Psychologie eine Buchwissenschaft? Nie und nimmer! Trotzdem ist das Thema virulent und hat vor allem finanzielle Folgen, weil die Einstufung eines Faches in die eine oder andere Kategorie erhebliche Unterschiede bei den finanziellen Zuwendungen von Land und Bund ausmacht (die Naturwissenschaften bekommen sehr viel höhere Pro-Kopf-Beträge als die Buchwissenschaften).
In einem Statement der Psychologischen Institute an den Universitäten in Baden-Württemberg (Freiburg, Heidelberg, Konstanz, Mannheim, Tübingen, Ulm) an das baden-württembergische Wissenschaftsministerium (MWK) zu deren Ausbauprogramm „Master 2016“ zur Einstufung der Psychologie als Buchwissenschaft heisst es:
Die Psychologischen Institute der Universitäten in Baden-Württemberg, vertreten durch ihre Geschäftsführenden Direktoren/innen bzw. Fachbereichsleiter/innen, begrüßen ausdrücklich das vom MWK aufgelegte Ausbauprogramm Master 2016. Wie u.a. aus dem aktuellen Bericht zur „Lage der Psychologie“ des Präsidenten der „Deutschen Gesellschaft für Psychologie“ (Frensch, 2013) hervorgeht, ist für Studierende der Psychologie der Master-Abschluss der berufsqualifizierende Studienabschluss. Psychologie-Studierende mit einem Bachelor-Abschluss haben keine adäquate berufliche Perspektive. Auch für die Zulassung zur Prüfung zur/m Psychologischen Psychotherapeutin/en ist ein konsekutiver Bachelor- und Masterstudiengang in Psychologie Voraussetzung. Dementsprechend streben mehr als 90 % der Bachelor-Absolventen/innen der Psychologie ein weiterführendes Masterstudium an. Die Anpassung der Anzahl der Masterstudienplätze an die Anzahl der Bachelorstudienplätze ist somit eine sehr wichtige Maßnahme.
Wir sind überrascht und können nicht verstehen, dass das MWK die Psychologie in Baden-Württemberg als „Buchwissenschaft“ einstuft. Um den entsprechenden Ausbau an den Psychologischen Instituten gewährleisten zu können, ist eine finanzielle Förderung notwendig, die der naturwissenschaftlichen Ausrichtung des Psychologiestudiums angemessen ist. Eine Einstufung der Psychologie als „Buchwissenschaft“ ist aus mehreren Gründen nicht angemessen.
1. Die Forschung an den Psychologischen Instituten in B.-W. ist quantitativ-empirisch bzw. experimentell ausgerichtet. Sowohl international als auch national ist dies die typische wissenschaftliche Ausrichtung der Psychologie. Auf internationaler Ebene ist die Psychologie fast immer naturwissenschaftlichen (Sciences, Natural Sciences, Neurosciences) oder sozialwissenschaftlichen (Social Sciences) Fakultäten zugeordnet und nicht geisteswissenschaftlichen oder philosophischen Fakultäten (Humanities, Arts oder Literature Sciences). Eine entsprechende Einordung der Psychologie ist auch im asiatischen Raum zu beobachten, wo derzeit moderne Departments für Psychologie eingerichtet werden (z.B. University of Peking).
2. Entsprechend sind die Psychologischen Institute in B.-W. auch entweder den Naturwissenschaften zugeordnet (Tübingen, Konstanz) oder aber den Sozialwissenschaften (Heidelberg, Mannheim, Ulm), nicht jedoch den Fakultäten, die als Buchwissenschaften gelten. Auch außerhalb von B.-W. sind führende psychologische Institute in naturwissenschaftlichen Fakultäten verankert (z.B. HU Berlin, TU Dresden, Uni Düsseldorf, Braunschweig, Leipzig, Göttingen). Der typische Abschluss in Psychologie ist daher auch ein Bachelor oder Master of Science.
3. Zudem zeigt eine aktuelle Analyse der psychologischen Forschung anhand von laufenden DFG-Projekten: „Für die Psychologie ist eine große Homogenität in der methodologischen Ausrichtung erkennbar: Sie prüft quantitativ Kausalzusammenhänge anhand empirischer Daten und ihr Fokus liegt auf der Theorienprüfung“ (Witte & Strohmeier, 2013, S. 23).
4. Die Durchführung der Forschung an den Psychologischen Instituten ist nur mit einer adäquaten Ausstattung mit Labor- und Experimentalräumen (u.a. EEG-Labore, Blickbewegungslabore, Videolabore, Psychophysiklabore, psychophysiologische Labore) möglich. In allen Instituten werden entsprechende Flächen vorgehalten, die den Bedarf kaum decken.
5. Die Ausbildung der Studierenden im Psychologiestudium hat ebenfalls einen deutlichen Schwerpunkt in naturwissenschaftlicher Forschungsmethodik (Experimentalpraktika, empirische bzw. experimentelle Master-Arbeiten und einen großen Anteil an mathematischer Statistik). Pflichtstunden für Psychologie-Studierende zur Teilnahme an Experimenten sind in allen Prüfungsordnungen verbindlich vorgeschrieben.
Aus den genannten Gründen beantragen die Psychologischen Institute in B.-W. bei der finanziellen Förderung im Rahmen des Ausbauprogramms Master 2016 entweder eine Einstufung als Naturwissenschaft (d.h. eine Förderung von € 12.000 pro zusätzlichem Master-Studienplatz) oder aber zumindest die Einstufung als Lebens-/Sozialwissenschaft mit einer Förderung von € 10.000 pro zusätzlichem Master-Studienplatz. Eine Einstufung der Psychologie als Buchwissenschaft mit einer Förderung von lediglich € 7.000 pro Master-Studienplatz ist für die Psychologischen Institute in B.-W. nicht ausreichend. Der Ausbildungsstandard wird sonst hinter den internationalen und derzeit national üblichen Standard zurückfallen. Alle Psychologischen Institute in Baden-Württemberg werden sich an der Ausbauplanung 2016 nur dann beteiligen, wenn pro Masterstudienplatz jährlich mindestens € 10.000 zur Verfügung gestellt werden.
Literatur:
Frensch, P. A. (2013). Zur Lage der Psychologie als Fach, Wissenschaft und Beruf. Psychologische Rundschau, 64, 1-15.
Witte, E. H., & Strohmeier, C. E. (2013). Forschung in der Psychologie. Psychologische Rundschau, 64, 16-24.
Dieses Statement hat erfreulicherweise dazu geführt, dass das MWK sich einsichtig gezeigt und für die Psychologie eine Zwischenkategorie bei den Zuschüssen eingeführt hat (nicht ganz so viel wie die Naturwissenschaften, aber deutlich mehr als die Buchwissenschaften). Toll! Danke dafür!
Nun habe ich im Sommerrundschreiben unserer Fachgesellschaft DGPs gelesen, dass der Vorstand der DGPs sich in Folge der oben beschriebenen Ba-Wü-Aktion an das bundesweit massgebliche Statistische Bundesamt gewandt hat und darum bittet, die bisherig dort praktizierte Einordnung der Psychologie als „Sprach- und Kulturwissenschaft“ aufzugeben und sie statt dessen in die Kategorie der „Naturwissenschaften“ einzuordnen. Mal sehen, ob es eine Änderung geben wird! Interessant auch zu sehen, was Klassifikationen so bedeuten!