Im September 2011 ist der Fall Diederik Stapel an die Öffentlichkeit gekommen – ein holländischer Sozialpsychologe, der in seinen international Aufsehen erregenden Artikeln mit selbst gemachten Daten gearbeitet hat. Zahlreiche Veröffentlichungen wurden mit gefälschten Daten publiziert (und zwar in in guten und sehr guten Zeitschriften, darunter „Science“), für eine Vielzahl weiterer Publikationen sind die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen. Angaben von Retraction Watch zufolge wurden bis August 2013 insgesamt 54 Veröffentlichungen zurückgezogen.
Als Reaktion auf die Entlassung aus den Diensten der Universität Tilburg hat Stapel nicht nur seinen Doktortitel der Universität Amsterdam freiwillig zurückgegeben, sondern auch ein Buch über seine Geschichte verfasst. Ich habe über die Weihnachtszeit diese Biografie von Diederik Stapel gelesen, als PDF kostenlos zu erhalten:
Stapel, D. (2014). Faking science: A true story of academic fraud. Retrieved from http://errorstatistics.com/2014/12/21/derailment-faking-science-a-true-story-of-academic-fraud-by-diederik-stapel-translated-into-english/
Der Text ist nicht schön geschrieben (enthält viele verwirrende Sprünge… Der Buchtitel „Derailment“ bekommt dadurch noch eine andere Bedeutung), aber er gibt einen Einblick in die Psyche eines Datenfälschers und den Umständen, unter denen aus einem sehr engagierten, begeisterten jungen Studenten ein erfolgreicher betrügerischer Professor wurde, der sich am Ende zwar erkennbar schämt, aber auch über die öffentliche Verfolgung von ihm und seiner Familie durch die Presse klagt.
Deutlich wird, dass kleine Grenzüberschreitungen („questionable research practices„) am Anfang stehen (mal hier und dort einen Datenpunkt adjustiert, der nicht ganz konform ausfiel), denen zunehmend gröbere Verletzungen guter wissenschaftlicher Praxis folgen, da sich (zunächst) keine negativen Konsequenzen ergeben, sondern im Gegenteil sich die öffentliche Aufmerksamkeit begeistert auf ihn richtet. Er ist es, der der Öffentlichkeit die Welt erklären kann. Stapel geniesst diese „Star“-Position und sonnt sich im Rampenlicht, bis alles zu Bruch geht und sein „faking science“ – nach 7 (sic!) Jahren – auffällt. Wissenschaft und Starkult passen eben nicht zueinander.
Was die Autobiografie aber auch deutlich macht: Es gibt für den Betroffenen keinen Mechanismus, diesen Betrug zu heilen – die Beichte führt nicht zur Erlösung. Eine Rückkehr in die Wissenschaft scheint nach einem derartigen Fehltritt nicht mehr möglich. Ist das fair? Wie steht es mit einer zweiten Chance?
Interessant am Rande: Stapel wäre gerne Schauspieler geworden! Wie es scheint, hat er es indirekt geschafft, diesen Berufswunsch mit seinen Auftritten in Hörsälen und in den Medien zu realisieren!
Link zum Untersuchungsbericht der Levelt-Kommission: https://www.commissielevelt.nl/
PS: Es ist ein Kommentar von Rolf Degen eingetroffen, der seinerseits über das Buch von Stapel eine lesenswerte Rezension verfasst hat (Link: siehe unten im Kommentarfeld und hier).