Interview „Wie entsteht Kreativität?“

Vor kurzem erschien in „jetzt„, einem Partner der „Süddeutschen Zeitung„, ein Interview mit mir zum Thema Kreativität (hier: https://www.jetzt.de/job/wie-kreativitaet-entsteht). Da vermutlich nicht alle meine Leserinnen und Leser dort hineinschauen, hier noch mal der Text auf meinen eigenen Seiten:

Wie entsteht Kreativität?

Kann ich sie erlernen oder ist sie eine reine Talentsache? Fragen an einen Psychologieprofessor. Interview von Johanna Bouchannafa:

Während der eine sich seit der Grundschule die wildesten Geschichten ausdenkt, spielt der nächste lieber Spiele mit eindeutigen, festen Regeln. Als Erwachsene blüht die eine in einem kreativen Berufsfeld komplett auf, während die andere sich lieber an feste Strukturen hält. Ist Kreativität Zufall? Ein Talent, das man eben hat oder nicht? Oder kann man Kreativität erlernen?

Das haben wir Joachim Funke gefragt. Er ist Professor für Psychologie an der Universität Heidelberg und befasst sich unter anderem mit psychologischer Kreativitätsforschung.

jetzt: Jeder versteht unter Kreativität etwas anderes. Gibt es eine eindeutige Definition?

Joachim Funke: Kreativität bedeutet das Hervorbringen eines neuen, individuell oder gesellschaftlich nützlichen Produkts. Ein Produkt, das nicht durch Routineverfahren erzeugt werden kann. In der Psychologie unterscheiden wir die „kreative Person“, zum Beispiel einen Schriftsteller oder eine Wissenschaftlerin, den „kreativen Prozess“, zum Beispiel das Schreiben, Komponieren, Experimentieren, „das kreative Produkt“, zum Beispiel ein Roman oder eine Erfindung, sowie die „kreative Umgebung“, etwa unter der Dusche.

jetzt: Was ist der Ursprung der Kreativität? Woher kommt sie?

JF: Kreativität ist ein Erfolgsgeheimnis der Evolution: Schaffe zufällige Mutationen und schaue, was sich bewährt. Früher hielt man kreative Ideen für göttliche Eingebungen. Heute sind wir eher davon überzeugt, dass hinter kreativen Erfolgen harte Arbeit steckt. Thomas Edison, der Erfinder der Glühbirne, hat monatelang nach einer brauchbaren Legierung seines Glühfadens gesucht. Da gehörte viel Willenskraft dazu.

jetzt: Sind Kreativität und Durchhaltevermögen also praktisch dasselbe?

JF: Nein, Kreativität darf man nicht mit Durchhaltevermögen gleichsetzen. Aber natürlich ist es hilfreich, nicht gleich beim ersten Scheitern eine gute Idee aufzugeben. Der amerikanische Forscher Robert Sternberg unterscheidet drei Formen von Intelligenz für den Lebenserfolg. Erstens: kreative Intelligenz, um die wirklich wichtigen Probleme im Leben aufzuspüren. Zweitens: analytische Intelligenz, um diese Probleme zu lösen. Und drittens: praktische Intelligenz, um die gefundenen Problemlösungen auch im eigenen Leben anzuwenden und im sozialen Kontext durchzusetzen. Das Durchhaltevermögen ist Teil der praktischen Fähigkeiten. Die kreative Intelligenz ist davon unabhängig.

jetzt: Was macht einen kreativen Menschen aus?

JF: Wichtige Merkmale einer kreativen Persönlichkeit sind Neugier und Offenheit, aber auch Nonkonformismus und die Bereitschaft, Unsicherheit zu ertragen. Ein Mindestmaß an Intelligenz und Wissen gehört dazu. Willenskraft und Ausdauer sind ebenfalls bedeutsam.

jetzt: Warum ist Kreativität so wichtig für uns und unsere Gesellschaft?

JF: Jeder Mensch trägt kreative Potenziale in sich, die allerdings meist nicht entwickelt und gefördert werden. Die Zukunft unseres Planeten hängt nicht zuletzt davon ab, wie einfallsreich unsere Problemlösungen für die großen gesellschaftlichen Herausforderungen ausfallen.

jetzt: Nicht jeder Mensch ist gleich kreativ. Welche Arten von Kreativität gibt es?

JF: Die sogenannte „große“ Kreativität bezieht sich auf weltbewegende Erfindungen oder Kunstwerke, die weite Teile der Menschheit betreffen. „Kleine“ Kreativität zeigt sich im Alltag, wenn der Reißverschluss klemmt und ich mit einer Büroklammer ein Problem lösen kann. Zum anderen nach inhaltlichen Bereichen: Kreativität in der Wissenschaft sieht anders aus als die in der Kunst.

jetzt: Während in den USA Kunst und kreatives Schreiben ähnlich praktisch wie ein Handwerk unterrichtet werden, hält sich Deutschland eher die Vorstellung, dass man entweder talentiert und kreativ ist oder eben nicht. Welche Herangehensweise stimmt denn nun?

JF: In unserer heutigen Forschung gehen wir davon aus, dass jeder Mensch kreative Potentiale in sich trägt, die allerdings meist nicht entwickelt und gefördert werden. Mit einer handwerklichen Ausbildung kommt man sicher schon ein gutes Stück voran. Denn wirklich große Kreativität besteht in einer Kombination aus guten handwerklichen Fähigkeiten in Verbindung mit einer entsprechenden Persönlichkeit und einer kreativitätsförderlichen Umwelt.

jetzt: Gibt es eine Möglichkeit meine eigene Kreativität zu entwickeln, auch wenn ich schon erwachsen bin und mich nicht besonders kreativ fühle?

JF: Kreativität ist eine Lebenshaltung, die ich auch im Erwachsenenalter einnehmen kann, wenn ich es will! Mit einer weltoffenen Neugier macht man den ersten Schritt, mit dem mutigen Hervorbringen eines Textes, eines Kunstwerks, einer Gestaltung kommt dann der zweite Schritt. Man muss sich nur trauen und darf sich durch unberechtigte Kritik nicht kleinkriegen lassen. Wichtig ist auch, dass der Antrieb von innen kommt – wenn man Anreize von außen vorgibt, wenn es „anerzogen“ werden soll, funktioniert das meist nicht.

jetzt: Kann man im Laufe des Lebens kreativer werden oder Kreativität auch wieder „verlieren“?

JF: Kreativität ist keine konstante Eigenschaft, sondern hat Hochs und Tiefs. Im Bereich der Naturwissenschaften ist der Altersbereich zwischen 30 und 40 Jahren maximal kreativ, in der Kunst verschiebt sich dieser Spitzenpunkt wesentlich nach hinten. Bei Schriftstellern, Komponisten, Malern gibt es beeindruckende Alternswerke, die in den Naturwissenschaften nicht bekannt sind.

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