Der nunmehr dritte Band unserer Online-Buchreihe „Heidelberger Jahrbücher“ in der Tradition der Heidelberger Romantiker von 1807 ist gerade bei „Heidelberg University Publishing“ als „open access“ erschienen. Nachdem wir – Michael Wink und ich – uns in den ersten beiden Bänden den Themen „Stabilität im Wandel“ (2016) und „Wissenschaft für alle: Citizen Science“ (2017) gewidmet hatten, geht es nunmehr um „Perspektiven der Mobilität“ (2018). Wir wollten eine etwas breitere Sicht auf das Thema als nur die typische Perspektive von Verkehrsmobilität. Tatsächlich sind eine Reihe von Autorinnen und Autoren unserer Bitte gefolgt, einen Beitrag zu diesem Thema zu liefern.
Die acht Beiträge des Bandes behandeln aus der Sicht verschiedener Disziplinen unserer Voll-Universität allesamt das Thema Mobilität:
- Joachim Funke (Psychologie): Mobilität als Bewegung im physischen, sozialen und geistigen Raum. (Link) – Funke beschäftigt sich aus Sicht eines Psychologen mit Mobilität. Seine Unterscheidung von physischer, sozialer und geistiger Mobilität soll die Breite des hinter diesem Begriff stehenden Verständnisses verdeutlichen. Er argumentiert dafür, Mobilität nicht auf die verkehrsbezogene Interpretation zu beschränken. Auch die „Mobilität im Geiste“ ist seiner Meinung nach von großer Bedeutung.
- Claudia Erbar & Peter Leins (Biologie): Wie mobil sind Pflanzen? (Link) – Erbar und Leins zeigen in ihrem Beitrag die höchst vielfältigen Mechanismen, mit deren Hilfe Pflanzen sich auszubreiten wissen. Die Anpassungen von Samen, Früchten und Fruchtständen an die sie transportierenden Medien sind spektakulär und reichen von Kleb- und Klettverschlüssen zur Anheftung als blinde Passagiere über Flug-, Schwimm- und Schleudertechniken bis hin zur Wanderung über den Darm von Tieren.
- Dieter Schulz (Anglistik): Wandern und Methode: Thoreaus Essay „Walking“ (1862) im Lichte Gadamers. (Link) – Schulz beleuchtet als Philosoph eine ganz andere Seite der Mobilität, nämlich das Verhältnis von Denken und Gehen. Frei nach Thomas Bernhards Diktum „Die Wissenschaft des Gehens und die Wissenschaft des Denkens sind im Grunde genommen eine einzige Wissenschaft“ wird unter Bezugnahme auf Henry David Thoreaus Essay „Walking“ von 1846 und Hans-Georg Gadamers Werk „Wahrheit und Methode“ von 1960 der Zusammenhang zwischen Bewegung und Erkenntnis herausgearbeitet.
- Johannes Stauder (Soziologie): (Why) have women left East Germany more frequently than men? (Link) – Stauder illustriert in seinem Beitrag die soziologische Perspektive der Mobilität anhand von Untersuchungen zur Migration von Ost- nach Westdeutschland nach der Wiedervereinigung im Jahr 1990. Seine differenzierte Analyse, die auf Daten des Sozioökonomischen Panels beruht, macht die größere Bedeutung von bildungsbezogenen (im Vergleich zum berufsbezogenen) Migrationsmotiven deutlich. Bildung ist ein möglicherweise unterschätzter „Attraktivitätsfaktor“ im Rahmen innerdeutscher Migrationsbewegungen.
- Volker Storch (Biologie): „Biologische Invasionen“ – Neophyten, Neozoen, Krankheitserreger. (Link) – Storch macht in seinem Beitrag das Thema der „Invasionsbiologie“ deutlich: sowohl Haustiere wie auch Nutzpflanzen wurden importiert, manchmal allerdings mit Kollateralschäden. Organismen, die durch den Menschen aus ihrem ursprünglichen Verbreitungsgebiet in andere Regionen und Kontinente verschleppt wurden, werden als Neobiota bezeichnet; gemeint ist dabei die Ansiedlung bestimmter Arten, insbesondere Neophyten (Pflanzen) und Neozoen (Tiere), in Gebieten, in denen sie vormals nicht heimisch waren.
- Michael Wink (Biologie): Biodiversity on oceanic islands – evolutionary records of past migration events. (Link) – Wink geht der Frage nach, wie Inseln vulkanischen Ursprungs zu ihrer Fauna und Flora gekommen sind. Am Beispiel der makaronesischen Inseln (Azoren, Madeira, Kapverden, Kanaren) zeigt er auf, wie durch genetische Analysen die Ausbreitung verschiedener Spezies nachverfolgt werden kann. Insbesondere Vögel erweisen sich hier als dankbare Studienobjekte. Darwin hätte nicht zu den Galapagos-Inseln aufbrechen müssen, sondern schon in näherer Entfernung herrliches Anschauungsmaterial für seine Theorie gefunden.
- Christoph Cremer (Physik): Mobilität und Dynamik im Zellkern. (Link) – Cremer stellt die Mobilität des menschlichen Zellkern-Genoms in den Mittelpunkt seiner Betrachtung. Dachte man in der Vergangenheit, dass der Zellkern wie ein Sack unsere DNA, RNA und Proteine fest umschlossen hält, weiss man heute dank moderner mikroskopischer Verfahren, dass das Genom vielfältigen dynamischen Veränderungen unterliegt. Das Gebiet der Epigenetik beschreibt diese Dynamik des in den Zellkernen lokalisierten Genoms. Sein Beitrag eröffnet einen Blick auf das Gebiet der „4D Nucleome“, dass die Prinzipien der dreidimensionen Organisation des Zellkerns um die Dimension Zeit erweitert.
- Katja Mombaur, Davide Corradi, Khai-Long Ho-Hoang & Alexander Schubert (Technische Informatik): Assistenzroboter für eine Steigerung der Mobilität im Alter. (Link) – Die Autoren beschäftigen sich mit der Mobilität älterer Menschen. Sie gehen der Frage nach, wie durch intelligente Assistenzsysteme (z.B. Exoskelette und Mobilitätsassistenzroboter) eine eventuell eingeschränkte Mobilität wiederhergestellt oder zumindest verbessert werden kann. In einer alternden Gesellschaft ist dies sicher ein wichtiges Thema und beleuchtet das Mobilitätsthema unter sehr anwendungsnahen Blicken.
Wir als Herausgeber sind sehr zufrieden mit der bunten Mischung an Beiträgen, die zusammengekommen sind. Wir wünschen den Beiträgen wohlwollende Rezeption und angemessene Verbreitung! Wir danken der „Gesellschaft der Freunde Universität Heidelberg“ für die wie immer wertvolle Unterstützung des Jahrbuchs. Aber auch der Universitätsbibliothek, insbesondere Maria Effinger und ihrem Team, ist herzlich zu danken. Last but not least: wo wären wir ohne unsere tolle Redaktionsassistentin Julia Karl, die den LaTeX-Satz ebenso beherrscht wie die erfolgreiche Kommunikation mit unseren Autorinnen und Autoren!
Quelle: Funke, J. & Wink, M. (Hrsg.) (2018). Perspektiven der Mobilität. Heidelberg: Heidelberg University Publishing (=Heidelberger Jahrbücher Online, Band 3).