, ob es ausreicht, die angestrebte Netto-Reduktion der CO2-Emission bis 2050 zu realisieren, oder ob sie nicht – wie von Fridays for Future Deutschland gefordert – bereits 2035 realisiert werden muss.
HCE-Direktorium:
– Prof. Dr. Thomas Meier (Direktor)
– Prof. Dr. Marcus Koch (stellv. Direktor)
HCE-Geschäftsstelle
– Dr. Sanam Vardag (Geschäftsführerin)
Mitglieder des HCE (alphabetisch)
– Dr. Nicole Aeschbach
– Prof. Dr. Werner Aeschbach
– Prof. Dr. Thomas Braunbeck
– Prof. Dr. Olaf Bubenzer
– Prof. Dr. André Butz
– Prof. Dr. Norbert Frank
– Prof. Dr. Joachim Funke
– Prof. Dr. Sabine Gabrysch
– Prof. Dr. Ulrike Gerhard
– Prof. Dr. Annette Hornbacher
– Prof. Dr. Margot Isenbeck-Schröter
– Prof. Dr. Albrecht Jahn
– PD Dr. Thomas Jänisch
– Prof. Dr. Frank Keppler
– PD Dr. Thomas Kirchhoff
– Dr. Sven Lautenbach
– Dr. Helmut Lehn
– PD Dr. Alexandra Michel
– PD Dr. Daniel Münster
– Prof. Dr. Marcus Nüsser
– Prof. Dr. Klaus Pfeilsticker
– Prof. Dr. Ulrich Platt
– Prof. Dr. Mario Schmidt
– Prof. Dr. Alexander Siegmund
– Prof. Dr. Jale Tosun
– Dr. Carsten Wergin
– Prof. Dr. Alexander Zipf
(Stand: 10.5.19, 21:00)
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Persönliche Nachbemerkung:
Die Stellungnahme ist auf Bitten von „Fridays for Future Heidelberg“ (F4F-HD) entstanden, die zunächst an das Institut für Umweltphysik (IUP) geschrieben haben: „Wir bitten Sie, die Forderungen [von F4F, J.F.] genau durchzulesen und eine Stellungnahme dazu abzugeben, um Verantwortung als WissenschaftlerInnen zu übernehmen und somit weiterhin Druck auf die Politik auszuüben.“ Diese Anfrage wurde von einem IUP-Mitglied an das HCE weitergeleitet. Der HCE-Direktor hat daraufhin den Entwurf einer Stellungnahme an alle Mitglieder versandt mit erläuternden Hinweisen derart, dass sich das HCE im Einklang mit dem Zukunftskonzept des HCE wie auch mit der Exzellenzstrategie der Universität, die beide eine deutliche Steigerung des gesellschaftlichen Engagements einfordern, mit einer engagierten Stellungnahme einbringen sollte.
In kurzer Zeit (24 Stunden) ist eine lebendige Diskussion darüber entstanden, inwiefern wir Wissenschaftler uns hinter die Forderungen der F4F stellen sollten und dürfen, ob wir uns nicht besser um noch exzellentere Forschung bemühen sollten, ob einzelne Formulierungen nicht doch zu stark ideologisch geprägt seien, usw. Toll! So einen Austausch habe ich schon lange nicht mehr erlebt!
Die Debatte zeigt deutlich: Die Sphäre „Wissenschaft“ und die Sphäre „Politik“ sind nicht einfach zusammenzuführen in der Stadt von Max Weber, der vor über 100 Jahren (z.B. in seiner Schrift „Die ‚Objektivität‘ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis“ von 1904) die klare Trennung von Werturteilen und Sachaussagen gefordert hatte (siehe den Wikipedia-Eintrag) – eine Position, die spätestens durch das Jürgen Habermas’sche Konzept eines wissenschaftlichen „Erkentnisinteresses“ in Frage gestellt wird (auch er übrigens ein Heidelberger Abkömmling – von Hans-Georg Gadamer).
Der Direktor des HCE hat im konkreten Fall auf ihren Entwurf hin vier Arten von Reaktionen bekommen: (a) grundsätzliche Zustimmung; (b) bedingte Zustimmung mit konkreten (abschwächenden) Änderungswünschen; (c) Zustimmung mit (erweiternden) Änderungswünschen in Hinblick auf Überlegungen, was die Uni selber zur CO2-Reduktion beitragen kann; (d) grundsätzliche Ablehnung. Die volle Palette an Antwortmustern also, ein echtes Dilemma! Aber bei sovielen Beteiligten vielleicht kein Wunder? Umso besser, dass ein Kompromiss gefunden werden konnte.
Der Wissenschaftsrat hat vor einigen Jahren angemerkt, dass sich die (vom Steuerzahler alimentierte) Wissenschaft auch um die „Großen Gesellschaftlichen Herausforderungen“ (siehe meinen damaligen Blog-Beitrag) kümmern solle – das tun wir damit erkennbar und mischen uns ein, indem wir Fakten und Informationen liefern und sie zudem aus fachlicher Perspektive einordnen und bewerten helfen.
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Hier eine Auswahl der (anonymisierten) Stellungnahmen im Rahmen der internen Email-Debatte:
—— Kritische Stimmen ——
Ich halte die pauschale Formulierung des HCE „Das HCE stellt sich mit Überzeugung hinter die Forderungen der Fridays for Future Bewegung“ für sehr fragwürdig und populistisch. Aus meiner Sicht schädigt eine solche Aussage das Ansehen der Uni HD.
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Ähnlich wie den Herrn XXX und YYY gefällt mir die HCE-Verlautbarung eigentlich gar nicht. Vielleicht sehe ich die Rolle des HCE ja falsch. Ich war davon ausgegangen, dass auch für das HCE die exzellente Wissenschaft im Vordergrund stehen würde und nicht politischer Aktionismus. Auch wenn die Stadt Heidelberg gerne unser schnelles Statement haben möchte, sollten wir uns vor Schnellschüssen hüten. Dazu ist die Thematik doch viel zu komplex.
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Schön, dass Sie ihrer „politischen Verantwortung“ nachkommen wollen. Aber bitte nicht für das ganze HCE. Als HCE-Mitglied fühle ich bei dem einen oder anderen Statement dann doch unwohl. Nur z.B. „Null-Emissionen-Ziel“ — ich vermute damit ist die CO2 Emission gemeint (wenn etwas anderes gemeint sein sollte, ist der Text völlig unklar, wnn tatsächlich CO2 gemeint ist, ist der Text zumindest nicht klar). Ich bin, wie wir alle, Aerobier und muss atmen! Dabei entsteht nun einmal CO2. Einfach so und ohne bösen Willen. Das HCE sollte meiner Meinung nach hier kein Statement abgeben, zumal jedem eine andere Passage nicht gefallen wird …
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Ich verstehe die Motivation hinter der Stellungnahme und teile sie in vielerlei Hinsicht auch. Gleichzeitig möchte ich dafür plädieren, dass sich das HCE auf seine Kernaufgabe beschränkt: Hervorragende Grundlagenforschung zu den großen Umweltthemen unserer Zeit zu betreiben. Dies ist das vereinende Element im HCE, sein Fundament und die Motivation für Institute und Personen, Mitglieder zu werden – und zu bleiben. Nichts schränkt die Mitglieder ein, sich umweltpolitisch zu äußern und zu engagieren. Ich hoffe, dass viele dies auch tun. Nicht hilfreich finde ich allerdings eine Vermengung der Sphären von Wissenschaft und Politik in einer Plattform wie der unseren.
—– ein Demokratie-theoretischer Zwischenruf —
vielen Dank für die zahlreichen und engagierten Beiträge und die Initiative. Obwohl ich sehr viele der inhaltlichen Positionen des Textes persönlich teile, möchte ich Folgendes zu bedenken geben:
1. Bei nüchterner Betrachtung der HCE-Satzung geht die eine Stellungnahme der geplanten Art über die Kernfunktionen des HCE hinaus (Position XXX). In vergleichbaren Fällen, i.e. als es um die Mitgliedschaft in inhaltlich positionierten Standesvereinigungen ging, hat sich der HCE-Vorstand gegen die Mitgliedschaft gewandt, weil damit eine politische Positionierung des HCE als Institution verbunden gewesen wäre.
2. Mir ist nicht bekannt, ob das HCE-Direktorium oder der Vorstand mit Mehrheit über einen oder mehrere der vorgeschlagenen Textentwürfe gesprochen oder abgestimmt haben. Entsprechende „Mehrheiten“ kenne ich also nicht.
3. Ich hege gewisse Zweifel an der Zulässigkeit und Sinnhaftigkeit von Mitgliederbefragungen mit wechselnder Abstimmungs-, d.h. Textvorlage. Aus meiner Sicht ist es zudem sehr problematisch in einer laufenden Abstimmung ohne vorher bestimmtes Verfahren eine „Mehrheit festzulegen, oder erkennen zu glauben“, ohne das die Abstimmenden oder Repräsentierten vorher diese „Mehrheitsschwellen“ kannten.
Damit zumindest einige Grundlinien der HCE-Satzung, z.B. zwischen den Mitgliederversammlungen führen Vorstand und Direktorium die Geschäfte, der Satzung gewahrt bleiben, müsste m.E. zumindest eine Mehrheit, aus meiner Sicht sogar eine 2/3 oder 3/4-Mehrheit der beteiligten Institutsvertreter im HCE-Vorstand einer wie auch immer gearteten Stellungnahme, welche jenseits der in der Satzung festgelegten Zwecke liegt, zustimmen.
Demokratietheoretisch erweist sich: Nur wenn diejenigen, die sich in dem dann abgestimmten Text nicht wiederfinden, darauf hoffen können, dass die Mehrheit der konstituierenden Institute sich an Verfahrensregeln hält, werden sie sich bereitfinden, „überstimmt“ worden zu sein und der Institution weiter zu vertrauen. Sehen Sie mir bitte nach, wenn ich als Politikwissenschaftler nach einigen problematischen „Volksbefragungen“ auf einige Errungenschaften der „repräsentativen Demokratie“ verweise.—— Positive Stimmen ——
Ich denke es steht gerade uns als Wissenschaftler und damit breit aufgestelltem Experten-Team des HCE sehr gut zu Gesicht, so der oft geforderten „Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung“ gerecht zu werden – ich denke gerade bei einem solch offensichtlich evidenten Thema. Wer, wenn nicht gerade wir sollten so „Fake News“-basierter Ideologisierung etwas fachlich-sachlich basiertes entgegen stellen und dazu auch in der Öffentlichkeit zu stehen, das schafft „Standing“ und gibt der Wissenschaft auch „Gesicht“.
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Im Einklang mit dem Zukunftskonzept des HCE wie mit der Exzellenzstrategie der Universität, die beide eine deutliche Steigerung des gesellschaftlichen Engagements einfordern, sollte sich das HCE hier zweifellos mit einer engagierten Stellungnahme einbringen. Nicht zuletzt demonstrieren wir so auch unser Gewicht in der Klimaforschung. Wir kommen damit unserer gesamtgesellschaftlichen und damit eben politischen Verantwortung nach, wenn es um Entwicklungen von im wahrsten Sinn existenzieller Bedeutung für unsere Gesellschaften geht. Dabei kann und soll es in keiner Weiese um parteipolitische Positionierungen gehen, und auch die Fridays for Future-Bewegung ist ja betont unparteilich.
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ich fände es sehr schade wenn wir zu diesem Thema keine „gemeinsame HCE-Antwort“ finden können und finde die Initiative von ZZZ schlicht hervorragend, gerne auch mit den kleinen Verbesserungsvorschlägen.—
zunächst auch von mir Dank für die Initiative! Ich bin der Meinung, dass das HCE als „Institution“ auftreten sollte und unterstütze (…) die Stellungnahme in der Version von Herrn BBB. Da wir alle überwiegend der (Grundlagen-)Forschung verpflichtet sind, würde ich im Statement noch ergänzen, dass „…das HCE-Mitglieder bereits heute disziplinär und interdisziplinär daran forschen, wie die Klimaschutzziele erreicht werden können und dass diese HCE-Aktivitäten zukunftig noch verstärkt werden…“
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Vielen Dank für diese mutige Initiative und die Chance, Gedanken zur Diskussion beitragen zu dürfen! Meine Grundhaltung: In Anbetracht der immensen Herausforderungen durch die Folgen der anthropogenen Klimaveränderung halte ich ein entschlossenes Statement des HCE für angezeigt.
Zur Rolle der Wissenschaft in der Gesellschaft: [Den] Hinweis auf die Problematik der Vermengung der Sphären von Wissenschaft und Politik finde ich sehr gewichtig und ich plädiere dafür, diese Rollenabklärung stets im Blick zu behalten. Für mich klar überschritten wäre die Grenze zwischen Wissenschaft und Politik, wenn wir als HCE ein Papier mit „Forderungen“ an die Politik oder andere Akteure richten würden.
Bei dem vorliegenden Dokument handelt es sich allerdings laut Überschrift um eine „Stellungnahme“. Meines Erachtens ist dies eine Textgattung, die grundsätzlich sehr wohl zur Rolle einer wissenschaftlichen Institution passt. Aus dem „Leitfaden der Politik- und Gesellschaftsberatung der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina“ (S. 5): „Hauptaufgabe der Politik- und Gesellschaftsberatung der Leopoldina ist die Erarbeitung und Veröffentlichung von Stellungnahmen. Eine Stellungnahme ist eine Veröffentlichung zu einem gesellschaftlich bedeutenden Thema, das den aktuellen Stand der Wissenschaft verständlich darstellt und auf dieser Grundlage mögliche Handlungsoptionen und Empfehlungen für Politik und Gesellschaft formuliert. Eine Stellungnahme wird von anerkannten Expertinnen und Experten in einer Arbeitsgruppe erarbeitet und ist das Ergebnis eines komplexen Diskussions-, Arbeitsgruppen- und Begutachtungs-Prozesses. Sie richtet sich an Politik, Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft.“
https://www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublication/2014_Leopoldina_Leitfaden_Politikberatung_02.pdfEs existiert bereits eine Stellungnahme von Seiten der Wissenschaft zu FFF:
Die Initiative „Scientists4Future“ hat bereits im Rahmen von partizipativen Prozessen eine Stellungnahme zur Bewegung „Fridays for Future“ verfasst (vgl. E-Mail von ZZZ). Etliche HCE-Mitglieder haben unterzeichnet:
deutschsprachige Community: https://www.scientists4future.org/stellungnahme/
internationale Community: https://science.sciencemag.org/content/364/6436/139.2
Gestützt sind diese Texte auf den aktuellen Stand der Wissenschaft zum Klimawandel (u. a. https://www.de-ipcc.de/media/content/SR1.5-SPM_de_barrierefrei.pdf). Die Aussagen in den Statements sind klar und fundiert.
Ich rege an, im Rahmen einer Stellungnahme des HCE zur Notwendigkeit von ambitionierten lokalen Klimaschutzaktivitäten in Heidelberg das Scientists4Future-Statement zu unterstreichen und unsere Rolle als HCE zu erläutern. Hier ein möglicher Textbaustein:Das HCE schließt sich den Stellungnahmen von „Scientists4Future“ an und unterstreicht damit die Forderungen der „Fridays for Future“-Bewegung. Um die international vereinbarten Klimaziele zu erreichen, müssen auf kommunaler Ebene entscheidende Weichenstellungen vorgenommen werden. Im Zentrum steht die rasche Absenkung der Emissionen von CO2 und anderen Treibhausgasen auf Netto-Null. Die derzeitigen Maßnahmen reichen bei weitem nicht aus. In der Wissensstadt Heidelberg kommt sowohl den städtischen als auch den universitären Akteuren eine besondere Verantwortung und Vorbildfunktion zu. Mit laufenden und zukünftigen Projekten unterstützen wir als HCE Entscheidungsträger dabei, konkrete und wirkungsvolle Klimaschutzmaßnahmen zu erarbeiten. Sowohl unsere Grundlagenforschung, als auch unsere transdisziplinären Forschungsvorhaben gemeinsam mit Stakeholdern aus Politik, Verwaltung, Unternehmen und der Zivilgesellschaft bilden eine zuverlässige Basis für fundiertes Klimahandeln.
Überaus sinnvoll finde ich, sich als HCE / Universität / Uniklinikum endlich selbst dem Thema institutioneller Fußabdruck anzunehmen. Das ist kein Aktionismus! Hier ein Beispiel, zu dem ich gerne auch eigene Einblicke als dort immer noch aktive Auftragnehmerin (Bereich nachhaltige Mobilität) teilen kann: https://www.ethz.ch/de/die-eth-zuerich/nachhaltigkeit.html
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auch ich habe diese engagierte HCE-Debatte mit Spannung aber auch mit manchem Staunen verfolgt und schließe mich nun dieser fortgeschrittenen Fassung mit namentlichen Unterschriften an. Es erscheint in meinen Augen das Mindeste, was wir tun können. Viele andere Schritte sollten individuell aber auch gemeinsam folgen.