Direktstudium ja – aber nicht so!

Seit letzter Woche liegt das lang erwartete Eckpunktepapier des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) zur „Novellierung der Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten“ auf dem Tisch (es findet sich z.B. auf dieser Seite) – und ich bin erschrocken darüber, was ich dort lesen muss! Doch zunächst zum Hintergrund: seit vielen Jahren wird eine Reform der Psychotherapie-Ausbildung angemahnt – nicht nur, weil die im Psychotherapeutengesetz (PsychThG) von 1999 beschriebene Eingangsqualifikation „Diplom“ nicht mehr passt, sondern weil auch die unbezahlte Tätigkeit der Studierenden während der kostenpflichtigen Weiterbildung zu prekären Situationen führt – hier haben die „Pia“ (= Psychotherapeuten in Ausbildung) immer wieder und lautstark gegen ausbeuterische Strukturen protestiert.

Unter dem Stichwort „Direktstudium“ kursiert seit längerem die Idee, wonach am Ende eines 5jährigen Psychologiestudiums (3 Jahre BSc ohne Spezialisierung, aber mit klinischen Anteilen; 2 Jahre MSc mit Schwerpunkt Klinische Psychologie) die erste Staatsprüfung und damit die Approbation stehen könnte, an die sich dann eine Facharzt-analoge Weiterbildung in Psychotherapie anschließt. Die Grundidee eines polyvalenten Bachelors (d.h. eines Bachelors, der als Grundlage für vielfältige Anwendungen dienen kann) hat damals viele überzeugt – jetzt scheint dieses Konzept in Frage zu stehen. Polyvalent heißt: man kann mit dem BSc-Abschluß später auch noch andere Master-Spezialisierungen machen als als nur Klinische Psychologie (z.B. Arbeits- und Organisationspsychologie, Pädagogische Psychologie, Medienpsychologie, Forensische Psychologie, und und und). Dass diejenigen, die auf eine Approbation zustreben, mehr klinische Anteile machen müssten als zuvor, war klar – auf der anderen Seite wollte man nicht das gesamte BSc-Studium unter eine klinische Perspektive stellen. Diese Konzeption scheint nach den jetzt vorgelegten Eckpunkten nicht mehr zu gelten! Protest!

In einer vier Monate alten Gemeinsamen Erklärung der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) und des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) zur Reform des Psychotherapeutengesetzes mit dem Titel „Psychologische Psychotherapie erfordert ein wissenschaftliches Studium der Psychologie“ vom 13.6.2016 heißt es noch optimistisch:

„Die Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen ist sich einig, dass die folgenden Punkte bei der Novellierung des Psychotherapeutengesetzes berücksichtigt werden sollten:
1.    Die Ausbildung wissenschaftlich und praktisch qualifizierter psychologischer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten erfordert ein grundständiges, fünfjähriges Studium der Psychologie (300 ECTS), mit dem Abschluss eines polyvalenten Bachelor of Science und eines Master of Science mit Schwerpunkt in Klinischer Psychologie und Psychotherapie, als Voraussetzung für die nachfolgende Weiterbildung.
2.    Für die Sicherung der Ausbildungsqualität sind die Einheit von Forschung, Lehre und Praxis an den ausbildenden Hochschulen (Promotions- und Habilitationsrecht, psychotherapeutische Lehr- und Forschungsambulanz), einheitliche Prüfungsstandards und die Anerkennung der Ausbildung durch die Landesbehörden unabdingbare Voraussetzungen.
3.    Die ausbildenden Hochschulen müssen über entsprechend qualifiziertes Lehr- und Forschungspersonal sowie über die erforderlichen Strukturen für die wissenschaftliche und die praktische Ausbildung auf allen wissenschaftlichen Qualifikationsebenen und für die Forschung im Bereich klinischer Psychologie und Psychotherapie verfügen.
4.    Eine selbstständige psychotherapeutische Tätigkeit im Sinne des Sozialrechtes sollte nach einer ausreichend qualifizierenden, dreijährigen Weiterbildung mit Erreichung der Fachkunde erfolgen. Daher müssen in ausreichendem Maße Weiterbildungsmöglichkeiten im Rahmen von Assistenzstellen sowohl für den stationären als auch den ambulanten Bereich geschaffen werden, die dem vorliegenden akademischen Niveau entsprechend vergütet werden.
5.    Die erforderlichen Ressourcen für die Aus- und Weiterbildung müssen im Zuge der Gesetzesnovellierung berücksichtigt und insbesondere in Bezug auf die Anzahl der Aus- und Weiterbildungsplätze aufeinander abgestimmt werden. Mehr praxisorientierte Ausbildung (mit Patientenkontakt) in Kleingruppen erfordert zusätzliche Kapazitäten an den ausbildenden Hochschulen, die nicht zu Lasten anderer psychologischer Teildisziplinen gehen dürfen.
6.    Psychologische Tätigkeiten, die Zwecke außerhalb der Heilkunde zum Gegenstand haben, sollten durch das Gesetz weiterhin nicht geregelt werden (Beibehaltung der jetzigen Legaldefinition von Psychotherapie).“

Bei aller Freude darüber, dass die Neuorganisation  der Psychotherapie-Ausbildung nun in greifbare Nähe rückt, ruft das Eckpunkte-Papier des BMG nun aber sicherlich auch Protest hervor. In einer ersten (sehr zurückhaltenden) Stellungnahme vom 28.10.16 durch die DGPs und  den Fakultätentag Psychologie werden vier zentrale Positionen unseres Faches benannt, an denen wir m.E. unbedingt festhalten müssen:

„• Erhalt der Einheit des Faches Psychologie [Lesart JF: keine zwei Studiengänge],

• polyvalenter Bachelor [Lesart JF: nicht das gesamte BSc-Studium nur mit klinisch geprägten Inhalten],

• wissenschaftlich und praktisch qualifizierender studierbarer Masterstudiengang mit dem Abschluss „M.Sc. Psychologie mit Schwerpunkt Klinische Psychologie und Psychotherapie“ [Lesart JF: auch der Klinische Master bleibt ein Master Psychologie],

• Bereitstellung zusätzlich notwendiger Ressourcen ohne Rückgriff auf die Kapazitäten anderer psychologischer Anwendungs- oder Grundlagendisziplinen [Lesart JF: keine Umverteilung von vorhandenen nicht-klinischen Ressourcen in die klinische Psychologie].“

Diesem Forderungskatalog kann ich mich uneingeschränkt anschließen und hoffe, dass wir angehört werden und unsere Positionen in die Novellierung einbringen können. In der jetzigen Fassung erscheint mir das Eckpunkte-Papier inakzeptabel. Wir wollen kein Psychotherapie-Studium isoliert neben einem Psychologie-Studium, sondern die Integration der Psychotherapie-Grundausbildung in das wissenschaftlich geprägte Psychologie-Studium. Die enge Verbindung von Wissenschaft und Praxis nach dem „scientist-practitioner„-Modell ist von großer Bedeutung, da eine lebenslange Weiterbildung nur funktioniert, wenn im Studium kritisches Denken erworben wurde und nicht einfach nur praktische Übungen im Mittelpunkt stehen.

Ausschnitt aus den Überlegungen des BMG-Eckpunktepapiers zur Finanzierung der entstehenden Mehrkosten: „Verlagerung von freiwerdenden Kapazitäten im derzeitigen Psychologiestudium, die für eine psychotherapeutische Tätigkeit nicht relevant sind, z.B. die Arbeits- und Organisationspsychologie, Verkehrspsychologie oder Werbepsychologie, auf für die psychotherapeutische Ausbildung relevante Inhalte“ – da kann ich mir gut vorstellen, dass Vertreter der genannten Anwendungsbereiche diese „Querfinanzierung“ nicht einfach hinnehmen wollen.

Ich hoffe, dass gegen die nun vorgelegten Pläne eines vom Psychologie-Studium abgespaltenen Psychotherapie-Studiums nicht nur von Seiten der Bundesländer protestiert wird (auf die Mehrkosten unabwendbar zukämen), sondern auch von unseren Fachvertretern in den Instituten gegen diese Pläne Sturm gelaufen wird. Eine „Klinifizierung und Fachhochschulifizierung“ unseres Psychologiestudiums vom ersten Semester an scheint mir inakzeptabel! So hatten wir nicht gewettet!

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