Komplexität, Problemlösen und Kognitive Psychologie

Wieder einmal ist über ein neues Buch zu berichten: unser Essener Kollege David Tobinski hat bei Springer ein neues Werk unter dem Titel Kognitive Psychologie. Problemlösen, Komplexität und Gedächtnis veröffentlicht, das deutlichen Bezug zu meinen Problemlöse-Vorstellungen aufweist und (nicht nur deswegen) eine gründlichere Analyse verdient.

Es handelt sich um die überarbeitete Fassung seiner Dissertation, in der er sich einem vertieften Verständnis von Komplexität widmet. Dazu zieht er den Bereich des komplexen Problemlösens heran. Um die Schnittstelle zwischen Individuum und Umwelt besser zu verstehen, wird das Konstrukt „Gedächtnis“ näher betrachtet und in einer kognitiven Architektur eingeordnet. Das Modell eines Arbeitsgedächtnisses nach Alan Baddeley wird hierzu erweitert. Die beteiligten Komponenten im Tobinski-Modell sind der episodische Buffer (EB), das operative Langzeitgedächtnis (LZG-ORV), das sensorische Langzeitgedächtnis (LZG-SEN), ein somatisches motorisches Programm (MP-SOM) und ein vegetatives (MP-VEG), ein sensorisches Register für Umweltreize (SR-UW) und eines für somatische Reize (SR-SOM), die phonologische Schleife (PS) und der räumlich-visuelle Notizblock (RVN). Ganz schön viele verschiedene Bausteine für das Gedächtnismodell! Aber alle haben spezifische Funktionen und werden beim Problemlösen an unterschiedlichen Stellen im Verarbeitungsprozess benötigt.

Was ich vermisst habe, ist der Einbezug motivationaler Faktoren – Emotion kommt als Emotionsdynamik vor (wenngleich eher knapp beschrieben), Motivation fehlt ganz (noch nicht mal als Stichwort im Register aufgeführt). Gerade weil Probleme so eng mit Zielen verbunden sind, wundert das ein wenig. Die von Dietrich Dörner so oft beschworene Interaktion von Kognition, Emotion und Motivation geht im Dschungel der Gedächtnisprozesse verloren. Aber vielleicht hat es auch mit dem Titel „Kognitive Psychologie“ zu tun, der in gewisser Weise (zu sehr?) selbstbeschränkend ist.

Gedächtnismodell

In der Verlagsankündigung heisst es: „Dieses Lehrbuch widmet sich mit Leidenschaft einem modernen Kernthema der kognitiven Psychologie bzw. der Kognitionswissenschaften: Dem Problemlösen. Denn Problemlösen ist für die kognitive Psychologie einer der Schlüssel zum Verständnis von Lernen und Wissen überhaupt und der daraus resultierenden Interaktion des Individuums mit seiner Umwelt.“ Dem kann ich voll und ganz zustimmen! Ein lesenswertes Buch!

Quelle: Tobinski, D. A. (2017). Kognitive Psychologie. Problemlösen, Komplexität und Gedächtnis. Heidelberg: Springer.

Nachtrag 23.1.18: noch eine Rezension findet sich hier: https://www.socialnet.de/rezensionen/23070.php

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