Mit dem Rad zur Arbeit

Der tägliche Weg zur Arbeit und zurück: Für viele Menschen ist das mit Aufwand und Stress verbunden und verbraucht darüber hinaus Lebenszeit. Die Pendelzeiten werden (glaubt man den Statistikern) immer länger.

Ich habe in meinem Arbeitsleben (in Basel, in Trier, in Bonn, in Greifswald, in Heidelberg) immer die Devise verfolgt, nah am Arbeitsplatz zu wohnen, weil ich nicht viel Zeit mit der Fahrerei verlieren wollte. Meist kann man während solcher kurzen Fahrten nicht arbeiten – das ist bei längeren Reisen mit der Bahn oft anders, weswegen ich heute auch gerne mit der Bahn unterwegs bin (ich erlaube mir dann bei weiten Fahrten den Luxus der ersten Klasse).

Aber es ist nicht nur Zeitgewinn – dass ich mit dem Rad zur Arbeit fahren oder gar zu Fuß gehen kann, ist auch ein Gewinn an Lebensqualität. Zum einen ist es für meine Gesundheit förderlich, wenn ich mich aktiv bewege (die geforderten 10.000 Schritte pro Tag schaffe ich nicht immer – die WHO ist übrigens bei ihren Empfehlungen nicht auf Schritte fixiert, sondern spricht von „activities„). Zum anderen ist es natürlich umweltfreundlich. Autofahrer bewegen sich deutlich weniger und produzieren zudem schädliche CO2-Emissionen.

Als ich 1997 den Ruf nach Heidelberg erhielt, gratulierten mir kenntnisreiche Kollegen vor allem zu dem Privileg, nun einen Parkplatz in der Heidelberger Altstadt nah an der Hauptstrasse benutzen zu können. Den Parkplatz habe ich nicht lange benötigt: ich habe recht bald gemerkt, dass mein Ruf nach Heidelberg  zahlreiche andere Vorteile enthielt, von denen das Parkplatz-Privileg eher nebensächlich war.

Als ich 1998 mein Auto verkauft habe (in unserer Familie hatten wir zuvor 2 Autos, jetzt nur noch 1), entstand plötzlich eine ungeahnte Entlastung: Ich musste nicht mehr Werkstattbesuche organisieren, TÜV-Termine im Auge behalten, den Wagen pflegen! Mit dem Verzicht auf ein Auto war ein Gewinn an Freiheit verbunden. Der Mobilitätsverlust war vergleichsweise gering: Fahrrad, ÖPNV und – zur Not – Taxi haben hier keine Einschränkungen aufkommen lassen. Innerhalb von Heidelberg ist das Autofahren auch gar nicht so kommod, man muss ja irgendwo parken und das ist sowohl in der Altstadt wie im Neuenheimer Feld nicht ganz einfach…

Und Autofahren macht mir heute insgesamt viel weniger Spass als früher – als ich 1971 mit 18 Jahren meinen Führerschein erhielt, war das eigene Auto die Tür zur grenzenlosen Freiheit (mein erster Wagen war ein Fiat 500, bei dem man das Stoffdach aufmachen konnte und open air fahren konnte – Cabrio für Arme). Fahrten nach Italien, Portugal, Spanien, Frankreich, Holland, Schweiz, Österreich, Dänemark, Schweden mit dem Auto waren angesagt und bedeuteten jedesmal Abenteuer (das Zelt war die billige Übernachtungsoption). Dass wir stundenlang auf der Autobahn fuhren, machte mir nichts aus. Ich fuhr damals gerne Auto! Das hat sich geändert: Heutzutage bin ich froh, nicht selbst fahren zu müssen, wenn es nicht unbedingt notwendig ist.

Wenn Autofahren heute Hektik, Stau und Stress bedeuten, ist Radfahren entspanntes Dahingleiten und Geniessen der Ansichten, die man vom Rad aus hat. Gut, an Regentagen freue ich mich natürlich, wenn mich meine Frau auf ihrem Weg zur Arbeit mitnimmt und in Institutsnähe absetzt 🙂 An Sonnentagen freue ich mich, auf der Theodor-Heuss-Brücke anzuhalten und für einen kurzen Moment das Stadt- und Neckarpanorama zu geniessen. Bei einem solchen Halt ist übrigens ein Bild entstanden, das später als Titelbild für einen Roman von Marlene Bach („Kurpfalzblues„) Verwendung fand (im Buch steht vorne tatsächlich: „Umschlagfoto: Joachim Funke“).

Die Schattenseiten des Radfahrens habe ich bei meinem Radunfall vor einigen Jahren erfahren (siehe den Blog-Eintrag vom Sommer 2009). Der Helm war damals mein rettender Begleiter und ist es bis heute geblieben. Auf das Funktionieren meines Kopfes bin ich angewiesen – der Helm ist keine Frage von Schönheit und Eleganz, sondern von Vernunft und Zweckmäßigkeit.

Fahhradfahren ist meist eine entspannte Form der Bewegung – dass ich tagein, tagaus davon Gebrauch machen kann, freut mich und tut mir und meiner Arbeit gut! Dass ich jährlich einige tausend Kilometer fahre, zeigt mir der Kilometerzähler nüchtern an – was er nicht anzeigt, ist die Freude, die ich dabei empfinde. Nicht alles ist so leicht messbar wie die gefahrenen Kilometer. Eine Radtour am Wochenende gehört seit einigen Jahren zu unserem festen Programm! Und da nutze ich tatsächlich gerne das Auto für den Fahrradträger, weil wir dann einen Startpunkt irgendwo in der Region wählen können und auf diese Art und Weise schon manches schöne Tal für uns entdeckt haben – Pfalz, Odenwald und Neckarlauf sind da sehr ergiebig!

Ich genieße mein Privileg, mit dem Rad zur Arbeit fahren zu können, jeden Tag aufs Neue! Andere fahren nur bei schönem Wetter mit dem Cabrio, ich dagegen fahre ganzjährig Cabrio! Kann ich nur empfehlen!

Quelle: Mueller, N., Rojas-Rueda, D., Cole-Hunter, T., de Nazelle, A., Dons, E., Gerike, R., … Nieuwenhuijsen, M. (2015). Health impact assessment of active transportation: A systematic review. Preventive Medicine, 76, 103–114. http://doi.org/10.1016/j.ypmed.2015.04.010 (Danke, Bernd!)

Nachtrag 26.06.2017: Die Ständige Vertretung europäischer Ärzte (CPME) hat einen offenen Brief an die EU unterzeichnet, in der eine verstärkte Unterstützung des Radfahrens gefordert wird. Hintergrund ist, dass das aktuelle Betreiben von Radfahren in der EU jährlich 27.860 vorzeitige Tode aufgrund der körperlichen Aktivität verhindere, bei gleichzeitig errechneten wirtschaftlichen Einsparungen von 96.5 Milliarden €. Das ist eine beachtliche Größenordnung!

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