Am 22. April 2017 (dem Tag der Erde) sind in über 500 Städten weltweit hunderttausende Wissenschaftler/innen und Wissenschaftsfreunde mit dem „March for Science“ gegen Postfaktizismus und für wissenschaftlich fundierte Fakten auf die Straße gegangen. In Deutschland waren viele Universitätsstädte, darunter Berlin, Bonn, Dresden, Frankfurt, Freiburg, Göttingen, Greifswald, Hamburg, Heidelberg, Jena, Kassel, Koblenz, Kiel, Leipzig, München, Münster, Rostock, Stuttgart, Trier und Tübingen beteiligt. Die Organisatoren wollten ein Zeichen dafür setzen, dass verlässliche Informationen die Voraussetzung für einen kritischen gesellschaftlichen Diskurs und fundiertes Urteilen sind. Postfaktische Auffassungen hingegen verleugnen und relativieren den Organisatoren zufolge wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse, um daraus politisches Kapital zu schlagen. Unterstützt wird der „March for Science“ von renommierten Organisationen und Persönlichkeiten aus der Wissenschaft.
In Heidelberg zogen etwa 1000 Personen [Korrektur 23.4.17: Es waren mindestens 1800, wie dieser lesenswerte Blogbeitrag von Markus Pössel durch eine akribische Auswertung von hochauflösenden Foto-Dateien belegt] in friedlicher Stimmung vom Ebertplatz über die Hauptstrasse zum Universitätsplatz, wo die Kundgebung mit 13 Kurzreden, unterbrochen durch wissenschaftsadäquate Musik von Balsamico, stattfand. Eröffnet wurde der Rede-Reigen durch Statements von unserer Wissenschaftsministerin Theresia Bauer und unserem Rektor Bernhard Eitel. Das gesamte Programm findet sich hier. Insgesamt doch etwas lang…
Wir leben nicht erst seit der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA in schwierigen Zeiten, was das Vertrauen in die Wissenschaft betrifft. Kreationisten stellen die Evolutionstheorie in Frage, Klimawandel soll ein (zum Schaden der USA) von den Chinesen erfundenes Konstrukt sein. Dies sind nur zwei von vielen Beispielen einer neuen Wissenschaftsignoranz. Das bewegt mich, der ich für die Wissenschaft arbeite, dazu Flagge zu zeigen und dafür einzutreten, das Kantische Projekt der Aufklärung unter Einsatz von kritischem Denken fortzusetzen; sonst würden wir heute noch glauben, die Erde wäre eine Scheibe und Mittelpunkt des Weltalls.
Wissenschaft darf sich nicht aus gesellschaftlichen Diskursen heraushalten. Es gibt eine Verantwortung der Wissenschaft, ihre Erkenntnisse trotz aller Vorläufigkeit verständlich zu machen, Warnungen auszusprechen, Empfehlungen abzugeben. Vieles an Forschung ist selbst für Expertinnen und Experten schwer zu verstehen – wieviel unsicherer muss sich jemand fühlen, der die Flut von Erkenntnissen gar nicht überschaut, nicht überschauen kann? Das darf uns aber nicht davon abbringen, weiterhin Forschung zu betreiben und die Welt um uns herum besser zu verstehen suchen. Das Ringen um Wahrheit ist ein schwerer Prozeß, bei dem auch manchmal Fehler gemacht werden. Das ist aber kein Grund dafür, mit der Wahrheitssuche aufzuhören.
Karl Jaspers hat 1946, als er die Heidelberger Universität wieder aus dem braunen Sumpf ziehen sollte, geschrieben: „Die Universität ist die Stätte, an der Gesellschaft und Staat das hellste Bewußtsein des Zeitalters sich entfalten lassen. Dort dürfen als Lehrer und Schüler Menschen zusammenkommen, die hier nur den Beruf haben, Wahrheit zu ergreifen. Denn daß irgendwo bedingungslose Wahrheitsforschung stattfinde, ist ein Anspruch des Menschen als Menschen.” Dafür bin ich auf die Straße gegangen und habe mich sehr gefreut, dass ich nicht alleine unterwegs war! Auch symbolische Handlungen können sehr wirksam sein! Viele Bekannte und Freunde aus der Professorenschaft, dem Mittelbau und der Verwaltung habe ich gesehen, noch mehr aber viele unserer Studierender, worüber ich mich besonders gefreut habe! Kollegen aus Mannheim und Karlsruhe habe ich ebenfalls getroffen.
Nachfolgend ein Auszug aus der Presseerklärung der Universität Heidelberg, die diesen Marsch unterstützt hat, zu finden unter http://www.uni-heidelberg.de/presse/meldungen/2017/m20170405_universitaet-heidelberg-unterstuetzt-march-for-science-germany.html:
„Die Universität Heidelberg unterstützt den „March for Science“ und damit die weltweite Initiative für unabhängige Wissenschaft und einen offenen gesellschaftlichen Diskurs auf der Grundlage überprüfbarer und abgesicherter Fakten. Der Rektor der Ruperto Carola, Prof. Dr. Bernhard Eitel, lädt alle Mitglieder der Universität ein, an der Kundgebung am 22. April in Heidelberg teilzunehmen. Prof. Eitel: „Die bei uns grundgesetzlich geschützte Freiheit von Forschung und Lehre, Erkenntnisgewinn auf Basis wissenschaftlicher Methoden und ein offener Diskurs sind für eine demokratisch verfasste Gesellschaft und die politische Entscheidungsfindung unverzichtbar. Für diese Werte wollen wir gemeinsam eintreten.“
Als älteste Universität Deutschlands und eine der forschungsstärksten in Europa ist die Ruperto Carola aufgrund ihrer Wirkungsgeschichte in besonderer Weise der Freiheit von Forschung und Lehre verpflichtet. „SEMPER APERTUS“ – stets offen, ist der Leitspruch, mit dem sich die Universität Heidelberg uneingeschränkt auch zu ihrer Verantwortung für einen wissensbasierten Dialog mit Gesellschaft und Politik bekennt.“
siehe auch meinen früheren Blog-Beitrag: https://joachimfunke.de/2017/03/03/march-for-science-2017-psychologen-sind-dabei/